Momente eines BVB-Publikumslieblings: 09 Geschichten über Neven Subotic

Borussia Dortmund

Von einer wilden Meisterfeier auf dem Autodach, der Geburt des Kinder-Riegels, einer Entdeckung im Park und wirklich wichtigen Dingen im Leben: 09 Geschichten über BVB-Publikumsliebling Neven Subotic.

Dortmund

, 10.06.2022, 12:32 Uhr / Lesedauer: 5 min

Am 16. August 2008 feiert Neven Subotic sein Debüt für Borussia Dortmund. Beim 3:2-Sieg in Leverkusen gelingt dem damals 19-Jährigen auch gleich sein erster Treffer für den BVB. Subotic entwickelt sich in den Folgejahren zu einem der absoluten Publikumslieblinge bei Schwarzgelb. Nun hat er seine abwechslungsreiche Karriere beendet. 09 Geschichten eines besonderen Spielers.

01) Unvergessene Meisterfeier auf dem Autodach: Es ist sein drittes Jahr bei der Borussia und es wird sein bisher erfolgreichstes. Unter Jürgen Klopp stürmt der BVB zur ersten Deutschen Meisterschaft seit 2002. Am 32. Spieltag ist es soweit: Der BVB gewinnt mit 2:0 zu Hause gegen den 1. FC Nürnberg, während Verfolger Bayer Leverkusen mit 0:2 gegen den 1. FC Köln verliert. Abpfiff. Das Stadion steht Kopf. Eine wilde Party beginnt. Und sie greift auf die ganze Stadt über. Neven Subotic hat die „offiziellen“ Feierlichkeiten bereits absolviert. Aber bevor es mit der Mannschaft ins Restaurant zum Italiener geht, mischt sich Subotic noch unters Volk. Er schließt sich mit seinem Wagen einem Autokorso an. Mitten im Kreuzviertel, auf der Lindemannstraße, steigt Subotic plötzlich aus. Er steigt aufs Autodach, er springt und hüpft, feiert ausgelassen mit den Fans, stimmt eine Humba an. Und er singt aus vollem Hals: „Deutscher Meister ist nur der BVB, nur der BVB, nur der BVB…“ Subotic ist seit diesem Moment unvergessen.

Neven Subotic feiert mit den Fans.

Nach der Meisterschaft 2011 brechen alle Dämme: Neven Subotic feiert ausgelassen mit den Fans. © picture alliance / dpa

02) Der Kinder-Riegel zeigt sich von seiner Schokoladenseite: Als Neven Subotic 2008 seinem Trainer Jürgen Klopp von Mainz 05 nach Dortmund folgt, kündigt sich eine Zeitenwende (in der Defensive) an. In der Abwehr des BVB hatten vormals noch die Haudegen Robert Kovac und Christian Wörns gespielt. Verteidiger vom alten Schlag. Klopp aber schenkt in Neven Subotic und Mats Hummels zwei 19-Jährigen das Vertrauen. Aufgrund ihres niedrigen Alters ist schon kurz darauf vom „Kinder-Riegel“ die Rede. Und der zeigt sich so sehr von seiner Schokoladenseite, dass die Borussia in 14 Saisonspielen ganz ohne Gegentor bleibt. In den kommenden Jahren wird aus dem Kinder-Riegel gemeinsam mit Marcel Schmelzer und Lukasz Piszczek auf den Außenbahnen die seinerzeit beste Viererkette der Bundesliga.

Mats Hummels und Neven Subotic feiern ein Tor.

Der Kinder-Riegel zeigt sich von seiner Schokoladenseite: Mats Hummels (links) und Neven Subotic bejubeln ein Tor. © picture alliance / dpa

03) Die Gelbe Wand feiert: Wie groß die Wertschätzung ist, die sich Neven Subotic in seinen acht Jahren beim BVB erarbeitet hat, zeigt der Moment am besten, an dem er erstmals wieder nach Dortmund zurückkehrt. Am 29. April 2017 gastiert der Serbe mit dem 1. FC Köln im Signal Iduna Park. Obwohl die Partie 0:0 ausgeht, feiert die Südtribüne. Und sie feiert in erster Linie ihn: Neven Subotic. Minutenlange Sprechchöre, die Gelbe Wand verneigt sich. Die Mannschaftskollegen stehen in diesem Augenblick etwas abseits und klatschen Beifall. „Das war einer der schönsten Momente in meinem Leben“, bekennt Subotic. „Ich hatte hier achteinhalb unglaubliche Jahre mit vielen tollen und auch traurigen Momenten, die uns alle zusammengeschweißt haben – das ist eine Bindung, die auch in 100 Jahren noch bestehen wird.“ Der BVB werde immer sein „Zuhause“ bleiben.

Neven Subotic vor der Südtribüne.

Bei seiner Rückkehr nach Dortmund wird Neven Subotic im Trikot des 1. FC Köln frenetisch bejubelt. © picture alliance / Bernd Thissen/dpa

04) Auf der Flucht: Sein eigentliches Zuhause wäre eigentlich Banja Luka. Hier wird Subotic am 10. Dezember 1988 geboren. Damals zählt sie noch zu Jugoslawien, heute liegt sie in Bosnien und Herzegowina. Doch in seiner Heimat herrscht Bürgerkrieg. Subotic muss mit seiner Familie fliehen. 1989 erreicht die Familie Deutschland. Subotic wächst in einem kleinen Dorf im Schwarzwald auf und spielt erstmals Fußball. Von der F- bis zur D-Jugend kickt er beim TSV Schwarzenberg. Zehn Jahre nach ihrer Ankunft droht der Familie die Abschiebung. Also zieht sie in die USA. Es sind Umbrüche in Kindheit und Jugend. Erfahrungen, die den Menschen Neven Subotic nachhaltig prägen.

05) Im Park entdeckt: Auch wenn Soccer gegenüber Baskteball, American Football und Baseball in den Vereinigten Staaten nicht annähernd so hoch im Kurs steht, hält Neven Subotic an seiner in Deutschland entdeckten Leidenschaft fest. Nach seiner Ankunft in den USA spielt er aber zunächst noch nicht im Verein. Stattdessen kickt er allabendlich in einem Park, ganz für sich allein. Dort wird Keith Fulk auf den damals 15-Jährigen aufmerksam. Fulk ist Scout und trainiert ganz in der Nähe des Parks ein Jugendteam und er ist Co-Trainer der U17-Nationalmannschaft der USA. Fulk ist angetan von dessen Fähigkeiten und lädt Subotic zu einem Probetraining ein. Um im US-Team zu spielen, erhält Subotic die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er ist einer der Besten und bestreitet tatsächlich zehn Länderspiele für die U17-Auswahl. Ein Jahr später folgen zwei Einsätze für die U20. Zu dieser Zeit werden die Späher aus Mainz auf Subotic aufmerksam.

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06) Mainz als erste Profi-Station in Deutschland: Während seiner Zeit in den Staaten spielte Neven Subotic nicht nur für die Junioren-Nationalmannschaft, sondern in erster Linie beim College-Team der University of South Florida. 2006 aber wechselt er zum FSV Mainz 05. Dort spielt er aber nur vereinzelt bei den A-Junioren. Wesentlich häufiger bereits beim Oberliga-Team. Dort macht er mit guten Leistungen auf sich aufmerksam und wird dafür am letzten Spieltag der Saison 2006/2007 mit dem Bundesliga-Debüt für die Mainzer Profis beim Auswärtsspiel gegen den FC Bayern belohnt. Weil sich in der Saison danach Bo Svensson verletzt, rutscht Subotic als Jungspund neben Nikolce Noveski in die Innenverteidigung – und absolviert 33 von 34 Saisonspielen. Sein Trainer damals: Jürgen Klopp. Der nimmt ihn auch mit nach Dortmund.

Neven Subotic im Kopfballduell.

Erste Profistation in Deutschland: Neven Subotic (rechts) bei Mainz 05. © picture-alliance/ dpa

07) „Kloppo“ als Vaterfigur: Jürgen Klopp ist gerade zu Beginn seiner Profi-Karriere wie ein zweiter Vater für Subotic. „Kloppo ist jemand, der mir in einer Zeit, in der ich das Gas durchdrückte, einer Zeit, durch die ich ohne viel Orientierung rauschte, etwas an die Hand gab, mit dem ich mich messen konnte, er gab mir ein Instrument, einen Kompass, auch wenn mir noch die größere Landkarte fehlte, auf der ich ihn anwenden konnte.“ Die Jahre in Dortmund seien für Subotic eine Zeit, „in der ich zu dem werden konnte, der ich bin – Lehrjahre nicht nur auf dem Platz, sondern Lehrjahre bei einigen wenigen besonderen Menschen, denen ich in der Fußballwelt begegnete“. Und auch Klopp selbst erinnert sich an die Anfänge:

„Er erschien mir manchmal wie ein ausgesetzter Babyhund, der einen besonderen Welpenschutz brauchte. Einmal kam er mit Rastahaaren an. Die waren so straff am Kopf, dass ich mich fragte, wie da noch eine Durchblutung stattfinden konnte. Ich sagte zu ihm: Neven, wir haben dich doch hergeholt, dass du als Spieler auffällst und nicht durch deine Frisur. Am nächsten Tag waren die Zöpfchen wieder weg.“

Neven Subotic und Jürgen Klopp umarmen sich.

Jürgen Klopp (rechts) ist für Neven Subotic so etwas wie ein zweiter Vater. © picture alliance / dpa

08) Mit der Straßenbahn zum Training: Mit dem sportlichen Erfolg geht auch bei Neven Subotic der für viele Fußballer typische Luxus einher. Doch im Laufe der Zeit erkennt der Serbe, was (ihm) wirklich wichtig ist im Leben. Einmal verfolgt er in seiner Zeit als Profi ein Spiel auf der Südtribüne, mischt sich undercover unter die Anhänger. „Ich wollte etwas tun, was andere auch tun, etwas ganz Gewöhnliches machen, etwas Normales; und mich interessierten die Fans, die für mich immer etwas Unerreichbares hatten“, so Subotic. Es sind Erfahrungen wie diese, die Neven Subotic im Laufe der Jahre reifen lassen, die ihn erkennen lassen, was wirklich zählt. Geld, schnelle Autos, anderweitiger Luxus verliert für ihn immer mehr an Bedeutung. Stattdessen wächst sein Bewusstsein, was wirklich zählt. Subotic verkauft sein Auto, zieht in eine Mietwohnung ins Kreuzviertel und besinnt sich auf das Wesentliche. Auch auf seiner späteren Station in Berlin nutzt er – wie wenn er in Dortmund zu Gast ist – die öffentlichen Verkehrsmittel. Subotic ist nicht mehr in anderen Sphären unterwegs, sondern längst geerdet.

09) Stiftungsarbeit und Buch-Autor: Nach weiteren Stationen in der Bundesliga bei Union Berlin und in Frankreich, der Türkei und Österreich beendet Neven Subotic seine Karriere. Und er schwört dem Fußball in großen Teilen ab. „Ich schaue kein ganzes Spiel an, nur noch Highlights, will nur Tore sehen. Fußball per se interessiert mich nicht, aber ich freue mich für meine ehemaligen Kollegen“, sagt Subotic der „Augsburger Allgemeinen“. Das Champions-League-Finale packe ihn „null“. „Ich weiß, das ist sehr verwirrend. Ich weiß, dass Sport Leute auch verrückt machen kann. Mein Vater ist das Paradebeispiel. Der schaut oder spielt nur Sport. Wenn ich den anrufe, schaut der Tennis oder zweite Liga Italien. Ich bin so angekotzt, weil vieles davon so irrelevant ist“, sagt Subotic.

Der 33-Jährige konzentriert sich deshalb in erster Linie auf seine Arbeit in der nach ihm benannten Neven-Subotic-Stiftung. Die baut seit einigen Jahren Brunnen und Sanitäranlagen für die Menschen in Äthiopien, Kenia und Tansania. Neven Subotic erlebt seine Tätigkeit als erfüllend. Zuvor sei er „orientierungslos“ gewesen „im Sinne von: Was mache ich mit meinem Leben? Fußball an sich ist toll. Das ist schön, aber es verblendet auch. Wenn man von 10 bis 13 Uhr trainiert, passieren auch noch andere Dinge. Wenn man aber abdriftet und gar nicht am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, geht diese vorbildliche Rolle, die man hat, verloren. Damit konnte ich nicht umgehen“, sagte Subotic der „Augsburger Allgemeinen“. Auch in seinem Buch „Alles geben“ gewährt der Serbe tiefe Einblicke in sein Leben. Wenn man so will ist Neven Subotic nun angekommen: Bei sich. Und das ist vielleicht sein bislang größter Erfolg.