Über mangelnde Auswahl müssen sich Unnas Bürger bei der Kommunalwahl nicht beschweren. Die Stimmzettel versprechen so lang zu werden wie nie zuvor. Eine spannende Frage ist die, wem das eigentlich nutzt.
Wenn Konkurrenz das Geschäft belebt, dürfte die Demokratie in Unna einer Blütezeit entgegen gehen. Nicht nur bei der Bürgermeisterwahl gibt es nach dem „Solo für Kolter“ endlich wieder echte Auswahl. Auch die Zahl der Parteien und Wählerbündnisse, die im September in den Stadtrat wollen, ist groß.
Neben SPD, CDU, Bündnisgrünen, FDP und der Linken gibt es in Unna auch reine Stadtparteien. Sie bieten Alternativen abseits der etablierten und bundesweit vertretenen Parteien. Und zumindest theoretisch stehen sie für eine Politik, die sich unabhängig von den großen weltanschaulichen Positionen um konkrete Lösungen für die Probleme vor Ort kümmern kann. Die Praxis ist komplizierter.
Dass lokale Wählerbündnisse ein ernst zu nehmendes politisches Gewicht in einer Kommune annehmen können, ist längst belegt. Ein Beispiel finden die Unnaer schon in der unmittelbaren Nachbarschaft: In Holzwickede hat der Bürgerblock (BBL) zuletzt fast 20 Prozent der Stimmen für den Stadtrat eingesammelt und mit Ulrike Drossel sogar die Bürgermeisterin gestellt. In Unna allerdings haben die Wahlalternativen zu den etablierten Parteien bislang weniger Zuspruch erhalten. Das hat mehrere Gründe.
Das Angebot ändert sich stetig
Konnte sich der Holzwickeder Bürgerblock nach seiner Gründung 1988 stetig entwickeln und festigen, ist das einzig stetige in Unna das Wechseln des Angebotes. 2009 schien das Parteienangebot in Unna aus den etablierten Kräften der Bundespolitik zu bestehen. Eine „halbe“ Ausnahme stellte die Grün-Alternative Liste dar, die trotz inhaltlicher Nähe zu den Bündnisgrünen doch eine gewisse Eigenständigkeit wahrte, bevor 2012 die Umwandlung in einen Stadtverband der „großen Grünen“ erfolgte.

Die Bündnisgrünen sind im Rat der Stadt Unna die drittgrößte Kraft und zudem eine stark aufgestellte Partei, die mit der Grünen Jugend um Sarah-Lee Heinrich sogar eine aktive Nachwuchsarbeit hat. Bis zur Umbenennung 2012 allerdings gab es in Unna die Grün-Alternative Liste, die in den frühen 1980er-Jahren so etwas wie Unnas erste Lokalpartei war. © Patrick Haermeyer
Bei der Kommunalwahl 2009 trat als lokale Bewegung ein damals engagierter Verbund der Freien Wähler an, um den es aber in den folgenden Jahren doch ein wenig stiller werden sollte.
Für die Wahl 2014 erhielten die Freien Wähler noch einmal eine Art Frischzellenkur durch die neu gegründete Freie Liste (FLU). Gemeinsam zog die Liste FW/FLU mit drei Sitzen in den Stadtrat ein - um sich dann schnell wieder zu entzweien und getrennte Wege zu gehen. Und nun tritt „Wir für Unna“ neu auf die politische Bühne.
Viel Auswahl kann auch zu viel sein
Bei der Kommunalwahl 2014 sammelte das Listenbündnis aus FW und FLU in Unna 1307 Stimmen ein, die einem Proporz von 5,0 Prozent entsprachen. Das Stück, dass sich die „Freien“ vom Kuchen abschneiden konnten, war zumindest seinerzeit nicht allzu üppig.
Eine Bündelung der Kräfte scheint da ein naheliegender Vorschlag, der aber nicht umzusetzen ist. Freie Liste und „Wir für Unna“ haben sich diesbezüglich tatsächlich einmal beschnuppert, um dann beiderseits festzustellen, dass es zumindest zwischen einigen der beteiligten Personen Probleme geben könnte. Die FLU ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind, hielt doch das 2014er-Wahlbündnis mit den Freien Wählern nur einige Wochen über die Wahl hinaus.

Die Freie Liste Unna hat in der Person Frank Murmanns sogar einen eigenen Bürgermeisterkandidaten gefunden. Zurzeit müht sich der Verein unter Vorsitz von Michael Schwering (r.) und Führung von Gründer Klaus Göldner (l.) darum, eine Mitgliederversammlung für die Kandidatenkür zu organisieren, ohne dabei gegen Corona-Vorschriften zu verstoßen. © Freie Liste Unna
Wie viele Lokalbündnisse diesmal auf dem Wahlzettel stehen werden, ist derweil noch nicht ganz klar. Kandidaturen angekündigt haben die FLU - diesmal ohne die FW - und eben als Neuling „Wir für Unna“ (WfU). Beide Bündnisse müssen allerdings noch Unterstützerunterschriften sammeln, was in Zeiten der Kontaktbeschränkungen gegen Corona eine Herausforderung sein kann.
Freie Wähler halten ihre Pläne noch „geheim“
Das „Altparteienprivileg“ für eine erneute Kandidatur ohne Unterschriftensammlung genießen dagegen die Freien Wähler. Ob sie es nutzen werden, ist jedoch ein Rätsel. Ihr Ratsmitglied Jörg Hißnauer nimmt an Sitzungen der politischen Gremien nur selten teil und vom Verein Freie Wähler Unna hört man eigentlich gar nichts mehr. Selbst der FWG-Kreisverbandsvorsitzende Helmut Stalz räumt ein, keine Kenntnis darüber zu haben, wie aktiv die Freien Wähler in der Stadt Unna noch sind. Den Vorsitzenden Jörg Hißnauer bekomme er nämlich nicht einmal ans Telefon.
Letzteres war unserer Redaktion durchaus gelungen, allerdings mit einem nur wenig greifbaren Ergebnis. Ob die Freien Wähler für die Kommunalwahl 2020 kandidieren wollen, sei „zurzeit noch in Diskussion und geheim“, erklärte Hißnauer. Oder, mit einer alternativen Formulierung: „Es gibt dazu zurzeit noch keine Aussage.“
Verwirrend viele F-Parteien
Wenn sie es tun, dann natürlich in Konkurrenz zum früheren Listenpartner FLU. Einschließlich der Unnaer Ausgabe der FDP könnten die Wähler dann an drei Stellen auf dem Stimmzettel Kandidaten einer Partei ankreuzen, die dem Namen nach für sich in Anspruch nimmt „frei“ zu sein. Dass die Interpretation dieser Freiheit sehr unterschiedlich ausfallen kann, haben die Vertreter von FDP, FLU und FW im Stadtrat schon in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Dem Wähler macht es die Sache nicht einfacher.
Die doppelte Anwendung des Spaltprinzips
Die Frage, für welche Positionen eine Partei inhaltlich steht, sollte bei der Stimmabgabe natürlich die entscheidende sein. Doch auch dabei ist der Wähler in Unna wahrlich nicht zu beneiden. Die Entwicklung des Parteienspektrums in Unna erinnert ein wenig an die Zeit ab 1917, als sich die deutsche Sozialdemokratie in eine USPD und eine MSPD aufgespalten hatte - mit dem Unterschied, dass in Unna das konservativ-bürgerliche Lager ein ähnliches Problem hat.
So wie „Wir für Unna“ zu einem großen Teil aus ehemaligen Sozialdemokraten besteht, die sich von der echten SPD abgewandt haben, war auch die FLU 2013 als Abspaltung von der CDU entstanden. Ratsherr Erich Kreß und Bürgermeisterkandidat Frank Murmann zeigen, dass es auch heute noch Abwanderungstendenzen von der CDU in Richtung der Freien Liste geben kann. Kreß‘ Klarstellung beim Austritt aus der Union, dass er sich in seiner Haltung gar nicht verändert habe, aber die CDU in Unna nicht für das stehe, was aus seiner Sicht CDU-Politik sein sollte, ist lediglich eine andere Farbvariante der Erklärungen, mit denen sich Bärbel Risadelli, Margarethe Strathoff, Ingrid Kroll und Wolfgang Ahlers bei der SPD verabschiedet haben.

Margarethe Strathoff (2.v.l.) gründete angesichts zunehmender Spannungen in der SPD zunächst den Bürgerverein „Wir für Unna“, der nun nach einer Satzungsänderung bei der Kommunalwahl antreten will. © Privat
Überzeugte Sozialdemokraten und überzeugte Christdemokraten eint in Unna, dass sie für sich eine Entscheidung darüber treffen müssen, wer für sie das Original und wer die Fälschung ist. Andere Wähler betrifft diese Frage aber auch: Wenn „Wir für Unna“ nur die bessere SPD ist und die Freie Liste nur die bessere CDU - wer ist dann eigentlich die undogmatische Unnaer Lokalpartei?
Verwurzelt und gewachsen in der Hellwegbörde. Ab 1976 Kindheit am Hellweg in Rünthe. Seit 2003 Redakteur beim Hellweger Anzeiger. Hat in Unna schon Kasernen bewacht und grüne Lastwagen gelenkt. Aktuell beäugt er das politische Geschehen dort und fährt lieber Fahrrad, natürlich auch auf dem Hellweg.
