Gemeinsam wären sie eine Macht: Eine „Fraktion der Fraktionslosen“ würde im Rat der Stadt Unna schon fast jeden fünften Sitz belegen. Doch die größte Gemeinsamkeit des Bündnisses wäre die Heimatlosigkeit.

Unna

, 09.02.2020, 04:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

Vom Willen des Wählers, wie er bei der Wahl 2014 zum Ausdruck kam, ist im Rat der Stadt Unna nicht mehr viel übrig. Einige Fraktionen darin haben in den bald sechs Jahren dieser außergewöhnlich langen Wahlzeit kräftig Federn gelassen. SPD und CDU haben jeweils vier Sitze verloren. Die Fraktion der Piraten-Partei existiert nicht mehr. Von FW/FLU gibt es jetzt noch die FLU. Und Jörg Hißnauer.

Die Fraktionslosen haben im Stadtrat gut 19 Prozent Stimmgewicht

Zehn der 52 Ratsmitglieder sind aktuell fraktionslos. Gemeinsam verfügen sie über einen Stimmanteil von 19,2 Prozent. Zur Summe der Stimmen, die sich nicht mehr den Kräften verbunden fühlen, mit deren Hilfe sie einst in den Rat gekommen waren, zählt zudem noch eine elfte: Es ist die von Carsten Morgenthal, der als CDU-Mann in den Rat gekommen war, aber heute ein Grüner ist.

Morgenthal ist etwas gelungen, wofür es unter den zehn derzeitigen Fraktionslosen allenfalls Ankündigungen gibt: Er hat nach einer Zeit ohne Fraktionsbindung eine neue politische Heimat gefunden, in der er sich augenscheinlich gut aufgehoben fühlt.

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Inhaltlich haben die Fraktionslosen begrenzte Gemeinsamkeiten

Die übrigen Sitznachbarn in der immer länger gewordenen Stuhlreihe ganz weit rechts vom Bürgermeister sind noch nicht so weit. Und das ist, was die „Fraktion der Fraktionslosen“ zurzeit zur reinen Theorie macht. Rechnerisch wäre sie stärker als die Grünen und auf Augenhöhe mit der CDU. Doch was die zehn potenziellen Mitglieder eint, ist vor allem ihre politische Heimatlosigkeit. Inhaltlich liegen die Fraktionslosen mitunter so weit auseinander, dass keine andere Fraktion sie fürchten muss. Der Ärger über die Stimmverluste in ihren eigenen Reihen wiegt ja mitunter schon schwer genug.

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Einige Mitglieder im Kreis der Fraktionslosen sind an ihrem derzeitigen Platz gelandet, gerade weil sie nicht mehr miteinander konnten. Christoph Tetzner und Christian Roß etwa waren einmal eine Zwei-Mann-Fraktion, aber einer wollte nicht mehr mit dem anderen arbeiten, und umgekehrt war es ähnlich. Für eine politische Zukunft auch nach der Wahl müssten sie sich vermutlich ohnehin umschauen, denn: Wer kennt überhaupt noch die Piraten-Partei?

Mögliche Sammelbecken: „Wir für Unna“ und die FLU

Roß ist die politische Neuorientierung gewohnt, war er doch früher einmal bei der CDU ausgebootet worden, bevor er bei den Piraten anheuerte. Tetzner ist vielleicht das Mitglied im Rat der Stadt Unna, dessen Kooperationbereitschaft und Vernetzung über Parteigrenzen hinaus am stärksten ausgeprägt ist. Trotzdem hat er die Mitgliedschaft in einer anderen Fraktion bislang immer gescheut. Stattdessen zählt er zu den Mitbegründern von „Wir für Unna“, jenem Bürgerverein, der nun eine eigene Kandidatur bei der Kommunalwahl angekündigt hat.

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Eine Heimatlose auch im Kreistag

An dessen Spitze steht eine Frau, die das Prinzip der politischen Migration auch im Kreistag vertritt: Margarethe Strathoff. Die Unnaerin war dort bis vor Kurzem Fraktionsmitglied der SPD, warf aber nach einem lang angewachsenen Zerwürfnis mit ihrer Partei die Brocken hin. Das eint sie wiederum mit Ingrid Kroll, die im Rat der Stadt und im Kreistag aus der Fraktion ausgetreten ist, bevor sie der SPD noch das Parteibuch zurückgab.

Ingrid Kroll braucht noch Bedenkzeit, sagt sie

Kroll gilt als wahrscheinliche Kandidatin bei „Wir für Unna“. Bestätigen will sie es noch nicht. „Lasst mich bitte erst einmal zur Ruhe kommen“, habe sie allen gesagt, die sie danach gefragt haben. Dass sie ihre politische Arbeit gerne fortsetzen würde, bestätigt sie aber. Die Ironie am Ende der Geschichte: Kroll würde genau die Situation schaffen, für deren zunächst fälschliche Unterstellung sie der SPD den Rücken kehrte.

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Ein anderer, der bereits angekündigt hat, sich eine neue politische Heimat zu suchen, ist Erich Kreß. Wohin es ihn führen wird, hat er bislang noch nicht bekannt gegeben. Doch würden sich britische Buchhalter für Wetten auf die künftigen Mitgliedschaften abtrünniger Ratsmitglieder öffnen, gäbe es die niedrigsten Quoten wohl bei einem Eintritt von Kreß in die FLU.

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Mit dessen Vize-Vorsitzenden Franz-Josef Klems verbindet Kreß eine besondere Nähe. Die beiden arbeiten auch im Verein „Bürger für Bürger in Unna“ zusammen, der im Advent Einkaufsgutscheine für Bedürftige finanziert. Und: Kreß hatte betont, dass nicht er sich von den Ideen der CDU abgewendet habe, sondern die Unnaer CDU die eigene Haltung nicht mehr vertrete. So gesehen wäre die Freie Liste, die einst aus einer Fraktionsabspaltung bei der CDU entstanden ist, eine naheliegende neue Heimat.

Einen neuen Vorstand aus Pressesprecher Klaus Göldner, Schriftführer Torsten Haase, dem Vize-Vorsitzenden Franz-Josef Klems, dem Vorsitzenden Michael Schwering und Schatzmeisterin Sarah Göldner hat die Freie Liste bereits seit der Jahreshauptversammlung am Dienstag. Nun geht es an die Suche nach Kandidaten. Ziel: Alle 23 Wahlbezirke in Unna besetzen.

Einen neuen Vorstand aus Pressesprecher Klaus Göldner, Schriftführer Torsten Haase, dem Vize-Vorsitzenden Franz-Josef Klems, dem Vorsitzenden Michael Schwering und Schatzmeisterin Sarah Göldner hat die Freie Liste bereits seit der Jahreshauptversammlung am Dienstag. Nun geht es an die Suche nach Kandidaten. Ziel: Alle 23 Wahlbezirke in Unna besetzen. © Privat

Deren aktueller Fraktionsvorsitzender Klaus Göldner kann sich freuen. Sein Verein gilt neben „Wir für Unna“ als das Sammelbecken aller, die es zu den etablierten Parteien nicht gerade hinzieht, ob es nun an inhaltlichen Fragen liegt oder an den Nachwehen der „Causa Risadelli“. Bei den öffentlichen Fraktionssitzungen, die zugleich der Kandidatenanwerbung für die Kommunalwahl am 13. September dienen, sei erfreulich viel Besuch gewesen. Auch aus dem Kreis der Fraktionslosen im derzeitigen Stadtrat seien schon Interessierte gekommen, erklärt Göldner.

Die FLU will entweder stadtweit kandidieren oder gar nicht

Ob sie bei der FLU einsteigen wollen und ob man zueinander passt, müsse sich aber noch zeigen. Im März will die FLU ihre Kandidaten benennen, die danach erst einmal Unterstützerunterschriften sammeln müssen, um antreten zu dürfen. Ziel dabei: Alle 23 Wahlbezirke besetzen. „Entweder kandidieren wir richtig oder gar nicht“, so Göldner.

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Göldners Beobachtung, dass sich einige der Fraktionslosen aktiv umschauen, wem sie sich wohl für ein weiteres politisches Wirken nach der Wahl anschließen könnten, stützt wiederum eine These von einem ehemaligen Parteifreund: CDU-Fraktionschef Rudolf Fröhlich hatte gemutmaßt, dass einige der heute Fraktionslosen vielleicht nach einem nüchternen Blick auf die Chancen einer Wiederwahl mit der ursprünglichen Partei zu dem Schluss gekommen sind, dass die bei einer anderen bessere haben könnten. Am Ende ist die Wahl der politischen Heimat vielleicht nicht nur eine Frage der Überzeugung, sondern ganz einfach abhängig davon, wo man einen guten Platz findet.

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