Königsborner Kita setzt auf Algorithmen für mehr Chancengerechtigkeit

Forschungsprojekt

Die Arbeit in Kindertagesstätten verändert sich rasant. Ansprüche steigen, Kitas sind längst Bildungseinrichtungen. Eine Königsborner Kita ist nun Teil eines spannenden Forschungsprojektes.

Unna (UN)

27.12.2021, 08:55 Uhr / Lesedauer: 2 min
Der fünfjährige Alexander zeigt der Sprachförderkraft Stefanie Schradi in der KEEP-Kita, wie er die Schildkröte auf dem Bildschirm steuert.

Der fünfjährige Alexander zeigt der Sprachförderkraft Stefanie Schradi in der KEEP-Kita, wie er die Schildkröte auf dem Bildschirm steuert. © Henryk Brock

102 Kinder besuchen die KEEP-Kita in Unna-Königsborn, die sich in der Trägerschaft der Sozialpädagogischen Initiative Unna (SPI) befindet. Sie alle werden in den kommenden Jahren ihre Schullaufbahn starten. Doch die Weichen für den Erfolg ihrer Bildungsbiographien werden schon jetzt gestellt.

Deshalb ist eine treffsichere Einschätzung der Fertigkeiten und Entwicklungsstände der Kinder so entscheidend. KEEP geht dafür einen bislang einmaligen Weg und setzt im Rahmen eines Forschungsprojekts auf die Unterstützung durch moderne Software, von der insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund profitieren können.

Animierte Schildkröte hilft bei Ermittlung des Sprachstandes

Alexander liebt die animierte Schildkröte. Sie führt ihn – unter Begleitung der Sprachförderkraft Stefanie Schradi – durch das Programm am Computer im Besprechungsraum der Königsborner Kindertagesstätte. Für den Fünfjährigen ist es ein angenehmes bis spannendes Spiel. Alexander hört die Anweisungen aus dem Computer-Lautsprecher, findet Gegenstände auf dem Monitor-Screen und versucht, die richtigen Bilder anzuklicken.

Im Hintergrund erfassen die Algorithmen Alexanders Sprachstand, seine audiovisuellen Fähigkeiten und vieles mehr, was für eine erfolgreiche Entwicklung wichtig ist. Die Software vergleicht die individuellen Ergebnisse mit den jeweiligen Normalverteilungen und erzeugt am Ende einen Bericht, der die Stärken und Schwächen des Kindes treffsicher einordnen und eine ebenso schnelle wie zielgerichtete weiterführende Begleitung ermöglichen soll.

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Programm ist in vielen Sprachen nutzbar

Ein besonders zentraler Punkt: Das Programm ist vielsprachig und gibt den Kindern die Aufträge auch in ihrer Muttersprache. Nur so kann die Software zwischen Sprachentwicklungsrückständen und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheiden. Die eine Diagnose führt etwa in die Logopädie, die andere in einen Deutsch-Förderunterricht. „Es ist ein entscheidender Vorteil, dass wir das jetzt so früh differenzieren können“, sagt die Sprachförderkraft Stefanie Schradi. Andernfalls würden Therapien ins Leere laufen und wertvolle Zeit verstreichen.

Setzen sich gemeinsam für die Chancengerechtigkeit der Kinder ein (v.l.): Sprachförderkraft Stefanie Schradi, Dorothée Schackmann (Kreisgruppengeschäftsführerin beim Paritätischen), Diana Hobmeier (stellvertretende Leitung der KEEP-Kita Königsborn) und Prof. Dr. Monika Kil (wissenschaftliche Begleitung).

Setzen sich gemeinsam für die Chancengerechtigkeit der Kinder ein (v.l.): Sprachförderkraft Stefanie Schradi, Dorothée Schackmann (Kreisgruppengeschäftsführerin beim Paritätischen), Diana Hobmeier (stellvertretende Leitung der KEEP-Kita Königsborn) und Prof. Dr. Monika Kil (wissenschaftliche Begleitung). © Henryk Brock

Diese Herausforderung trifft auf immerhin 40 Prozent der Kinder bei KEEP zu. Sie haben einen anderssprachigen Hintergrund, und eine valide Beurteilung ihrer sprachlichen Entwicklung würde mindestens den Einsatz muttersprachlicher Dolmetscher voraussetzen – was weder finanziell noch praktisch möglich ist bei sechs verschiedenen in der Kita vertretenen Fremdsprachen. Diese Lücke soll nun durch die Algorithmen gefüllt werden. Das Computerprogramm kann mit den Kindern in 20 verschiedenen Sprachen kommunizieren.

Forschungsprojekt des Verbandes „Der Paritätische“

Der Einsatz in der Königsborner Kita läuft im Rahmen eines Forschungsprojekts, das der Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“ in sieben seiner Mitgliedseinrichtungen im Kreis Unna und in Hamm durchführt. „DiVA“ heißt das Vorhaben und steht für „Digitales Verfahren zur mehrsprachigen Bildungs- und Sprachdiagnostik und nachhaltigen Anwendung“. Hinter dem etwas sperrigen Titel steht der Wunsch, Kinder – unabhängig von Familien- und Zuwanderungsgeschichte – sicher und fair in ihrer Bildungsbiographie zu begleiten.

„Es geht um Chancengerechtigkeit“, fasst Dorothée Schackmann, Kreisgruppengeschäftsführerin des Paritätischen, zusammen. „Wir wollen jedem Kind die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen geben und hoffen, durch dieses Projekt bessere Methoden an die Hand zu bekommen.“ Die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW unterstützt das in dieser Form bundesweit einzigartige Projekt.

Projekt läuft noch bis Mitte 2022

Das von der Universitätsprofessorin Dr. Monika Kil wissenschaftlich begleitete Projekt wird bis zum Juni 2022 laufen. Bis dahin sollen möglichst alle KEEP-Kinder, mindestens aber die für das kommende erste Schuljahr angemeldeten Kinder das digitale Screening durchlaufen. Und bei allen wird die Software Hinweise auf Entwicklungsstände in Form kompletter Berichte geben. Diese Berichte sollen Erzieherinnen und Erziehern, Eltern, Kinderärztinnen und -ärzten, logopädischen Praxen, dem Gesundheitsamt und anderen Akteuren als Grundlage für das weitere Vorgehen dienen.

Wenn die Mädchen und Jungen sich um den Computer im Besprechungsraum der KEEP-Kita versammeln, ahnen sie nicht, dass ihr Spiel wichtige Erkenntnisse zu ihrer persönlichen Entwicklung liefert.

Wenn die Mädchen und Jungen sich um den Computer im Besprechungsraum der KEEP-Kita versammeln, ahnen sie nicht, dass ihr Spiel wichtige Erkenntnisse zu ihrer persönlichen Entwicklung liefert. © Henryk Brock

Dabei traten schon jetzt überraschende Ergebnisse zutage, wie Stefanie Schradi und die stellvertretende Kita-Leiterin Diana Hobmeier berichten. So stellte das Programm bei einem Vorschulkind, für das zunächst keine besondere Förderung vorgesehen war, eine eingeschränkte Merkfähigkeit fest. Nun können die Erzieherinnen aber auch die Eltern gezielt mit dem Kind trainieren – für einen Schulstart unter den bestmöglichen Lernbedingungen.