
Wären wir in einem Fußballstadion, dann würden Tausende Fans wohl skandieren: „Wir ham die Schnauze voll!“ Doch wir sind nicht im Fußballstadion, wir sind in unser aller Alltag und es geht auch nicht um die Bundesliga, sondern um den nicht nur sprichwörtlichen Ernst des Lebens: Zunehmend müssen wir uns in Deutschland 2024 die Frage stellen: Was funktioniert eigentlich noch in diesem Land? Und wohin soll das alles noch führen?
An so vieles haben wir uns schon gewöhnt. Zum Beispiel, dass Baustellen (praktisch) nie zum geplanten Zeitpunkt fertig werden, oft schier ewig dauern. Nehmen Sie nur die Rahmedetalbrücke der A45 bei Lüdenscheid.
Doch wir müssen nicht bis ins Sauerland schauen, der Blick muss nicht einmal über Unna hinausgehen: Nehmen wir nur das aktuelle Beispiel: Seit Wochen war öffentlich bekannt, dass am 17. November eine alte A1-Brücke, die sogenannte Liedbachtalbrücke, gesprengt werden soll. Durch Schilder sichtbar für jeden Autofahrer auf der B1 und der A1 rund ums Kreuz Dortmund/Unna.
Bis plötzlich am Mittwoch die Absage verkündet wurde. Aus drei dürren Sätzen der Autobahn GmbH bestand die Mitteilung. Drei nichtssagende Worte sollten ausreichen, die Absage zu begründen: „wegen technischer Probleme“. Was in Unternehmensdeutsch etwa so viel heißt wie: „Wir wollen nicht verraten, woran es liegt.“

Erst auf Nachfrage erfuhren wir, dass die Brücke möglicherweise anders zusammengefallen wäre, als man sich das gedacht hatte und man deshalb das Risiko nicht eingehen wollte.
Doch weiter unklar ist: Wie kann es sein, dass dieses Risiko erst wenige Tage vorher aufgefallen ist. Was ist in den Wochen und Monaten vorher geschehen? Warum mussten sich erst Anwohner auf eine Evakuierung vorbereiten, warum Schilder aufgestellt werden, die von der Sperrung der A1 kündeten (und wochenlang umsonst dort standen)?
Es geht zu viel schief
Wäre es nur die verschobene Sprengung allein, könnte man noch sagen: Fehler sind menschlich, können vorkommen. Besser man gewährt der Sicherheit Vorrang. Aber es geht insgesamt zu viel schief, als dass die Menschen sich weiter mit solchen Argumenten zufrieden gäben.
Stattdessen müssen wir zunehmend den Eindruck gewinnen, dass es um uns herum kein einziges funktionierendes Infrastrukturprojekt mehr gibt. Die IGA 2027 in Bergkamen? Findet nicht statt, nachdem es im Frühjahr noch geheißen hatte, das Projekt werde kommen.
Die Bauarbeiten an Bahnschienen rund um Unna? Auf der Strecke der S4 aus Dortmund sollte bis 4. November Schienenersatzverkehr fahren. Anfang Oktober die erste Verschiebung: Die Arbeiten würden bis Mitte Dezember dauern, hieß es nun. Viel Geld würde ich auf diesen Termin nicht setzen. Denn in einer Mail der Deutschen Bahn, die uns am Mittwoch erreichte, hieß es, bei den Arbeiten habe es „eine mehr als dreimonatige Verzögerung gegeben“. Und weiter: „Die Expert:innen der DB arbeiten derzeit unter Hochdruck daran, den Bauablauf so zu optimieren, dass sie die Brückenarbeiten bis zum 15. Dezember beenden können.“
Das Schlimme ist: Für die öffentliche Wahrnehmung spielt es kaum mehr eine Rolle, ob die angeführten Gründe von Autobahn GmbH, von Deutscher Bahn, von den IGA-Verantwortlichen stammen oder ob man den Menschen einfach keinen reinen Wein einschenken will. Das Vertrauen in sie, das Vertrauen in den Staat, „seine“ Institutionen und seine Vorhaben insgesamt, ist schwer gestört. Termine werden nicht gehalten, Kosten explodieren, Vorhaben kommen gar nicht zustande, wie etwa der seit Jahrzehnten in der Nachbarmetropole Dortmund geplante Boulevard Kampstraße, der Anfang November beerdigt wurde.
Leider kommen wir hier nicht einmal mit Galgenhumor weiter. Die Probleme sind zu gewichtig. Die Erleichterung war allenthalben groß, als die Ampel-Koalition platzte und sicher Wunsch vieler Menschen nach Neuwahlen erfüllte. Doch Neuwahlen sind kein Selbstzweck. Der Staat muss wieder funktionieren, Projekte müssen wieder klappen. Sonst droht am Morgen nach der Bundestagswahl ein böses Erwachen.