Peter Neururer, Schalke und „der härteste Schlag in meiner Karriere“ 70 Jahre und ein bisschen leiser?

„Viele Leute sind bei einer ehrlichen Antwort erschrocken“
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Für die einen ist er ein Kult-Trainer, für die anderen ein Dampfplauderer: Peter Neururer polarisiert seit Beginn seiner Karriere. Heute wird der gebürtige Marler „70“. Es gibt also einiges zu besprechen im Gelsenkirchener Golfclub Haus Leythe, in dem das Geburtstagsinterview stattfindet. 90 Minuten mit Peter Neururer:

Wir kennen uns lange genug, also können wir direkt zur Sache kommen: 70 Jahre - was löst die „7“ vor der Null bei Ihnen aus?

Neururer: Naja, ganz ehrlich: Früher galt man mit „70“ fast schon als uralter Mann. Das hat sich ja Gott sei Dank geändert, und so fühle ich mich auch nicht. Ich fühle mich wie ein 45-Jähriger mit der Erfahrung eines 140-Jährigen. Aber effektiv bin ich ab Samstag nun mal „70“, das kann ich nicht leugnen.

Die Erfahrung des 140-Jährigen sammelten Sie vor allem in einer Branche, in der Sie es gemessen an den eigenen fußballerischen Fähigkeiten weit gebracht haben. Sie hätten Bälle so weit gestoppt, wie andere schießen, hieß es über den aktiven Fußballer Peter Neururer.

Stimmt, das hat tatsächlich mal jemand über mich gesagt. Meine Wahrnehmung über mich als Fußballer war eine andere. Ich fand mich weltklasse, habe aber immer in den falschen Ligen gespielt...

Peter Neururer
Peter Neururer über seinen Einstieg ins Profigeschäft: „Uns war klar: Wir müssen laut sein.“ © Tim Rehbein/RHR-FOTO

Die eigene Erinnerung spült mir einen beinharten Verteidiger ins Gedächtnis, der einen Trainer mal dazu animierte, mit ihm Torwarttraining zu machen - aber ohne Arme...

Heinz Neumann bei Fortuna Gelsenkirchen. Ein Riesentyp, legendär. Anfang der 80-er muss das gewesen sein. Südstadion Gelsenkirchen-Ückendorf. Ich musste in den Sandkasten und von ihm geschossene Bälle mit dem Kopf abwehren. Eine harte Schule. Als Spieler selbst hatte man mir in der Jugend mal gesagt, mir würde die nötige Härte fehlen. Da habe ich, bis dahin ein ganz guter Techniker und um spielerische Lösungen bemüht, mein Spiel komplett umgestellt und alles abgeräumt, was sich mir in den Weg stellte. Ich galt damals als Erfinder der Herz-Lungen-Grätsche.

Für den Profi-Bereich hat es als Spieler dann deshalb oder trotzdem nicht gereicht?

Den Traum musste ich aufgeben, es hat einfach nicht gepasst. Ich habe das mal so beschrieben: Warmgemacht habe ich mich wie Maradona, gespielt habe ich wie Katsche Schwarzenbeck. Den Spruch hat man mir sehr übel genommen - besonders bei den Bayern, wo Schwarzenbeck, immerhin Weltmeister 1974, ja eine Legende ist.

Nicht der einzige Neururer-Spruch, den einige in den falschen Hals bekamen. Waren es rückblickend ein paar Sprüche zu viel?

Als ich dabei war, aufs Profi-Trainerkarussell aufzuspringen, hatte man es schwer, wenn man vorher als Spieler nicht schon ein paar hundert Bundesligaspiele auf dem Buckel hatte. Da ging es mir wie Christoph Daum. Wir kannten uns von der Sporthochschule Köln, und uns war klar: Wir müssen laut sein, wir müssen auf uns aufmerksam machen, weil das sonst kein anderer für uns machen wird. Ja, wahrscheinlich haben wir das ein oder andere Mal überzogen. Aber vom Grundsatz her war es für uns die beste und vielleicht sogar einzige Möglichkeit, im Profigeschäft Fuß zu fassen.

Der Trainer des VfL Bochum, Peter Neururer (v.l.), "Quiz-Master"Jörg Pilawa, Mike Krüger, Margarethe Schreinekakers, Günter Netzer, Comedy-Star Ruth Moschner und Fußballweltmeister Pierre Littbarsky präsentieren sich nach der Aufzeichnung des Star Quiz am Mittwoch (12.11.2003) in Hamburg den Fotografen. Das Motto der Show, die am 20.11.2003 in der ARD ausgestrahlt wird, heißt "40 Jahre Bundesliga - Wie schlau sind Deutschlands Fußballer?". Es rätseln sechs Fußballspezialisten mit jeweils sechs p
Peter Neururer (l.) als Teilnehmer beim „Star-Quiz“: „Ich habe mich eine Zeit lang auch dann geäußert, wenn ich gar nicht gefragt wurde.“ © picture-alliance / dpa

Was dann aber dazu führte, dass Peter Neururer im Laufe der Zeit weniger als Trainer, sondern mehr als Sprücheklopfer oder gar Dampfplauderer wahrgenommen wurde.

Das kam ja auch nicht von ungefähr. Ich habe ja eine Zeit lang tatsächlich in jedes Mikrofon gesprochen, das mir unter die Nase gehalten wurde. Bin durch fast jede Fernseh-Show getingelt, die mir angeboten wurde, habe mich auch dann zu Themen geäußert, wenn ich gar nicht gefragt wurde. Ich war, wenn man das so sagen kann, ein Spektakel. Aber ich denke, das hat sich im Laufe der Zeit geändert.

Inwiefern - 70 Jahre und ein bisschen leiser?

Mit den 70 Jahren hat das nichts zu tun. Ich habe da schon seit einigen Jahren runtergefahren, beschränke mich auf Aktivitäten für meine Sponsoren und auf meine Experten-Tätigkeit bei Sport1. Und ich äußere mich nur noch, wenn ich auch gefragt werde.

Diesen „neuen“ Neururer haben aber die wenigstens registriert, in der öffentlichen Wahrnehmung gelten Sie noch immer als jemand, der gern seinen Senf zu allen möglichen Themen dazu gibt.

Wenn man einmal in einer solchen Schublade steckt, kommt man da auch kaum wieder raus. Aber mir ist das mittlerweile egal. Es geben ja umgekehrt auch Leute ihren Senf zu meiner Person dazu, die mich gar nicht kennen, die meine Arbeit gar nicht beurteilen können. Und viele kommen auch nicht damit klar, dass - wenn ich dann mal etwas kommentiere - nach wie vor meine Meinung sage. Es ist erstaunlich, wie viele Leute erschrocken sind, wenn sie auf eine Frage eine ehrliche Antwort bekommen.

Peter Neururer, Cheftrainer des VDV-Proficamps, jongliert einen einen Ball. Das Proficamp der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) startet unter Leitung von Cheftrainer Peter Neururer in der Sportschule Wedau. Dabei haben vereinslose Spieler die Chance, sich im Mannschaftstraining fit zu halten und sich in Testspielen für neue Jobs zu empfehlen. +++ dpa-Bildfunk +++
Peter Neururer am Ball: „Warmgemacht wie Maradona, gespielt wie Katsche Schwarzenbeck.“ © picture alliance/dpa

Dann mal Butter bei die Fische: Schalke ist auf Trainersuche, und der Name Neururer ist noch nicht in der Gerüchteküche aufgetaucht. Was ist da schiefgelaufen?

Auf Schalke sicher so einiges... Aber das Trainer-Thema ist für mich durch, Aus und vorbei. Es gilt, was ich aber schon immer gesagt habe: Für Schalke, den 1. FC Köln und den VfL Bochum würde ich dann eine Ausnahme machen, wenn dort mal für zwei oder drei Wochen jemand gesucht würde. Ansonsten beschränke ich meine Trainer-Tätigkeit auf die bei der VdV (Vereinigung der Vertragsfußballer, die Red.), die mir großen Spaß macht, auch weil wir damit vielen Profifußballern helfen, wieder einen Job zu bekommen. Unsere Quote liegt bei 80 Prozent.

Von den zahlreichen Vereinen, in denen Sie als Trainer tätig waren, hält sich der VfL Bochum, wenn auch etwas wackelig, als einziger in der Ersten Liga, im Gegensatz zu zum Beispiel Schalke, Hannover, Hertha BSC, Köln, Düsseldorf. Was haben die Bochumer besser gemacht?

Ich denke, dass der VfL in seinem Handeln und mit seinen Entscheidungen konsequenter war. In der Planung für die nun laufende Saison wurde dieser konsequente Weg allerdings verlassen, es war absehbar, dass man in der angedachten Konstellation nach der gerade so eben geschafften Relegation große Probleme bekommen würde.

So moderat urteilen Sie über Schalke wahrscheinlich nicht?

Ich bin ja Mitglied auf Schalke, daher habe ich auch ein Recht, meine Meinung zu äußern. Es gibt wahrscheinlich kaum einen Verein, bei dem innerhalb kurzer Zeit so viel falsch gemacht wurde. Frank Baumann als neuen Sportvorstand begrüße ich außerordentlich, ein guter Mann. Ich hoffe nur, er weiß, worauf er sich da einlässt. Stand jetzt ist Schalke für mich näher an der Dritten als an der Ersten Liga.

Fußball: 2. Bundesliga, FC Schalke 04 - 1. FC Kaiserslautern, 2. Spieltag, Veltins Arena: Der ehemalige Bundesligatrainer Peter Neururer betritt das Stadion. Neururer wird das Spiel zwischen Schalke und dem HSV für Sport1 begleiten. (zu dpa: «Neururer: Walter-Entscheidung könnte HSV den Aufstieg bringen») +++ dpa-Bildfunk +++
Peter Neururer (2. v. l.) bei seinem Amtsantritt auf Schalke im April 1989: „Mein Anteil am Klassenerhalt war aus meiner Sicht gar nicht so groß. Die Entlassung im November 1990 war dann aber der härteste Schlag ins Gesicht, den ich in meiner Karriere bekommen habe.“ Links auf dem Foto Co-Trainer Klaus Fichtel. © imago/Horstmüller

Als Trainer, vielleicht Ihr größter Erfolg neben dem Europapokal-Einzug mit Bochum, haben Sie Schalke 1989 vor dem Absturz in die Drittklassigkeit bewahrt. Kommt das zu kurz, wenn über Peter Neururer diskutiert wird?

Mein Anteil daran war gar nicht so groß, ich war vielleicht das Sprachrohr, aber entscheidend für den Klassenerhalt waren die Spieler selbst und „Tanne“ Fichtel, der damals mein Co-Trainer war. Was dann kam, war viel mehr auch mein Verdienst: Wir wurden in der Saison danach Fünfter, mit einer Mannschaft, die auch ich zusammengestellt hatte, und in der Saison danach waren wir auf Aufstiegskurs, als ich im November 1990 entlassen wurde. Das war der härteste Schlag ins Gesicht, den ich in meiner Karriere bekommen habe.

Gesundheitlich gab es 2012 einen fiesen Schlag: Was hat sich seit Ihrem Herzinfarkt geändert?

Keine Zigaretten mehr, auch den Bourbon, den ich mir hin und wieder gegönnt habe, lasse ich weg. Und ich versuche, mich nicht mehr über Dinge aufzuregen, die ich nicht beeinflussen kann. Es war ein Schuss vor den Bug, vielleicht gerade noch zur rechten Zeit.

Welche Wünsche hat Peter Neururer mit „70“?

Den Traum vom Bundesliga-Trainer habe ich mir erfüllt. Den, mal die Schale in der Hand zu halten, nicht. Ich würde schon noch ganz gern im Fußball da tätig sein, wo ich Einfluss und Verantwortung habe, ich bin ja fit. Aber sonst? Meiner Frau geht es gut, meinen Kindern und Enkelkindern auch. Eigentlich wünsche ich mir, dass alles so bleibt, wie es ist.

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