Restaurants in Dortmund schließen früher, weil Köche fehlen „Kein Licht am Ende des Tunnels“

„Kein Licht am Ende des Tunnels“: Mehr als 100 Köche fehlen in Dortmund
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Einen „Küchen-Alarm“ hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für Dortmund ausgerufen. Wenn man mit Gastronomen spricht, fallen ähnlich drastische Begriffe.

Von „Erdrutsch“ ist dann die Rede, von „Schiffbruch“. In einigen Küchen in Dortmund bleiben die Herdplatten nun länger kalt, denn es fehlen die Köche, die ihre Töpfe und Pfannen darauf erhitzen.

Die NGG geht von um die 100 unbesetzten Stellen für Köche in Dortmund aus. Philip Winterkamp, Dortmunder Kreisvorsitzender beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), rechnet mit noch mehr Bedarf. „Die Küche ist überall das Nadelöhr“, sagt er.

Auch Detlef Lotte, dem das „Dieckmann’s“ und das „Schönes Leben“ gehören, rechnet mit deutlich mehr als 100 Köchen, die aktuell in Dortmund gesucht werden.

Viele Gastronomie-Kollegen würden suchen, sagt Lotte. In seinen beiden Restaurants hat er die Öffnungszeiten von sieben auf sechs Tage reduziert. Wie lange er das noch halten könne, wisse er noch nicht. Nachmittag lege man mittlerweile eine Küchenpause ein. Auch das habe es vorher nicht gegeben. „Wir stehen am Rande unserer Möglichkeiten“, sagt Lotte. „Und ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels.“

„Wir haben ein Imageproblem“

Vier Köche fehlen insgesamt in seinen beiden Restaurants. Der Fachkräftemangel in Deutschland macht auch vor den Küchen der Restaurants nicht halt. Mit Aushilfen, die den Köchen zuarbeiten, halte man sich über Wasser, sagt Lotte. Aber auch die seien nicht leicht zu finden.

„Da ist die Gastronomie als Branche auch selbst für verantwortlich“, gibt sich Dehoga-Vorsitzender Winterkamp selbstkritisch. Man habe den Mitarbeitenden zu wenig Wertschätzung entgegengebracht. In der Corona-Zeit seien viele Mitarbeitende in andere Branchen abgewandert. Hinzu gebe es mehr Konkurrenz durch Kantinen, die Unternehmen verstärkt anbieten würden, um attraktiv für Arbeitnehmer zu sein. Die Arbeitszeiten seien da geregelter.

Dehoga-Vorsitzender Philip Winterkamp sieht viele Herausforderungen auf die Gastronomie-Branche zukommen. Ein großes Problem ist derzeit, dass viele Köche fehlen.
Dehoga-Vorsitzender Philip Winterkamp sieht viele Herausforderungen auf die Gastronomie-Branche zukommen. Ein großes Problem ist derzeit, dass viele Köche fehlen. © Thomas Thiel

„Wir haben ein Imageproblem, was Arbeitszeit und Bezahlung angeht. Es ist ein Job, den man lieben muss. Er ist anstrengend und stressbedingt nicht zu unterschätzen.“

Schon vor Corona habe man versäumt, die Preise in der Gastronomie so zu gestalten, dass die Mitarbeiter auch davon profitieren können. „Ein Stück weit sei das korrigiert worden“, sagt Winterkamp.

Im Mai 2022 stieg der Einstiegslohn in der Branche auf 12,50 Euro pro Stunde – 28 Prozent mehr als bislang. Fachkräfte in der Küche, im Service oder Hotelmanagement bekommen seit der Tariferhöhung 17 Prozent mehr Gehalt.

„Würden Schiffbruch erleiden“

„Es ist kein Problem, das man mittelfristig lösen kann“, ist sich Winterkamp sicher. Er betreibt das Freischütz in Schwerte an der Stadtgrenze zu Dortmund. Zwei oder drei Köche würden ihm fehlen. Deshalb sei man im Mai einen radikalen Schritt gegangen und habe die Öffnungszeiten angepasst. Das À-la-carte-Restaurant schließt eine Stunde früher. Freitag und Samstag öffnet man gar nicht mehr.

An diesen Tagen konzentriert man sich auf die Gesellschaften, die in der großen Halle bewirtet werden. „Wenn wir beides gleichzeitig fahren würden, würden wir Schiffbruch erleiden“, sagt Winterkamp. „Dass wir Freitag und Samstag geschlossen haben, sorgt auch für Unverständnis, aber wir können unsere Mitarbeiter nicht verheizen.“

„Immer häufiger stehen Gäste vor verschlossenen Türen. Wer zum Essen herausfährt oder etwas trinken möchte, sollte sich besser vorher im Internet oder per Anruf erkundigen, ob das Lokal auch offen hat. Und vor allem, wie lange es warme Küche gibt“, rät Torsten Gebehart von der Gewerkschaft NGG.

3.000 Euro Einstiegsgehalt gefordert

Er fordert eine klare Perspektive für die Beschäftigten. Ein „Gastro-Start-Lohn“ von 3.000 Euro brutto pro Monat nach einer Ausbildung ist für Gebehardt ein Muss.„Höhere Löhne und bessere Arbeitszeiten sind der Schlüssel für mehr Personal“, macht Torsten Gebehart klar.

Köche und Kellnerinnen in Dortmund würden ziemlich oft nah an der Mindestlohnkante von 12 Euro pro Stunde entlangschrammen. „Ein Großteil der Gastro-Betriebe zahlt noch immer keinen Tariflohn. Das ist ein Unding, wenn man gute Leute sucht.“

Auch er sei für eine faire Bezahlung in der Gastronomie, sagt Winterkamp. Aber die von der NGG nun geforderten 3000 Euro Einstiegsgehalt hält er nicht für realistisch.

„Dann gibt es einen Erdrutsch“

„Wenn wir das jetzt umsetzen müssten, sehe ich schwarz. Es muss auch am Markt darstellbar sein, denn das wirkt sich dann natürlich auch auf die Preise für die Gäste aus.“ Man merke, dass Gäste wegen der Inflation eher günstigere Preissegmente auswählen würden. Die Lohnkosten würden jetzt schon einen großen Anteil ausmachen. Hinzu kämen die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise.

Außerdem soll die Mehrwertsteuer in der Gastronomie nach der Absenkung wieder von sieben auf 19 Prozent ansteigen.

Auch Detlef Lotte graut vor dem 1. Januar 2024, zu dem diese Corona-Unterstützung auslaufen wird. „Dann gibt es einen Erdrutsch. Da verschwinden bestimmt 20 Prozent der Gastronomien“, schätzt er. „Es ist eine ganze Summe von Faktoren, die die Gastronomie und damit das Wohnzimmer Deutschlands bedroht.“

Ein Faktor ist für ihn auch der Anspruch der jüngeren Generation, dass Beruf und Freizeit sich besser vereinbaren lassen. „Man kann in der Gastro leider kein Home-Office machen und der Roboter ist noch nicht so weit, dass er in der Küche stehen kann und etwas kocht“, sagt Lotte.

Mit Agenturen und Headhuntern sei er händeringend auf der Suche nach Köchen. „Aber die anderen suchen auch alle. Wo keine Fische im Teich sind, kann man auch nichts an Land ziehen“, sagt Lotte.

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