
© Marc MW. Wahlhäuser
Das Abenteuer in Griechenland muss Tetzner nicht zum Verhängnis werden
Politik
Einmal gewählt lässt sich ein Mitglied des Stadtrates nicht ohne weiteres herauswerfen. Der Fall Christoph Tetzners macht dabei keine Ausnahme. Er ist zudem nicht einmal der erste dieser Art.
Wie wird man ein Ratsmitglied los, wenn es sich schon kurz nach der Wahl als Enttäuschung entpuppt? Diese Frage beschäftigt nicht mehr nur „Wir für Unna“. Die Geschichte von dem westfälischen Ratsherrn, der sein Mandat seit Monaten aus Griechenland ausübt, zieht in der öffentlichen Debatte weitere Kreise. Und der Druck auf Christoph Tetzner wächst.
Zu Wort gemeldet hat sich nun zum Beispiel Professor Dr. Christian Jänig. Der frühere Stadtwerkechef gilt eigentlich als SPD-Mann, aber auch als enger Vertrauter von Ingrid Kroll, der designierten Fraktionsvorsitzenden bei „Wir für Unna“. In welcher Rolle er sich bewogen fühlt, Position zu beziehen, wird aus einer Stellungnahme des anerkannten Ex-Managers gar nicht richtig deutlich. Klar ist aber, dass Jänig auf einen Punkt abzielt, der ihn offenkundig verärgert: „Suchet der Stadt bestes“, greift Jänig das Jeremia-Zitat auf dem Friedensstein im Rathaus auf, „aber ist dies auf der griechischen Insel Kos zu finden?“
Seit März habe Tetzner an keiner Rats-, Ausschuss- oder Aufsichtsratssitzung mehr teilgenommen und damit nach seiner Einschätzung gegen die Verpflichtung als Ratsmitglied verstoßen, die er 2014 vor Bürgermeister Werner Kolter aussprach. Tetzner habe in der Zeit natürlich weiter seine Aufwandsentschädigungen bezogen, aber keine Gegenleistung erbracht, kritisiert Jänig.
„Tetzner zeigt keinen Anstand“
Die Argumente, mit denen Tetzner erklärt, warum er bislang nicht nach Deutschland habe zurückkehren können, überzeugen Jänig nicht. Er geht sogar davon aus, dass Tetzner tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt nach Griechenland verlegt habe. „Anstand hätte Herr Tetzner gezeigt, wenn er sein Mandat zurückgegeben hätte. Anständigerweise müsste er auch die ihm aufgrund seiner Abwesenheit und damit verbundenen Untätigkeit nicht zustehende Aufwandsentschädigung zurückerstatten“, fordert Jänig. Und er legt nach: „Aber so viel Anstand kann man sicherlich nicht erwarten.“

Christian Jänig (2.v.r.), Christoph Tetzner (2.v.l.) und Ingrid Kroll hatten schon einmal ein besseres Verhältnis. Dieses Bild zeigt die drei bei einer gemeinsamen Reise nach Griechenland. © Privat
Kein Rauswurf aus dem Stadtrat
Solch eine Wut auf einen Abtrünnigen ist wohl nur allzu menschlich. Im Rat der Stadt haben das vermutlich alle der zuletzt neun Fraktionslosen zu spüren bekommen, als sie mit ihren vormaligen Mitstreitern brachen. Die Aufforderung, bei einem Fraktionsaustritt doch auch das Mandat aufzugeben und den Sitz im Rat für einen Nachrücker der Partei freizumachen, ist etwas völlig Normales. Und ebenso normal ist, dass sie ungehört bleibt.
Nur eine Handvoll Stadtverordnete gaben bislang mit der Fraktionszugehörigkeit auch gleich Sitz und Tätigkeit im Rat auf. Die letzten beiden waren erst in diesem Sommer Charlotte Kunert und Ismet Sacit Soyubey bei den Bündnisgrünen. Zuvor hatte Holger-Joachim Wiese seine inhaltliche Unzufriedenheit mit dem Kurs der CDU damit ausgedrückt, dass er nicht nur aus der Fraktion austrat, sondern auch aus dem Stadtrat.
Zumindest öffentlich drückten seine damaligen Mitstreiter damals auch Anerkennung dafür aus, dass Wiese auch bei der Trennung Anstand bewies. Wiese, Kunert und Soyubey hatten die Aufgabe des Ratsmandates allerdings gleich von sich aus beschlossen. Bei allen, die sich anders entschieden hatten, halfen auch Forderungen nichts. Auch Ingrid Kroll und Bärbel Risadelli wussten Argumente vorzubringen, warum sie nach dem Austritt aus der SPD-Fraktion zunächst als Fraktionslose im Rat blieben. Künftig vertreten sie dort Wir für Unna.
Einzige Chance: Geld nur noch pro Sitzung
Was aber tun, wenn ein ehemaliger Ratskollege oder eine Kollegin zwar aus der Fraktion austritt, aber partout nicht seinen Sitz freimachen will? Außer ärgern bleibt den Verlassenen wenig. Verbindliche Vorgaben dafür, wie oft ein Ratsmitglied an Sitzungen teilnehmen muss oder wie oft es fehlen darf, gibt es weder in der Gemeindeordnung NRW noch in der Geschäftsordnung des Unnaer Stadtrates.
Die Möglichkeit, Abwesenheit auch finanziell zu ahnden, ist zumindest für Unna eher theoretisch: Die Entschädigungsordnung NRW lässt es zu, dass die Aufwandsentschädigung der Mandatsträger nicht als Pauschale ausgezahlt wird, sondern als Sitzungsgeld. Eine solche Umstellung würde im Rathaus vermutlich mehr Arbeitsaufwand bedeuten, aber für die Ratsleute klarstellen: Wer nicht zur Sitzung kommt, kriegt auch nichts.
Strichliste für Jörg Hißnauer
Ansonsten aber steht es Ratsmitgliedern, wenn sie rechtmäßig gewählt worden sind und einen Hauptwohnsitz in Unna angemeldet haben, völlig frei, ob sie zur Sitzung kommen oder sich andernorts aufhalten. Das hat auch schon eine andere Ratsfraktion einmal erfahren. So sorgte der inzwischen verstorbene Ratsherr Jörg Hißnauer lange für Verärgerung bei seinen früheren Mitstreitern von der Freien Liste, weil auch er eine Zeitlang nur selten seinen Platz im Ratssaal einnahm. FLU-Fraktionschef Klaus Göldner ließ sogar anhand von Protokollen eine Auswertung vornehmen, wie oft Hißnauer eigentlich an Sitzungen teilnahm. „Als ich deswegen eine Anfrage an den Bürgermeister gestellt habe, hab ich aber nur Prügel bekommen“, so Göldner. „In der Gemeindeordnung steht zwar, dass jeder, der für ein Amt gewählt worden ist, auch seine Arbeit machen muss. Aber leider ist das nicht justiziabel.“
Verwurzelt und gewachsen in der Hellwegbörde. Ab 1976 Kindheit am Hellweg in Rünthe. Seit 2003 Redakteur beim Hellweger Anzeiger. Hat in Unna schon Kasernen bewacht und grüne Lastwagen gelenkt. Aktuell beäugt er das politische Geschehen dort und fährt lieber Fahrrad, natürlich auch auf dem Hellweg.
