160.000 Euro – so viel Geld ist Pascal Wagner bereit, auf den Tisch zu legen. Schon eine ganze Weile ist der 28-jährige Castrop-Rauxeler auf der Suche nach einem eigenen Haus: „Mein Ziel ist es, irgendwann einmal eine Familie zu haben.“ Seine Idee: Am Amtsgericht wird an diesem Dienstagmorgen (1.10.) ein Reihenendhaus an der Damaschkestraße in Ickern versteigert – Verkehrswert: 207.000 Euro. Also fast 50.000 Euro mehr, als Pascal Wagner ausgeben kann. Er muss bei seiner ersten Zwangsversteigerung also auf ein Schnäppchen hoffen.
Momentan wohnt der Automatisierungstechniker noch zur Miete in der Nähe des Stadtgartens und arbeitet für ein amerikanisches Unternehmen. Sein Onkel hatte ihn auf die Zwangsversteigerung aufmerksam gemacht. Das Haus, das unter den Hammer kommt, ist knapp 80 Quadratmeter groß, das Grundstück 284 Quadratmeter. „Bei Zwangsversteigerungen kann man schon deutlich unter den normalen Marktpreisen an ein Haus kommen“, weiß Pascal Wagner. Große Hoffnungen möchte er sich an diesem Morgen trotzdem nicht machen. Er will erstmal schauen und dann vielleicht auch mitbieten. „Aufgeregt bin ich nicht“, sagt er. Bei seinem beschränkten Budget sei ein Zuschlag ohnehin nicht besonders realistisch: „Aber ich habe nichts zu verlieren.“
Das sind die Regeln
Um kurz vor 10 Uhr werden die Türen von Saal 1 zur Versteigerung geöffnet. Da ist Pascal Wagner – in Trainingsjacke, Kapuzenpulli und Sneakern – noch entspannt. Anders als Bieter Nummer Zwei: Ob er für die Zwangsversteigerung hier sei? Ja. Ob er kurz Zeit für ein Gespräch habe? Nein. Kurz bevor der Rechtspfleger, der die Versteigerung leitet, noch ein letztes Mal „Es beginnt die Zwangsversteigerung“ in den Flur ruft und die Tür schließt, schlüpft noch ein Maklerduo mit Ledermappen unter den Armen hinein. Aus dem Zweikampf ist soeben ein möglicher Dreikampf geworden, bei dem neben zwei Neulingen auch Profis mitmischen.

Doch bevor er richtig losgeht, erklärt der Rechtspfleger die Regeln: keine Fotos, keine Tonaufnahmen, telefoniert wird draußen und wer ein Gebot abgibt, muss seinen Ausweis vorne abgeben. Dann wird das Reihenendhaus nochmal vorgestellt und es heißt: „Wir haben jetzt 10.21 Uhr und die Bietzeit ist eröffnet.“ Eigentlich gelten bei Zwangsversteigerungen zwei wichtige Grenzen: wird weniger als fünf Zehntel des Schätzwertes – in diesem Fall 103.500 Euro – geboten, muss das Gericht das Gebot ablehnen. Wird weniger als sieben Zehntel geboten, haben die Gläubiger das Recht abzulehnen. Aber: Wenn im ersten Versuch kein Gebot angenommen wird, gibt es einen zweiten Termin, bei dem diese Grenzen entfallen.
Bieter im Schlagabtausch
Die Bank als Gläubiger macht allerdings gleich klar: Sie wird nicht auf die Sieben-Zehntel-Grenze beharren. Eine gute Nachricht für die drei Bieter. Doch es gibt noch Klärungsbedarf: „Wenn man einmal bietet, kann man dann noch nachbessern?“, fragt Bieter Nummer Zwei. Natürlich geht das. Jeder Bieter kann so oft bieten, wie er möchte – und gerne auch nicht erst um Ende der 30 Minuten Bietzeit. „Dann müssen wir uns nicht alle noch länger den Hintern platt sitzen“, fügt der Vertreter der Bank hinzu. Genau das kann bei anderen Zwangsversteigerungen schonmal passieren.
Heute nicht: Nach gerade drei Minuten macht Pascal Wagner den ersten Schritt. Sein Einstiegsgebot über 103.500 Euro ist genau die Fünf-Zehntel-Grenze. Doch die Führung währt nur eine Minute, bis Bieter Nummer Zwei auf 110.000 Euro erhöht. Nun kehrt erstmal Ruhe ein. Pascal Wagner schreibt am Handy mit seiner Mutter; zu hören ist gerade nur das Mausklicken der Rechtspfleger und das Klackern von Absätzen auf dem Flur. Nach fünf Minuten Stille schaut der 28-Jährige auf die Armbanduhr – und hebt die Hand: „115.000 Euro.“
Plötzlich geht es schnell. Bieter Nummer Zwei kontert mit 5000 Euro mehr und Pascal Wagner ebenso. Als er nach einem weiteren Schlagabtausch auf 135.000 erhöht, wirft Bieter Nummer Zwei plötzlich 145.000 Euro in den Raum. Die Schlagzahl scheint sich zu erhöhen – und die Summen bewegen sich gefährlich nahe auf Pascal Wagners persönliche Schmerzgrenze zu. In nur zwei Minuten stieg der Preis um 35.000 Euro. Spätestens jetzt ist auch Pascal Wagner nervös. Er überlegt, ob er lieber nur noch in kleinen Tausender-Schritten bieten soll, wie er später verrät. Doch was wäre das für ein Signal an den Gegenüber? Er will jetzt keine Schwäche zeigen und bietet 150.000 Euro.
Bis zur Schmerzgrenze
Die Hälfte der Zeit ist rum – und die beiden Makler, wieder mit Ledermappe unterm Arm, verabschieden sich. Jetzt ist klar: das Haus wird an einen der beiden Neulinge gehen. Die Profis sind aus dem Spiel, doch das Spiel ist noch nicht aus. Bieter Nummer Zwei bietet 155.000 Euro und zwingt damit Pascal Wagner an dessen Maximum von 160.000 Euro. Mehr kann und will der 28-Jährige nicht bieten. „Die Bank guckt schon zufrieden“, stellt der Rechtspfleger fest.

Fünf Minuten noch bis zum Ende der Bietzeit und Pascal Wagner führt noch immer. Sein Fuß zittert, er gähnt. Bieter Nummer Zwei schaut lange zu ihm herüber. Wird der Kontrahent nochmal bieten und damit wohl den Zuschlag bekommen? Drei Minuten hat er noch Zeit. Aber er sagt: „Also von meiner Seite kommt nichts mehr.“ Pascal Wagner fällt in diesem Moment ein Stein vom Herzen, wie er später sagen wird. Die Spannung im Raum fällt ab. Jetzt heißt es nur noch drei Minuten warten. Pascal Wagner nutzt die Zeit, um mit beiden Daumen eifrig eine WhatsApp-Nachricht ins Handy zu tippen.
Um 10.51 Uhr wird sein Erfolg dann auch offiziell, als der Rechtspfleger sein Gebot zum letzten Mal ausruft: „160.000 Euro zur Ersten...“ Danach werden Hände geschüttelt und Glückwünsche ausgesprochen. „Das fühlt sich noch immer surreal an“, sagt Pascal Wagner. Für 47.000 Euro weniger als veranschlagt, bekommt er sein erstes eigenes Haus möglicherweise zu einem Schnäppchenpreis. Nur wie es von innen aussieht, das weiß er nicht. „Das ist eben das Risiko einer Zwangsversteigerung“, sagt er.