Zwangsversteigerung in Castrop-Rauxel Familienvater erhält Zuschlag – und spart 90.000 Euro

Haus 90.000 Euro billiger: Familienvater bei Zwangsversteigerung erfolgreich
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Konstantinos Georgiou sitzt am Dienstagmittag um kurz nach 12 Uhr im sterilen Wartebereich des Amtsgerichts in Castrop-Rauxel. Eigentlich heißt er anders, möchte aber ungern, dass sein Name in der Zeitung steht. Dabei ist der Anlass ein schöner: Das dunkle Hemd hat der 52-Jährige in die Hose gesteckt, in der Hand trägt er eine hellblaue Mappe wie in der Schule. Heute geht es um etwas. Um etwas Gutes. Am Amtsgericht wird ein echtes Traumhaus zwangsversteigert. Konstantinos Georgiou möchte es haben.

Eine Doppelhaushälfte in schöner Umgebung in Ickern, ein riesiger Garten, zwei Etagen plus ausgebautes Dachgeschoss und großer Keller. Schätzwert: 580.000 Euro. Hier kann sich der Castrop-Rauxeler ein Leben mit seiner Frau, seinen zwei Kindern und dem Familienhund vorstellen. Schon lange ist die Familie auf der Suche nach einem neuen Haus. Von der Auktion habe er aus der Zeitung erfahren. Vorher sei er noch nie bei einer Zwangsversteigerung gewesen.

Risiko: Von innen unbekannt

Ob er nervös ist? „Nein“, sagt der Familienvater. „Ich glaube eher, dass die Verkäufer nervös sind.“ Wobei Verkäufer es nicht so genau trifft. Bei der Zwangsversteigerung gehe es um die „Aufhebung einer Gemeinschaft“, wie der Rechtspfleger, der die Zwangsversteigerung leitet, erklärt. Die Frau, an die das Geld gehen wird, wird vom Rechtspfleger nur als „die Antragstellerin“ bezeichnet werden.

Kurz vor 12.30 Uhr: Es wird um Zutritt in Saal 1 gebeten. Sieben Menschen, die sich für die Immobilien interessieren, nehmen auf Holzstühlen am Ende des Raums Platz; drei Duos und Konstantinos Georgiou, der sich zunächst an den falschen Tisch setzt; es ist ja seine erste Zwangsversteigerung. Gekleidet sind sie alle normal, eher Sneaker mit Poloshirt als High-Heels oder Anzug.

Dann werden die Türen von Saal 1 geschlossen. Der Rechtspfleger beginnt, Formalia vorzulesen. Für Laien sind die Ausführungen nur schwer zu verstehen. Aber Konstantinos Georgiou kennt das Haus. Er hat sich nicht nur das Gutachten durchgelesen, sondern ist auch vorbeigefahren. Er hat Freunde, die ganz in der Nähe wohnen und ihm berichteten. Doch ein Risiko bleibt: Er weiß nicht, wie das Wunschobjekt von innen aussieht.

15 Minuten Stille

„Wenn ich gleich die Bietzeit eröffne, dann läuft sie mindestens 30 Minuten“, sagt der Rechtspfleger und wirbt dafür, nicht erst zum Ablauf der Zeit Gebote abzugeben – das habe keinerlei Vorteile. Dann eröffnet er um 12.43 Uhr die Bietzeit. Es passiert: nichts. Minutenlang. Die Interessenten starren Löcher in die gelben Wände von Saal 1. Unterhalten wird sich, wenn überhaupt, im Flüsterton. Ansonsten hört man Stühle klappen, Zettel rascheln und das Geräusch von Bonbonpapier, das zerknüllt wird.

Ein junges Pärchen, das sich ebenfalls für das Haus interessiert, tippt auf seinen Handys herum. Die Antragstellerin blickt regungslos aus dem Fenster auf der anderen Seite des Raums. So geht es eine Viertelstunde.

Keine typische Doppelhaushälfte: Diese Immobilien in der Straße Am Beerenbruch wurde zwangsversteigert
Keine typische Doppelhaushälfte: Diese Immobilien in der Straße Am Beerenbruch wurde zwangsversteigert. © Luca Füllgraf

Dann hält es Konstantinos Georgiou nicht mehr aus. Er steht auf, geht nach vorne zum Tisch des Rechtspflegers und sagt dabei in den Raum: „Dann mache ich mal den Anfang.“ Vorne angekommen, holt er seinen Ausweis aus der Bauchtasche und gibt sein Gebot ab. Weiter hinten im Raum ist es erst zu verstehen, als der Rechtshelfer laut verkündet: „392.000 Euro von Herrn Georgiou.“

Anschließend fragt er an die Antragstellerin gewandt: „Wird eine Sicherheitsleistung beantragt?“ Flüsternd kommt zurück: „Was heißt denn das?“ Damit ist gemeint, dass der Bieter Sicherheiten in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes hinterlegt. Die Sicherheitsleistung wird beantragt.

Der Preis steigt minütlich

Um 13.05 Uhr trauen sich die nächsten Interessenten aus der Deckung. Der Mann des jungen Ehepaares geht nach vorne und bietet genau 400.000 Euro. Anschließend scheint die Anspannung bei den beiden zu steigen. Die Blicke werden bange, die Arme sind vor dem Körper verschränkt.

Drei Minuten später – um 13.08 Uhr – fragt der Rechtspfleger, ob es noch weitere Gebote gebe. Ein Mann mittleren Alters steht auf. Er saß zusammen mit einem älteren Mann etwas abseits von den anderen Interessenten und bietet 410.000 Euro. Damit ist klar, dass die Doppelhaushälfte an diesem Tag definitiv über den Tisch geht. Denn: Wenn weniger als die Hälfte des Verkehrswertes geboten wird, muss das Gericht den Verkauf „von Amts wegen“ versagen. In diesem Falle wären das 290.000 Euro. Bei unter 70 Prozent hat der aktuelle Besitzer – die Antragstellerin – das Recht, das Gebot abzulehnen. Das wären bei einem geschätzten Verkehrswert von 580.000 Euro knapp 406.000 Euro. Und tatsächlich wurden bei einer ersten Versteigerung vor gut einem Jahr „nur“ etwa 390.000 Euro geboten.

Der Haupteingang des Amtsgerichts Castrop-Rauxel ist mit einer Sicherheitsschleuse gesichert. Wer zur Zwangsversteigerung möchte, muss hier durch.
Der Haupteingang des Amtsgerichts Castrop-Rauxel ist mit einer Sicherheitsschleuse gesichert. Wer zur Zwangsversteigerung möchte, muss hier durch. © Robert Wojtasik

Wieder zwei Minuten später versucht der Rechtspfleger sein Glück erneut und fragt nach weiteren Geboten. Diesmal steht niemand auf. Kurz später schon: Um 13.13 Uhr, genau eine halbe Stunde nach Anbruch der Bietzeit, versucht das junge Paar nochmal sein Glück und ruft: „Wir bieten 415.000 Euro.“ Nun nimmt das Wettbieten Fahrt auf.

Konstantinos Georgiou erhöht um 5000 Euro und der mittelalte Mann bietet schnell 430.000 Euro. Das Ehepaar schreibt auf einem kleinen Block und bietet schließlich 435.000 Euro. Es sollte das letzte Gebot von ihnen sein. Nachdem der mittelalte Mann auf 440.000 Euro erhöht und Konstantinos Georgiou 445.000 Euro ausruft, schütteln sie den Kopf. Der Block wird zugeklappt.

Nun sind nur noch zwei Interessenten im Rennen – für Georgiou nur noch ein Kontrahent auf dem Weg zum Traumhaus. Doch von diesem vermag er nicht einzuschätzen, wie viel Geld er bereit ist auszugeben. Seine eigenen Grenzen kennt der Familienvater hingegen: Mehr als 500.000 Euro möchte er ungern bezahlen.

Fast alle Seiten zufrieden

Doch das gegenseitige Hochbieten geht weiter, auch wenn beide die Zeit immer wieder ausreizen. In Fünftausender-Schritten steigt die Summe, bis Konstantinos Georgiou 465.000 Euro bietet. Der ältere Begleiter seines Kontrahenten zerkaut hörbar sein Bonbon. Der Rechtspfleger startet das Auszählen: „Zum Ersten, zum Zweiten...“ Doch bevor er „Zum Dritten“ sagen kann, kommt das Gegengebot über 475.000 Euro – der erste Zehntausender-Schritt. Jetzt ist es Konstantinos Georgiou der lange zögert. Und wieder das gleiche Spiel: Erst als der Rechtspfleger auszählt, bietet der 52-Jährige.

Konstantinos Georgiou wusste vor der Auktion nicht, wie die Doppelhaushälfte von innen aussieht. Bald gehört sie ihm.
Konstantinos Georgiou wusste vor der Auktion nicht, wie die Doppelhaushälfte von innen aussieht. Bald gehört sie ihm. © Luca Füllgraf

„Sie müssen nicht warten, bis ich ‚Zum Zweiten‘ sage“, ermahnt der Rechtspfleger die beiden Verbliebenen. Das junge Paar hinter Konstantinos Georgiou – das vor wenigen Minuten noch mitgeboten hatte – kann darüber schon wieder lachen. Die Anspannung scheint verflogen. Aber nur bei ihnen. Als Konstantinos Georgiou ein weiteres Gebot seines zähen Kontrahenten kontert und auf 490.000 Euro erhöht, meldet sich zum ersten Mal seit Minuten die Antragstellerin. Sie wedelt sich mit dem bunten Tuch Luft zu und sagt: „Ich kipp‘ gleich vom Stuhl.“ Später wird sie erklären, dass ihre Gesundheit zwar nicht wirklich in Gefahr gewesen sei, so eine Zwangsversteigerung aber natürlich auch nicht alltäglich ist: „Es war ein Wechselbad der Gefühle.“

Zurück zur Versteigerung: Wieder zählt der Rechtspfleger aus. Diesmal wird er nicht mehr unterbrochen. Um genau 13.30 Uhr endet das Bieten – und Konstantinos Georgiou hat ein neues Zuhause für seine Familie gefunden. So schlicht wie die Zwangsversteigerung begonnen hat, geht sie auch vorbei. „Ich bin glücklich“, sagt Konstantinos Georgiou zurück im Wartebereich vor Saal 1 im Castrop-Rauxeler Amtsgericht. Er strahlt dabei. Durch die Sicherheitsschleuse geht es ins Freie. Nun will er erstmal seine Frau und die Kinder anrufen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. Mai 2024.