Morddrohungen und Beleidigungen Purer Hass gegen Frauen, die Fußballspiele kommentieren

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Als die deutsche Nationalmannschaft am 5. Juli gegen Spanien tragisch aus der Fußball-Europameisterschaft 2024 rausfliegt, sind Millionen Menschen enttäuscht und tieftraurig. 26 Millionen Fans saßen vor den Fernsehern, wird in den Tagen danach bekannt, ein Marktanteil von 80 Prozent. Ein seltener Spitzenwert. Im Anschluss schauten sich noch rund 3,6 Millionen die zweite Viertelfinal-Partie im ZDF zwischen Portugal und Frankreich an. Claudia Neumann kommentiert dort. Es folgt ein Spießrutenlauf. Mal wieder.

„Stell dir vor, du verlierst das Viertelfinale gegen Spanien, schaltest um und Claudia Neumann kommentiert das andere Spiel. Schlimmer kann der Abend nicht mehr werden“, schreibt ein User auf „X“, ehemals bekannt als die Social-Media-Plattform Twitter. Es ist einer der Kommentare, die ohne persönliche Beleidigung auskommen. In vielen der hunderten Beiträge stecken Hass, Beleidigungen und Sexismus. Ein Beispiel aus der Gruppenphase: „Ivan Schranz kickt England raus und Claudia Neumann gehört in die Küche und nichts ins Stadion. Claudia Neumann raus aus den Stadien.“

Es gibt aber auch inhaltliche Kritik. Jeder Fehler von Neumann wird auf der Plattform seziert. Erst als sie sich hörbar Hilfe holt bei ihrem Redakteur, welcher Spieler einen Schuss abgeblockt hat, dann beim Elfmeterschießen als sie die portugiesischen und französischen Fans verwechselt. In die inhaltliche Kritik mischen sich Beleidigungen und Bedrohungen. „Was man bei Shitsorms beachten muss“, sagt Dr. Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule in Köln, „dass die Leute anonym und sehr emotional aufgeladen vom Leder loslassen. Das ist tatsächlich unterirdisch.“

Bertling betont, dass man sie fachlich kritisieren kann, sagt aber auch: „So kann man Tom Bartels ebenfalls kritisieren. Was aber in diesen Shitstorms kommt, ist unverhältnismäßig und stark diskriminierend.“

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Neumann kann mit den Shitstorms umgehen. Sie sagt: „Nein, ich kümmere mich nicht darum.“ In einem ihrer seltenen Interviews, erklärte sie vergangenes Jahr der Fußball-Plattform „FUMS“: „Nichts kam überraschend, denn das Phänomen des Fußball-Kommentatoren Bashings war ja auch meinen männlichen Kollegen ein ständiger Begleiter.“

Tatsächlich ist es nichts Neues, dass Fußball-Kommentatoren zum Feindbild von Fans und Zuschauern werden. Der langjährige Sky-Kommentator Marcel Reif hat das zu spüren bekommen, auch Béla Réthy, bis 2022 ein direkter Kollege von Neumann im ZDF. Die Ausmaße der Shitstorms nehmen bei Neumann eine neue Dimension an. „Solche Shitstorms werden immer größer und das hat vor allem mit der Digitalisierung zu tun“, sagt Bertling. „Hier ist die Verbindung stärker zwischen Sexismus und Diskriminierung.“

Der Sportjournalist und Fußballmoderator Marcel Reif hat jahrelang für den Pay-TV-Sender „Sky“ Fußballspieler kommentiert.
Der Sportjournalist und Fußballmoderator Marcel Reif hat jahrelang für den Pay-TV-Sender „Sky“ Fußballspieler kommentiert. © picture alliance / dpa

Auch andere Kommentatorinnen bekommen das immer wieder zu spüren. Als Claudia Neumann ihr erstes Spiel der diesjährigen Europameisterschaft zwischen Slowenien und Dänemark begleitet, trendet Neumann erneut in den Sozialen Medien und bekommt viel Hass entgegengeworfen. Parallel dazu kommentiert bei Magenta TV Christina Rann und erhält viel Lob. Ist es womöglich doch nur eine inhaltliche Debatte?

Rann bekommt dies noch mal anders zu spüren. Zwischen viel Lob für ihre sachlich, unaufgeregte Art mischen sich beim Spiel Portugal gegen Slowenien auch viele Beleidigungen. Insbesondere deshalb, weil Rann die Spielernamen der Portugiesen falsch aussprechen würde. Dass die Hamburgerin selbst portugiesische Wurzeln sowie die Staatsbürgerschaft hat und die Sprache fließend spricht, spielt dabei keine Rolle.

Zwar wird es immer mehr zur Normalität, dass weibliche Journalistinnen Fußballspiele kommentieren, aber so lang ist das noch nicht der Fall.

ZDF: Reagiert der TV-Sender richtig?

Im Jahr 2016 kommentierte Claudia Neumann als erste Frau bei einem Fußball-Männerturnier, der Europameisterschaft in Frankreich. Seitdem gehören die Shitstorms für die Kommentatorin dazu. Das ZDF stellt sich seitdem immer schützend vor ihre Reporterin. „Die Kollegin muss man in Schutz nehmen, das ZDF macht es da genau richtig. Das ist eine extreme Belastung“, sagt Medienwissenschaftler Bertling. Gleichzeitig betont er auch, dass der Sender im Anschluss in die inhaltliche Reflexion gehen sollte.

Hört der öffentlich-rechtliche Sender womöglich zu wenig auf die inhaltliche Kritik? „Wie mit allen Beiträgen oder Moderationen setzen wir uns auch mit den Kommentierungen der Live-Reporterinnen und Live-Reporter detailliert und kritisch auseinander“, erklärte der Sender nach dem ersten EM-Auftritt von Neumann. „Auch kritisches Feedback wird dabei mit einbezogen. Hass Beleidigungen und sexistische Bemerkungen akzeptieren wir dagegen nicht.“

Offensiv verteidigt der Sender die Arbeit von Neumann, die bereits seit 1999 als Sportreporterin dort beschäftigt ist: „Claudia Neumann ist schon seit Jahren im Live-Fußball zu Hause und bringt neben ihrer Fachkompetenz ein erhebliches Maß an Erfahrung mit.“

Morddrohungen, sexualisierte Gewalt und Hass-Nachrichten

Der Weg zur Akzeptanz scheint aber noch ein weiter zu sein. „Morddrohungen, sexualisierte Gewalt und Hass-Nachrichten sind als Frau mein Tagesgeschäft im Business des Fußballs der Männer“, erklärte Tabea Kemme in einem Interview mit unserer Redaktion im Frühjahr. Kemme gewann als Spielerin die Champions League sowie die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien, ist als Expertin vergangene Spielzeit in der Fußball-Königsklasse für Amazon aktiv gewesen, bei der Europameisterschaft für MagentaTV. „Neben dem Shitstorm begegnen mir auch sehr viel wertschätzende Kommentare von Kollegen und auch Fans unterschiedlicher Vereine“, sagt Kemme.

Fußball-Expertin Tabea Kemme ist regelmäßig im TV-Einsatz.
Fußball-Expertin Tabea Kemme ist regelmäßig im TV-Einsatz. © picture alliance/dpa

Medien-Experte Bertling betont: „Man sieht, dass es immer mehr Fußball-Kommentatorinnen gibt und die Leute sich daran gewöhnen werden. Solche Shitstorms dürfen wir nicht überbewerten. Diese sind heftig, aber es sind wenige Personen. In der Bevölkerung herrscht die grundsätzliche Akzeptanz dafür, dass Frauen Fußballspiele kommentieren und moderieren.“

Unterstützung erhält Claudia Neumann innerhalb ihrer Branche, ist dort sehr angesehen, gilt als Pionierin, da sie als eine der ersten Frauen im Männer-Bereich Spiele kommentiert hat. 2016 ein Novum. „Sie steht meiner Ansicht nach so sehr in der Kritik, weil sie als erste Frau in die Männerbastion des Kommentatorenjobs eingedrungen ist. Das ruft offenbar Kritiker auf den Plan, die damit ein grundsätzliches Problem haben“, erklärt der bekannte Sky-Kommentator Hansi Küpper aus Herbern während der Europameisterschaft in einem Gastbeitrag für „t-online“.

Studie: Moderatorinnen sind akzeptierter

„Die Maßstäbe für Frauen in diesen Rollen sind oftmals andere“, sagt Dr. Gundula Zoch. Sie ist Juniorprofessorin für die Soziologie sozialer Ungleichheiten an der Universität Oldenburg. „Dort, wo Frauen vertreten sein wollen, können Männer weniger Positionen einnehmen. Einige Männer wollen diesen ‚männlichen Exklusivbereich‘ nicht teilen“, erklärte Zoch der „Nordwest-Zeitung“.

Akzeptiert sind vor allem Moderatorinnen, das zeigen auch jüngste Studien. Diese belegen, dass Moderatorinnen wie Esther Sedlaczek, bei der EM für die ARD im Einsatz, oder Laura Wontorra deutlich weniger kritisiert werden.

„Wenn eine Frau ein Spiel kommentiert, wird das ganz anders wahrgenommen“, erklärt Medienexperte Bertling. Warum Neumann ganz besonders im Fokus steht, erklärt Bertling mit unterschiedlichen Gründen: „Im Öffentlichen Rechtlichen hat man eine höhere Reichweite. Es kann aber auch sein, dass sie eine Art des Kommentierens hat, die stärker polarisiert. Dann kommen die Shitstorms, die viel größer werden. Ich kann bei Claudia Neumann nicht erkennen, dass sie fachlich schlechter ist als ihre männlichen Kollegen.“

Bei der aktuellen Europameisterschaft wird Neumann das Finale nicht kommentieren, übertragen wird es in der ARD. Tom Bartels wird die Partie zwischen Spanien und England begleiten. Bartels hatte 2014 das WM-Finale kommentiert und blieb in den Köpfen vieler Deutscher mit dem Kommentar zum Siegtreffer durch Mario Götze: „Mach ihn! Mach ihn! Er macht ihn! Mario Götze!“

Auch er hat schon mehrere Shitstorms abbekommen. Mehr wegen dem, was er gesagt hat, weniger wegen seines Geschlechts. „Ich habe mich inzwischen völlig frei davon gemacht, was jemand twittert“, sagte er mal in einem Interview, „daher verfolge ich nicht bei einem Spiel, was über mich geschrieben wird. Die Leute entschlacken sich ab der ersten Minute im Netz. Früher war das immer gleich ein dramatischer Shitstorm. Heute wissen die meisten, dass das Normalität ist.“

Claudia Neumann wird wohl dennoch Thema in den sozialen Medien sein, das war sie bereits in den vergangenen Tagen, obwohl sie keines der Halbfinal-Spiele kommentiert hat. „Zum Glück läuft das Finale in der ARD, dann kommentiert die Neumann nicht“, schrieb jemand auf der Social-Media-Plattform „X“ kurz nach dem Einzug Englands in das EM-Finale. Woher die Negativität kommt, hat Neumann für sich ausgemacht: „Viele in unserer Gesellschaft fühlen sich nicht mehr mitgenommen. Das ist für mich der Hauptgrund, warum wir mittlerweile so schlecht miteinander umgehen.“