TV-Expertin Tabea Kemme vor BVB-Spiel in Eindhoven „Morddrohungen sind als Frau mein Tagesgeschäft“

TV-Expertin Tabea Kemme vor BVB-Spiel in Eindhoven: „Morddrohungen sind als Frau mein Tagesgeschäft“
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Nationalspielerin, Champions-League-Siegerin, angesehene TV-Expertin. Tabea Kemme hat im deutschen und europäischen Fußball große Fußstapfen hinterlassen. Auch am heute Abend (21 Uhr), wenn der BVB bei der PSV Eindhoven im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League antritt, wird die 32-Jährige für Prime Video mit von der Partie sein. Dirk Krampe hat zuvor mit ihr gesprochen.

Frau Kemme, die bisherigen Achtelfinal-Spiele mit deutscher Beteiligung verliefen ernüchternd. Wie schätzen Sie Borussia Dortmunds Chancen in Eindhoven ein?

Dortmunds Einzug in das Achtelfinale über die Hammergruppe mit Newcastle, Milan und PSG war eindrucksvoll. Ausschlaggebend für das Weiterkommen war die Defensive. Mit Eindhoven haben es die Dortmunder mit dem auf dem Papier wohl dankbarsten Gegner in der K.o.-Phase zu tun, allerdings haben sie volles Selbstvertrauen. In der Liga haben sie 20 von 22 Spielen gewonnen. Dortmund hat die eigenen Stärken in der Vorrunde bewiesen und sie haben gute Chancen in beiden Duellen zu dominieren und in das Viertelfinale einzuziehen.

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Gibt es Schlüsselduelle?

Dortmund hat in der Gruppenphase lediglich vier Gegentore kassiert. Mats Hummels ging in die meisten Tacklings aller Spieler und fing die drittmeisten Bälle ab. Auch seine Ballgewinne im Abwehrdrittel waren der drittbeste Wert aller Spieler. Seine Position wird von hoher Bedeutung im Spiel gegen PSV-Stürmer Luuk de Jong sein. Mit seinen fünf Treffern in der CL-Gruppenphase hatte der einen großen Anteil am Weiterkommen. Besonders in der Luft ist er stark. In den letzten beiden Ligaspielen standen Niklas Süle und Nico Schlotterbeck in der Innenverteidigung. Generell überzeugte der BVB aber auch kämpferisch, nur ManCity und Porto kamen in der Gruppenphase auf eine bessere Zweikampfquote.

Tabea Kemme im Gespäch mit Edin Terzic und Sebastian Hellmann.
Tabea Kemme (r.) sieht für Edin Terzic (M.) und den BVB gute Chancen aufs Champions-League-Viertelfinale. © imago / Every Second Media

Welche Rolle kann in diesem Vergleich mit Eindhoven Ex-Trainer Peter Bosz spielen?

Peter Bosz sagt selbst, dass er bei Eindhoven mit der besten Mannschaft, die er je hatte, zusammenarbeitet und blickt dem Spiel mit dem klaren Ziel entgegen, den BVB zu schlagen.

Nach der durchwachsenen Hinrunde stand Dortmunds Trainer Edin Terzic unter großem Druck. Wie erleben Sie ihn momentan?

Er wirkt auf mich als eine sehr kommunikative und starke Persönlichkeit mit Weitblick, mit viel Reflexion. Ruppige Situationen weiß er zu beruhigen. Drucksituationen sind Teil des Leistungssportes und es gilt, diese auch zuzulassen und daraus Veränderungen hervorzunehmen, um die Frage des Erfolgs immer wieder neu anzunehmen.

Er hat sich Hilfe an seine Seite geholt. Wie bewerten Sie die Verpflichtung von Nuri Sahin und Sven Bender als neue Co-Trainer? Sahin als Schattentrainer, diese Diskussion kam prompt auf …

Das Fußballspiel verlangt eine individuelle Betrachtung unterschiedlichster Personen. Endlich wird das Coaching Team vergrößert. Als alleiniger Trainer ist es längst nicht mehr zu leisten, den individuellen Bedürfnissen der Spieler gerecht zu werden. Das Coaching Team zu erweitern mit solch einer enormen Expertise wie bei Nuri und Sven ist ein absoluter Gewinn bei der Gestaltung der Trainings- bzw. Wettkampfinhalte und Umsetzung mit den Spielern auf dem Platz. Dass es zu Diskussionen führt, zeigt die Engstirnigkeit dieser Meinungsträger gegenüber dem Wandel in der heutigen Zeit auf.

Tabea Kemme schießt einen Ball.
Tabea Kemme hat für das DFB-Team der Frauen 47 Länderspiele absolviert. © imago / ZUMA Wire

Der BVB ist 2024 noch ungeschlagen, das leichte Startprogramm in der Liga kam der Borussia allerdings entgegen. Wie stabil ist das Mannschaftsgefüge aktuell?

Das Mannschaftsgefüge wächst mit den Herausforderungen, denen es gegenübergestellt wird. Die Beständigkeit wächst mit der Anzahl der Prüfungen. Wichtig für Dortmund sind K.o.-Spiele wie jetzt in der Champions League. Der 100-prozentige Fokus und die volle Konzentration in jeder defensiven Aktion sowie die Präzision im Angriffsspiel. Die nötige Konstanz ist auch über die Breite des Kaders mit verletzungsfreien Spielern zu formen. Hier ist es dem BVB zu wünschen, dass die verletzten Spieler schnell genesen werden und für weitere Stabilität in der Gesamtheit sorgen können.

In der Champions League lief es nach schwachem Start in der Gruppenphase sehr ordentlich, ein Spiegelbild der gesamten Saison. Gibt es eine Erklärung für die Inkonstanz, die der BVB quasi in allen Wettbewerben gezeigt hat?

Willkommen im Leistungssport, Inkonstanz ist „Part oft the Game“. Jeder Wettbewerb hat seine Besonderheiten. Ob Reisedauer, Belastungssteuerung, zwischendrin noch FIFA-Abstellungsperioden, Verletzungen, bis hin zu unterschiedlicher Witterungszonen. Es gehört viel dazu, die 100-prozentige Leistung abrufen zu können. Im Mannschaftssport spielen die Dynamiken innerhalb einer Gruppe ebenfalls eine besondere Rolle. Entwicklungszeit und Konstanz im Team wird einem nicht mehr gegeben, doch genau diese ist ausschlaggebend, ob du langfristig erfolgreich bist oder nicht.

Nun zu Ihnen persönlich: Die Entwicklung des Frauenfußballs liegt Ihnen besonders am Herzen, das weiß man nicht erst seit Ihrer sehr deutlichen Kritik an den Strukturen im DFB. Wie kamen Ihre Worte dort an?

Man ist bereits im Austausch über die Weiterentwicklung des Frauenfußballs in Deutschland. Jüngste Entwicklungen bringen die Frage der Loslösung der Liga vom DFB mit sich. Die Theorie über die Entwicklung ist langatmig und lassen die dafür notwendigen Investitionen bisher missen.

Tabea Kemme hält ein Mikrofon in der Hand.
Tabea Kemme war für das ZDF auch bei der Frauen-Weltmeisterschaft im Einsatz. © imago / Eibner

Sie wollen sich auch engagieren. Nach der gescheiterten Präsidentschafts-Kandidatur bei Ihrem Ex-Klub Turbine Potsdam gehören Sie zu den Initiatorinnen einer Kampagne, die die Frauenabteilung bei Viktoria Berlin innerhalb von fünf Jahren in den Dunstkreis der Bundesliga bringen will. Wie ist der Stand?

Das Projekt läuft auf Hochtouren. Von der Institutionalisierung der Frauen in die Viktoria Berlin GmbH über den Aufbau von Strukturen zu Neuverpflichtungen von Spielerinnen. Berlin hat einen erheblichen Mangel an Trainings- und Wettkampfstätten, hier wird man in der Flexibilität der Wochenplanung erprobt. Neben dem Ausbau der Strukturen und der Festanstellungen im operativen Bereich geht es nach dem unmittelbaren Aufstieg in die Regionalliga weiter um den Aufstieg in die 2. Bundesliga der Frauen. Eine klare Vision, bis 2027 in die Bundesliga der Frauen aufzusteigen, brachte eine erneute Investoren-Runde mit sich, um die für den Aufstieg notwendigen Rahmenbedingungen zu verbessern.

Verfolgen Sie die Entwicklung der Frauen-Sparte bei Borussia Dortmund?

Auf jeden Fall. Erst vor zwei Wochen habe ich beim Event vom DFB die Verantwortliche der Frauen- und Mädchenabteilung Svenja Schlenker getroffen. Sie sprach von der BVB-Entscheidung, den Fußball der Frauen langfristig aufzubauen und über die Zusammenarbeit mit der Männerabteilung.

Sie reden nicht um den heißen Brei und sind als Fernseh-Expertin beim Männerfußball hoch angesehen. Wie schwer war es, sich in diesem fast ausschließlich von Männern besetzten Feld zu behaupten?

Überhaupt nicht schwer. Ich hatte bis dato keine Erwartungen oder Vorstellungen, sondern sehe die schöne Möglichkeit, möglichst nah am Platz das Geschehen zu beobachten und meine Erfahrungen vom Platz mit einzubringen. Es beruht viel gegenseitige Wertschätzung und auch Dankbarkeit um die unterschiedlichen Perspektiven, die ich mit einbringen kann. Natürlich ist es auch mal mein Part hier und da, den sensibleren Umgang bewusst zu machen, denn gewisse Sprüche übertreffen klare Grenzen des respektvollen Miteinanders zwischen Mann und Frau.

Wie gehen sie mit den Shitstorms derjenigen um, die Ihnen immer noch das Fachwissen absprechen? Ist das weniger geworden als am Anfang?

Morddrohungen, sexualisierte Gewalt und Hass-Nchrichten sind als Frau mein Tagesgeschäft im Business des Fußballs der Männer. Meiner Ansicht nach geht es nicht darum, mit meiner Expertise Menschen zu überzeugen. Viel mehr bringe ich meine 14-jährige Erfahrung auf dem Platz in die TV-Übertragung und versuche, den Zuschauern die Innensicht, die unterschiedlichsten Perspektiven über das Spiel und die Dynamiken näherzubringen. Neben dem Shitstorm begegnen mir auch sehr viel wertschätzende Kommentare von Kollegen und auch Fans unterschiedlicher Vereine. Als Optimist im Leben lässt mich die Negativität mancher Menschen dementsprechend nicht aufhalten.

Zum Abschluss mit ein wenig Augenzwinkern: Sie sind mal via Instagram mit Oliver Pocher aneinandergeraten. Werden Sie noch Freunde?

Wer sich mit Witzen auf Kosten anderer bereichert, kollidiert mit meinen Werten des respektvollen Umgangs miteinander und wird nicht zu meinem Freund.