Barbara Blümel und Michael Kamp tragen in szenischer Lesung zusammen mit dem Chor „Die letzten Heuler“ Dialoge und Lieder aus Jura Soyfers „Astoria“ vor.

© Jörg Prochnow

Unorthodox, unangepasst: So lief die Premiere von „Jung und Wild“

dzMusical in der Konzertaula

Glänzende Premiere für das Musical „Jung und Wild“: Mit Liedern und Texten beißend wie politisches Kabarett begeistern Reinhard Fehling und die „Heuler“ die Konzertaula Kamen.

Kamen

, 01.11.2021, 12:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Zunächst zögernde, doch zum Schluss überzeugte Standing Ovation für eine Musical-Premiere des Kameners Reinhard Fehling: Was er am Sonntagabend als „Chor-Live-Konzert mit heimischen Laien-Künstlern“, so Bürgermeisterin Elke Kappen, auf die Bühne brachte, ist alles andere als Heimatnostalgie der Aufführenden und des Komponisten Fehling. Es ist aller Bekenntnis zur politischen Kritik, zur Unangepasstheit und zeitlos gültigen „Wildheit“ der Revolutionäre, die es auch schon früher gab.

„Die letzten Heuler“ auf der Bühne

Passend beginnt der Abend in der Konzertaula Kamen mit Georg Herweghs Vormärz-Appell: „O wag es auch nur einen Tag, ein freier Mensch zu sein!“, den Fehling in einen schmissigen Marsch kleidet, bevor die Schauspielerin Barbara Blümel und Michael Kamp in szenischer Lesung zusammen mit dem Chor „Die letzten Heuler“ aus Jura Soyfers „Astoria“ Dialoge und sechs Lieder vortragen.

Dazu Fehling auf seiner Website: „Es handelt von einem Fake-Staat, in dem angeblich Milch und Honig fließen, von dem in Wahrheit aber nur eine Botschaft und das dazugehörige Personal existiert. Der Landstreicher Hupka lässt sich von Gräfin Gwendolyn, die ihrem Mann einen Staat zu seinem 88. Geburtstag schenken will, als erster Untertan engagieren. Die Kunde von diesem Staat zieht die Armen dieser Welt an. Sie wollen hinein, stürmen die Botschaft und die Politsatire nimmt ihren Lauf...“

Das Musical „Jung und Wild“ des Kamener Chorleiters und Komponisten Reinhard Fehling feierte am Sonntag seine Premiere in der Konzertaula.

Das Musical „Jung und Wild“ des Kamener Chorleiters und Komponisten Reinhard Fehling feierte am Sonntag seine Premiere in der Konzertaula. © Jörg Prochnow

Was nun das Publikum zu hören bekommt, hat inhaltlich nichts von seiner beißenden Kritik verloren, im Gegenteil: Sie ist hochaktuell und wird sprachlich von Blümel und Kamp, die im perfekten Rollenwechsel mehrere Figuren treffend charakterisieren sowie musikalisch von Fehling mit rauer, unangepasster Geste der unorthodoxen Instrumentenwahl ganz in der Tradition des politischen Kabaretts dargeboten. Jura Soyfers Biographie, der mit 27 Jahren im Konzentrationslager Buchenwald an Typhus starb, macht diese Darstellung seiner Sicht der Dinge umso gültiger und tragischer.

„Whatever the weather, be happy together!“

Dass nach der Pause neben seinen Gedichten auch Percy B. Shelley, Franz Schuberts „Erlkönig in „aktueller“ Fehling-Fassung, Helmut Richters „Erbschaft“ den Titel des Musicals eindringlich untermauern, krönt Fehling ganz zum Schluss mit Sigmund Freuds Notizen: „Whatever the weather, be happy together!“, bei dem das Publikum zum Mitsingen animiert wird.

Eine mehr als gelungene Premiere! Einen Dichter kennengelernt, der auch heute noch viel zu sagen hat, dessen Wahrheiten zeitlos gültig sind, bekanntgemacht durch den verblüffenden Komponisten Reinhard Fehling.

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