BVB-Trainer Kovac wählt ungewöhnlichen Weg Doch Euphorie ist fehl am Platz

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Die Diskrepanz zwischen den lobenden Worten ihres Trainers und der Leistung der Dortmunder Mannschaft auf dem Rasen war in den nun 21 Tagen seit Niko Kovacs Amtsantritt bisweilen dramatisch groß. Noch vor dem Bundesliga-Heimspiel gegen Union Berlin, in dem der BVB einen Statement-Sieg landete, der die monatelange Krisenstimmung endgültig vertreiben könnte, überraschte Borussia Dortmunds neuer Trainer mit Lobeshymnen auf gleich mehrere seiner Spieler.

BVB-Trainer Kovac setzt auf positive Verstärkung

Julian Brandt? Mit ihm sei er voll zufrieden, sagte Kovac. Für Jamie Gittens gelte das Gleiche, Marcel Sabitzer, Pascal Groß, sie spielten das, was er als Trainer erwarte. Daniel Svensson? Der habe gar drei „sensationelle“ Spiele gemacht, meinte der 53-Jährige im Brustton der Überzeugung. Zählt man die von Kovac nicht explizit erwähnten Gregor Kobel, Nico Schlotterbeck und Emre Can hinzu, die unbestritten aktuell in guter Form agieren, musste man sich schon die Frage stellen, warum diese Elf vor einer Woche beim bis dato Tabellenletzten aus Bochum hoffnungslos unterlegen war und sich beim 0:2 blamierte.

Kovac hat die Bedeutung der positiven Verstärkung auch in den größten Momenten der Krise hervorgehoben. Fußballerische Anlagen, zweifelsfrei bei jedem Spieler im BVB-Kader vorhanden, wieder an die Oberfläche zu befördern, das gehe nur über den Kopf. Über mentale Stärke. Spieler stark reden in der und gegen die Krise, unbeirrt von den wöchentlich erkennbaren großen Problemen – zumindest lässt sich festhalten, dass Kovac einen ungewöhnlichen Weg gewählt hat, um Borussia Dortmund wieder auf Kurs zu bringen.

BVB-Sportdirektor Kehl tritt auf die Euphoriebremse

Nach dem 6:0 gegen einen zugegebenermaßen hilf- und orientierungslosen Gegner ohne Biss und Esprit, dafür aber mit vielen technischen und taktischen Unzulänglichkeiten, konnte Borussia Dortmunds Trainer in der Pressekonferenz nach dem Spiel loben, ohne in erstaunte Gesichter der mitschreibenden Journalisten zu blicken. Kollektive Erleichterung war in den Katakomben des Dortmunder Stadions überall zu spüren. Diese war viel größer als die Freude über eins der besten Spiele der vergangenen Monate, was logisch ist, weil sich vor allem nach dem Jahreswechsel bei Spielern und Verantwortlichen das Gefühl breit gemacht haben muss, dass sich der BVB in einem nicht enden wollenden Albtraum befindet.

Damit der Kantersieg das Erwachen gewesen sein kann, muss nun in die Köpfe rein, dass das alles kein böser Traum gewesen ist. Die vielen strukturellen, personellen und systematischen Probleme der Borussia werden vorerst bleiben. Daher tat Sportdirektor Sebastian Kehl gut daran, sofort auf die Euphoriebremse zu treten. Nur ein Anfang könne dieses Spiel gewesen sein, meinte er, er verlange gar „von jedem Spieler“, daran nun anzuknüpfen. Der BVB benötigt eine Serie, um die aufgebauten Rückstände zu den internationalen Plätzen abzutragen – und sich angesichts des schwierigen Programms im März und April mental wie körperlich in eine Verfassung zu bringen, die auf ein einigermaßen versöhnliches Ende hoffen lassen.

BVB-Boss Watzke nach 6:0 euphorisch

Woche für Woche eine Leistung wie am Samstag abzurufen, das wird eine Herausforderung. Es werden Gegner kommen, die mehr Widerstand leisten, die auch die gegen Union noch zum Teil erkennbaren Schwachstellen besser attackieren können. Es wird Rückstände geben, denen man dann mit Verstand und Power trotzen muss. Allesamt Verhaltensmuster, die sich bislang nie eingeschliffen haben beim BVB. Schon am kommenden Samstag beim FC St. Pauli, das ist ohne große hellseherische Fähigkeiten zu erahnen, wird das 6:0 als Messlatte dienen.

Ob der dauerkranke Patient endgültig über den Berg ist, daran sind immer noch Zweifel erlaubt. Dennoch war es ein besonderer Sieg. Hans-Joachim Watzke umarmte beim Weg von der Ehrentribüne über den Rasen zur Kabine jeden, der ihm über den Weg lief. Und überraschte mit diesem Gefühlsausbruch den ein oder anderen. Auch Kovac weiß, dass es nur ein erster kleiner Schritt gewesen sein kann.

BVB gelingt Befreiungsschlag gegen Union

In seinem vierten Spiel als verantwortlicher Trainer ist der Borussia ein Befreiungsschlag gelungen, ein Sieg, der vielleicht eine Initialzündung sein kann. Platz zehn ist dennoch immer noch weit entfernt von den eigenen Ansprüchen. Die Bewertung der Arbeit des neuen Trainers und auch seine Zukunftschancen über das Saisonende hinaus werden maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, Leistungen wie gegen Berlin zu verstetigen.