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Kreis Unna bekommt Telenotärzte: So soll das System funktionieren
Rettungsdienst im Kreis Unna
In ungefähr einem Jahr soll der Rettungsdienst auch im Kreis Unna durch einen Telenotarzt verstärkt werden. Pilotregion für das System war Aachen, wir haben mit dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes gesprochen.
In NRW hat die Stadt Aachen in Sachen Telenotärzte bereits im Jahr 2014 eine Pionierrolle übernommen. Dr. Stefan Beckers ist Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Aachen und kann nach nun sieben Jahren davon berichten, wie das neue System im Alltag funktioniert. Denn bald sollen auch die Rettungsdienste im Kreis Unna auf die Expertise eines Telenotarztes zurückgreifen können.
Im Frühjahr 2014 ging das System, entwickelt vom Aachener Unternehmen P3 telehealthcare in Kooperation mit der Uniklinik und Instituten der RWTH Aachen, an den Start. Damit betrat Aachen als erste Kommune bundesweit Neuland, was die rettungstechnische Versorgung von Patienten angeht. Kleinere technische Kinderkrankheiten gehören längst der Vergangenheit an.

Die Rettungswagenbesatzung kann den Telenotarzt hinzuziehen, wenn sich eine Lage vor Ort dramatischer darstellt, als bei der Meldung angenommen wurde. © Umlaut SE
Denn es verstreichen keine wertvollen Sekunden, bis der ansonsten erst zusätzlich herbeigerufene Notarzt eingetroffen ist. Eine weitere Besonderheit: Der Telenotarzt in der Leitstelle kann sich über Bildschirme sogar um mehrere Einsätze nahezu parallel kümmern. Das angestrebte Ziel geht auf: Ärzte können gezielter eingesetzt werden, die direkte notärztliche Versorgung wird verbessert und gleichzeitig können die Kosten besser im Rahmen gehalten werden.
Aachen war Pilotregion für den Telenotarzt
Wir haben mit Dr. Stefan Beckers gesprochen, er ist der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in Aachen und seit der Geburtsstunde des Telenotarztes an vorderster Front dabei. „Als wir 2014 an den Start gegangen sind, war die Perspektive, dass wir zusätzlichen Unterstützungsbedarf der Rettungsteams vor Ort auffangen wollten.“ Es gebe immer wieder Notrufe, bei denen nicht auf dem ersten Blick ersichtlich sei, dass ein Notarzt am Einsatzort benötigt werde.
Zum Beispiel wird gemeldet, dass Luftnot besteht, das aber schon seit einer Woche. Da würde eine Rettungsleitstelle nicht zwingend einen Notarzt mitschicken. Dann fährt also ein RTW raus, findet vor Ort aber einen Patienten vor, der sich dann doch schlechter darstellt, als es im ersten Moment aussah.
Beckers: „Dann gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder die Kollegen vor Ort sagen, dass sie einen Notarzt brauchen, dann macht sich einer auf den Weg – da gibt es einen Notarzt-Indikationskatalog, nach dem das bemessen wird – oder es wird über die Leitstelle der Telenotarzt (TNA) dazugeschaltet.“
Gemeinsam mit dem TNA könne das Team vor Ort dann schon eine ganz Reihe mehr machen, etwa Medikamentengaben, die eigentlich Ärzten vorenthalten sind. Es habe aber auch schon den Fall gegeben, dass der TNA dann sozusagen dem Rettungsteam zur Seite gestanden hat, bis ein Notarzt der nachgefordert werden musste vor Ort eingetroffen ist.
Datenzugriff in der Leitstelle in Echtzeit
Das Gute sei, dass der TNA in der Leitstelle auch in Echtzeit sieht, wo welches Fahrzeug gerade ist und anhand deren Position entscheiden kann, welcher Einsatz gerade am dringendsten ist. „Da geht es dann um die Fragen, wie weit entfernt ist der nächste Notarzt oder wie lange würde der Rettungswagen in die nächste Notaufnahme brauchen.“

Aus dem RTW können Videomaterialien und Vitaldaten übermittelt werden, die dem Telenotarzt in Echtzeit zur Verfügung stehen. © Umlaut SE
„Der Notarzt in der Leitstelle kann in Echtzeit die Vitaldaten des Patienten sehen, hat Zugriff auf ein 12-Kanal-EKG und kann per Video dazugeschaltet werden“, erklärt Beckers. Ein weiterer Vorteil, den das TNA-System bietet, ist ein rechtlicher. „Kommt es zu einer Transportverweigerung – also wenn Angehörige den RTW alarmiert haben, der Patient aber nicht in die Klinik will – dann ist das alles gleich ärztlich dokumentiert und entlastet das Team vor Ort enorm.“ Durch den Telenotarzt findet dann auch gleich die Aufklärung statt, falls ein Patient eine Fahrt in die Klinik ablehnt.
Seit der Einführung vor sieben Jahren ist das System natürlich gereift. Mittlerweile werden die Telenotärzte zu rund 3000 Einsätzen im Jahr dazugerufen, laut Beckers wäre da noch etwas Luft nach oben. Ganz wichtig ist ihm, dass die TNA die „echten“ Notärzte nicht ersetzen soll oder kann. Es sei eine Methode, Kenntnisse an den Einsatzort zu bringen; ärztliche Eingriffe könne das TNA-System nicht ersetzen.
Telenotarzteinsatz dauert im Schnitt sieben Minuten
Aber: „Ein Notarzteinsatz bei uns dauert im Schnitt 53 Minuten – ein Telenotarzteinsatz gerade mal sieben“, rechnet Beckers vor. Seit 2014 habe man keine Erweiterung der Notarztressourcen im Raum Aachen gebraucht, konnte die Notarzteinsätze innerhalb der sieben Jahre um 50 Prozent reduzieren und das obwohl die Zahl der Arztkontakte enorm gestiegen ist. Das TNA-System habe am Anfang schon für Skepsis bei den ärztlichen Kollegen gesorgt: „Wir waren nicht die beliebtesten, weil die dachten, wir wollen die Notärzte abschaffen. Das wollen wir natürlich nicht. Es geht nur darum, das bestehende System für die Patienten am besten zu nutzen.“
Am Ende sitzt ein Notarzt nämlich keine Stunde im Auto, um dann eine Spritze zu geben, sondern kann vielleicht auch zwei oder drei RTW-Besetzungen parallel helfen.