Unnas Verkehrspolitik ist geprägt von einem Konflikt: Das Fahrrad zu fördern bedeutet oft auch, das Auto zu bremsen. Und so zeigt die Diskussion darüber, wer wo bevorzugt fahren darf, eine gewisse Lagerbildung auf. Das Thema „ÖPNV“ geht in der lauten Debatte oftmals unter. Dabei hat er das Zeug dazu, als Bindeglied zu wirken.
Das neue Mobilitätskonzept der Stadt Unna widmet den „Öffis“ ein eigenes Kapitel. Es ist das vielleicht überraschendste, weil es die naheliegenden Ansätze scheinbar übergeht, um die Vorstellung davon, was eigentlich ein „öffentliches Verkehrsmittel“ ist, deutlich auszuweiten.
Busse fahren flächendeckend, aber zu selten und oft indirekt
Zum Busverkehr stellt das Konzept relativ knapp fest, dass Unna im Prinzip ein flächendeckendes Netz hat, dessen Fahrten allerdings abseits der Hauptverbindungen oft so selten stattfinden, dass diejenigen, die die Wahl haben, sich doch eher für ihr Auto entscheiden als für den Bus oder das Anrufsammeltaxi. Und: Das sternförmige Netz macht zwar alle Stadtteile und die Nachbarorte erreichbar, oft allerdings mit einem nicht immer direkten Weg über Unnas Busbahnhof.
Was etwaige Ausbaubestrebungen des Angebotes angeht, stellt das Konzept fest, dass die Nahverkehrsplanung auf Kreisebene erfolgt, die Kommune dort eher nur Impulse setzen kann und als gewichtiges Gegenargument das der Kosten zu erwarten sei.
Sharing-Modelle für Autos, Fahrräder und E-Scooter
Eine mögliche Ausweitung des ÖPNV hält das Konzept dennoch für möglich – mitunter dadurch, dass Fahrzeuge, die üblicherweise dem Individualverkehr zugerechnet werden, nun quasi „veröffentlicht“ werden. Dazu sollte der Grundgedanke des Teilens konsequent fortgeführt werden. Zum bereits bekannten „Car-Sharing“ könnten sich vergleichbare Modelle gesellen, in denen Fahrräder, Lastenräder und auch die oft kontrovers diskutierten Elektro-Tretroller für die spontane Kurzausleihe per Smartphone-App verfügbar gemacht werden.

Flächendeckendes Angebot an Mobilstationen
Eine Schlüsselfunktion sollen dabei sogenannte „Mobilstationen“ übernehmen. Was damit gemeint ist, veranschaulicht das Konzeptpapier anhand eines Beispiels in Massen – das interessanterweise keinen Bezug zu den klassischen ÖPNV-Mitteln aufweist. Weit ab von der S-Bahn-Haltestelle mit Anschluss nach Dortmund könnte der Gemeindeplatz am Hellweg Standort für eine von potenziell fünf solcher Stationen werden, die das Konzept im Stadtteil vorschlägt.
Die Station wäre Heimatparkplatz für zwei elektrisch betriebene Car-Sharing-Autos, zwei elektrifizierte Lasten- und vier Standard-Leihfahrräder, hätte eine Aufstellfläche für öffentlich nutzbare E-Scooter und eine überdachte Abstellanlage für alle, die mit dem eigenen Fahrrad ins Herz von Niedermassen fahren.
Neue Lösung für die Lücke zwischen Bus und Taxi
Wer den Unterschied zwischen ÖPNV und Individualverkehr darin sieht, dass er nicht selbst hinterm Steuer sitzen muss, findet im Mobilitätskonzept eine weitere Neuerung: Das Papier, das die zukünftigen Leitlinien für Unnas Verkehrspolitik vorgeben soll, stellt dafür das „On Demand Ridepooling“ vor, das den Raum zwischen Bus und Taxi ausfüllen und das Konzept des Anruf-Sammeltaxis revolutionieren könnte. Konkret würde es sich um Fahrten mit Kleinbussen handeln, die aber nicht etwa auf Anruf einen festen Linienweg abfahren, sondern individuellere Touren verfolgen und die Nutzer vielleicht sogar zu Hause abholen könnten.

Viele Menschen wechseln oder verbinden Verkehrsmittel nach Bedarf
Grundsätzlich sieht das neue Mobilitätskonzept die Menschen in Unna nicht zwingend vor die Entscheidung gestellt, ob sie sich ein eigenes Fahrzeug kaufen oder ausschließlich auf den ÖPNV setzen wollen. So habe die Bestandsaufnahme für das Papier zwei Befunde gezeigt, die scheinbar im Widerspruch zueinander stehen. Einerseits nehme die Zahl der Kraftfahrzeuge im Privatbesitz zu, andererseits würden immer mehr Menschen „multi- oder intermodal“ verkehren, also mit wechselnden Verkehrsmitteln oder sogar einer Verbindung von mehreren.

Völlig neu ist diese Erkenntnis nicht. Auch die jüngere Verkehrspolitik trägt ihr Rechnung, wie schon bald am Bahnhof in Lünern zu sehen sein wird. Dort will die Stadt in diesem Jahr komfortable Parkmöglichkeiten für Autos und Fahrräder errichten – als Angebot für alle, die im Prinzip auf das Verkehrsmittel Bahn setzen wollen, aber erst einmal zum Bahnhof Lünern hinkommen müssen.
Das öffentliche Verfügbarmachen von Autos, Fahrrädern und E-Scootern könnte Bus und Bahn als ÖPNV-Mittel ergänzen und deren Schwächen ausgleichen. Ziel müsse es laut Mobilitätskonzept sein, die Nutzungshemmnisse abzubauen. Zusätzliche Verkehrsmittel, die einfach nutzbar gemacht werden, versprechen dann mehr Möglichkeiten – für einen Verkehrsmix, der vielleicht komplexer erscheint, vielleicht aber auch den Anforderungen des Einzelnen besser gerecht wird.