Eigentlich wollte der junge Johannes Bösken Profi-Musiker werden. „Ich hatte aber keine Mittelreife“, sagt der Mann aus Unna mit Blick auf den damals nötigen Schulabschluss für eine Aufnahme am Konservatorium. „Die Schule war für mich ein Gräuel“, gibt er zu. „Damals wurde ja noch oft geschlagen.“ Also gab es für den Mann, der an diesem Freitag 80 Jahre alt wird, nur eine Alternative, um seinen Traum zu verwirklichen: eine Berufsausbildung. Und genau wie sein Vater wurde er Friseur.
„Der hat das alles für mich geregelt“, erinnert sich Jo Bösken, wie er sich heute nennt. „Meine Mutter ist dann mit mir zum Salon von Fritz Witte gegangen.“ Der war damals Bundestrainer der Nationalmannschaft im Friseurhandwerk und für den jungen Johannes „ein guter Lehrmeister“. Denn: „Mein Beruf hat mir dann soviel Spaß gemacht – und ich hatte Erfolg.“ Die Musik wurde dann nur sein zweites Standbein.

Denn der Zufall wollte es, dass in der Gaststätte seiner Mutter, der damaligen Dorfschänke, später Schlossschenke in Opherdicke, Mitglieder des Fred Steinberg Sextetts ziemlich bedröppelt an der Theke saßen. Ihr Schlagzeuger war ausgefallen. Der junge Jo, der noch immer Schlagzeugunterricht hatte, wurde als Vertretung angefragt. „Aus diesem einen Abend wurden dann 15 Jahre“, sagt Jo Bösken – und grinst verschmitzt von einem Ohr bis zum anderen.
Schöne Erinnerungen hat er an die Zeit mit der damals in ganz Westfalen bekannten Combo, die sogar beim Kölner Karneval auftrat - aber dort mit Stühlen beworfen wurde, weil sie Düsseldorfer Lieder spielte. Dass sie aber musikalisch etwas konnte, beweist ihr Sieg beim DAB-Festival in Dortmund. „So hatte ich dann beides“, sagt Jo Bösken: „Meinen Beruf und die Musik“ – und die öffnete ihm später ganz besondere Türen.
Schon in der Lehre wurde Jo Bösken Westfalenmeister, die richtige Meisterschule indes musste er zunächst abbrechen, weil die Bundeswehr rief. 1969 konnte er dann endlich die Meisterprüfung ablegen und sich noch im selben Jahr selbstständig machen. Den ersten Salon, gemeinsam mit seiner ersten Frau, betrieb er an der Friedrich-Ebert-Straße 90 in Königsborn.
„Ich hab dann alles anders gemacht als die anderen Friseure“, sagt er. „Das war eine Revolution.“ Und obwohl er schnell der teuerste Friseur in ganz Unna war, zog sein Salon Scharen von Kunden an. „Der Salon wurde schnell zu klein“, erinnert er sich, warum er in die Friedrich-Ebert-Straße 7b zog. Es folgten etliche Meistertitel, so war Bösken nicht nur Westfalen-, sondern auch Deutscher Meister im Friseurhandwerk.

Und dann kam eines Tages der Anruf eines befreundeten Kollegen aus Düsseldorf, ob er diesem bei der Löwenverleihung in der Maske helfen könnte. Bösken, der einen Lehrgang in Maskenbildnerei besucht hatte und für den das Frisieren, Schminken und Stylen der Promis für den Auftritt auf der Bühne kein Problem war, sagte zu.
Doch nicht nur bei der Löwenverleihung in Essen und Dortmund traf er hinter den Kulissen auf die Promis der damaligen Zeit, sondern auch bei der Fernsehsendung „Platz an der Sonne“, oder beim Grand Prix de la Chanson d’ Eurovision in Luxemburg, wie der Eurovision Song Contest damals hieß. „Ich bin überall mit hingereist“, erinnert sich Bösken.

Im privaten Fotoalben finden sich viele Fotos und Autogramm-Karten. Von Howard Carpendale, Dieter Thomas Heck, Bata Illic und Fußball-Stars des BVB. Nicht allen machte er selbst die Haare, gibt Bösken uneitel zu. Aber einigen halt schon, wie Michael Schanze. „Der war sehr angenehm“, sagt Bösken. In besonders guter Erinnerung hat er aber Michael Holm und Costa Cordalis. „Die waren ganz normal. Überhaupt nicht abgehoben. Und als die hörten, dass ich auch Musiker war, war sofort der Draht da“, plaudert Bösken aus dem Nähkästchen. „Auch mit Toni Christie konnte ich mich auf Augenhöhe unterhalten.“
So mancher Promi kam dann auch in seinen Salon nach Unna – „aber meist nach Feierabend. Das hat kaum einer mitbekommen“, sagt Bösken. „Aber das waren ja auch alles Menschen wie du und ich.“ Denn „abgehobene Spinner“, so sagt Bösken, „die habe ich schon immer ungerne bedient.“ Das ließ er solche Kunden dann auch deutlich spüren – weil er sich das auch leisten konnte. „Die kamen dann auch nicht wieder“, sagt er schelmisch. Denn: „Ich bin eigentlich ein Bauer. Ich kann mich nicht verstellen. Ich bin für die klare Linie. Ich liefere saubere Arbeit und fertig.“

In der Spitze hatte Bösken ein knappes Dutzend Mitarbeiter - und war der erste in Unna, der den Kunden während der Wartezeit Kaffee oder Whiskey-Cola anbot. Im Preis der Frisur war das inbegriffen. „Ich war wirklich der Teuerste in ganz Unna“, sagt Bösken – und ergänzt völlig unbescheiden: „aber auch der Beste“.
Noch heute steht Bösken, trotz seiner 80 Jahre, in seinem Laden, der sich inzwischen an der Wiesenstraße in Unna befindet, und macht seinen treuen Stammkunden die Haare. „Mein Vermieter meinte damals, dass ich doch auch mehr Miete zahlen könne, wo der Laden so gut laufe“, erinnert er sich. „Da hab ich was zum Kaufen gesucht.“

Jo Bösken wurde mehrfach deutscher Meister, trainierte Nachwuchsfriseure und bildete aus. In seinem geliebten Beruf sieht er heute eine gewisse Rückentwicklung. „Die Frisuren wiederholen sich“, sagt der Mann, der noch mit Schere und Messer arbeitet. „Ich bin ja kein Maschinist“, sagt er mit Stolz in der Stimme, noch echter Handwerker zu sein. Denn: „Abschneiden ist nicht immer richtig.“
Ist Jo Bösken denn auf etwas besonders stolz, was er geleistet hat? „Nein“, sagt er spontan. „Es ergab sich einfach so. Das Leben hat mich getrieben. Ich war immer flapsig, manchmal auch arrogant“, sagt er selbstkritisch, und manchmal hätte er rückblickend auch das Gefühl, ferngesteuert gewesen zu sein. „Triebgesteuert“, sagt er. „Aber als junger Mann begreift man das nicht. Was ich im Nachhinein anders machen würde? Ich würde treu sein.“
Dass er mit jetzt 80 Jahren noch immer im Laden steht, hat einen Grund: „Früher gab es viele Möglichkeiten, unter Menschen zu kommen. Es gab Gaststätten, da wurde gekegelt, Skat gespielt, geknobelt. Das meiste gibt es heute nicht mehr. Ich könnte jetzt den ganzen Tag hier sitzen und mich mit meinem Keyboard beschäftigen. Aber da gäbe es keine Kommunikation mit anderen Menschen. So habe ich den Kundenkontakt. Führe verschiedenste Gespräche. Das hält im Kopf fit.“
