Keine Barrierefreiheit in Unnas Sporthallen Heiner Gödde (44) fühlt sich ausgegrenzt

Unnas Sporthallen für Gehbehinderte nicht zu bewältigen
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Die Hallenfußball-Stadtmeisterschaften begeisterten Ende Dezember Sportfans in Unna. Auch Heiner Gödde wollte mit dabei sein. Die Karte schon gekauft, der Fan-Schal um den Hals. Auf die Vorfreude folgte Enttäuschung, denn vor dem Eingang zu den Hellweghallen liegt eine Treppe mit sechs Stufen. Für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer wie Gödde ist sie nicht zu überwinden.

Zum Glück konnte Volker König als Vorsitzender des Stadtsportverbands ermöglichen, dass Gödde über das Foyer der Stadthalle in die Sporthalle kam. Dabei war im Durchgang wieder eine Stufe im Weg, die er nur mit zwei Helfern meistern konnte. Endlich in der Halle konnte er seine Mannschaft Rot-Weiß Unna anfeuern – bis sich das nächste Problem einstellte.

Wer mehrere Stunden in der Halle mitfiebert, muss auch irgendwann zur Toilette. Doch eine behindertengerechte Toilette befindet sich nur im Obergeschoss der Hellweghallen. Ein Aufzug im Foyer der Stadthalle sollte helfen. Mit zwei Helfern ging es für Heiner Gödde erneut eine Stufe runter ins Foyer und zum Aufzug, der für seinen Rollstuhl aber zu klein war.

Also blieb der Rollstuhl unten. Gödde fuhr mit zwei Helfern nach oben und nach dem Toilettengang wieder runter. Dann wieder in den Rollstuhl, mit Helfern über die Stufe, wieder in den Rollstuhl und zurück in die Halle. Die ganze Prozedur mehrmals am Nachmittag.

Um zum Eingang der Hellweghallen in Unna zu gelangen, muss eine breite Treppe mit sechs Stufen überwunden werden.
Die Hellweghallen in Unna: Für gesunde Menschen gibt es hier keine Probleme. © Udo Hennes

Für Heiner Gödde sind diese Zustände völlig inakzeptabel: „Wir leben im Jahr 2024. Da sollte Barrierefreiheit meiner Meinung nach kein so großes Thema mehr sein.“ In anderen Hallen wie der Sporthalle beim Ernst-Barlach-Gymnasium sei es noch schlimmer, da es dort gar keine behindertengerechte Toilette gebe.

„Viele sagen vielleicht, mich betrifft es ja nicht, aber eigentlich kann es jeden treffen“, erzählt der 44 -Jährige. Ein Unfall oder eine Krankheit werfe ein Leben schneller durcheinander, als man denkt.

Aus Liebe zum Vereinsleben

In seiner Jugend spielte Heiner Gödde leidenschaftlich gerne Fußball. Bereits mit 14 engagierte er sich ehrenamtlich im Verein seines Heimatorts Ostwig im Sauerland. Obwohl er seit einer Knieverletzung mit 19 Jahren nicht mehr selbst spielen konnte, engagierte er sich weiter und wurde schließlich sogar Vorsitzender des örtlichen Fußballvereins.

„Wer das schon seit der frühen Jugend macht, den packt das Vereinsleben einfach. Es gibt nirgendwo so ein Miteinander wie in einem Sportverein“, erzählt Gödde. 2008 hatte er seine erste Gesichtslähmung. Er bekam Tabletten und entschied sich gegen die MRT, die ihm eine Ärztin angeboten hatte.

„Ich bin weiter ganz normal arbeiten gegangen. Ich hatte auf der Arbeit damals ein Riesenprojekt, was schnell fertig werden musste. Es war auch kurz vor meiner Hochzeit, da hatte ich nicht viel Zeit und hab mich selbst einfach hinten angestellt“, erzählt Gödde, der über 20 Jahre als kaufmännischer Leiter bei einem Energieversorger tätig war.

Sieben Jahre später, im Jahr 2015, wachte er eines Morgens mit einer zweiten Gesichtslähmung auf. Auch sein linker Fuß funktionierte nicht mehr. „Ich bin mit jedem dritten Schritt hingefallen. Goss ich mir Kaffee rechts in den Mund, lief er links wieder raus.“ Diesmal folgte eine MRT und es dauerte nicht lange, bis die Diagnose Multiple Sklerose (MS) bestätigt war.

Streamen als einzige Möglichkeit, dabei zu sein.

„Im Krankenhaus hieß es plötzlich, ohne Rollator gehen Sie hier nicht mehr raus. Das war eine große Umstellung.“ Über die Jahre schritt die Krankheit fort. „Es gab Schübe, in denen ich monatelang nicht riechen und schmecken konnte. Als dann auch die kognitive Leistung abnahm, ging es mit dem Arbeiten nicht mehr.“

Nach seiner Scheidung zog der 44-Jährige zu seiner jetzigen Frau nach Unna. Seine Liebe zum Vereinsleben brachte ihn zu Rot-Weiß Unna. Seither engagiert er sich im Verein als Kassierer. Bei längeren Veranstaltungen ist er heutzutage auf einen Rollstuhl angewiesen.

Durch die Barrieren in Unnas Sporthallen fühlt sich Heiner Gödde ausgeschlossen.„An Veranstaltungen, die ich mitorganisiert habe, kann ich nicht teilnehmen. Die anderen sind in der Halle, ich guck von zu Hause. Wenn die Lokalzeitung unsere Spiele streamt, ist das für mich die einzige Möglichkeit, irgendwie dabei zu sein.“

Das Problem der mangelnden Barrierefreiheit will Gödde aber diskutiert wissen. Daher versuchte er zunächst, beim Büro des Bürgermeisters und dem Sportservice der Stadt Unna Gehör zu finden, erhielt aber keine Antwort. Für Gödde ist dies enttäuschend, obwohl er die Leistungen des Sportservice der Stadt Unna ansonsten als großartig beschreibt.

Auf Anraten eines Politikers entschied sich Gödde schließlich, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Wenn es alle wissen, aber niemand etwas ändert, ist das wie ein stillschweigender Ausschluss von Behinderten“, findet der 44-Jährige. Unserer Redaktion teilte die Stadt Unna mit, das Problem sei der Verwaltung bekannt. Es werde zeitnah geprüft, was kurzfristig und in einem weiteren Schritt langfristig unternommen werden kann.

„Dass auch Behinderte am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sollte selbstverständlich sein“, sagt Heiner Gödde. Aus seiner Sicht fehlt vielen Leuten das Bewusstsein dafür, welche Bedeutung barrierefreie Einrichtungen für Behinderte haben.

Toiletten sind kein Getränkelager

Eine Treppe mit sechs Stufen vor dem Eingang der Hellweg Sporthallen in Unna ist mit Schnee bedeckt.
Für Gehbehinderte sind die sechs Stufen der Treppe zu den Hellweg Sporthallen kaum zu überwinden. © Udo Hennes

Einst hat Gödde eine Selbsthilfegruppe für MS gegründet, die sich einmal im Monat traf. Einen barrierefreien Saal zu finden, sei bereits schwierig gewesen. Vor Ort habe sich herausgestellt, dass die Behindertentoilette als Getränkelager genutzt wurde. „Da musste der Hausmeister am Samstagnachmittag mit zwei Leuten anrücken und ausräumen“, erzählt er.

Gödde betont: „Eine Toilette benutzen zu können, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Menschen mit Behinderung haben die gleichen Rechte wie gesunde Menschen.“ Dazu gehöre auch die Teilnahme an Sportveranstaltungen – und das nicht nur als Zuschauer.

Sein Verein Rot-Weiß Unna hat seit Kurzem eine Inklusionsmannschaft mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom. „Die haben wir im Dezember auf unserer Anlage beim Weihnachtsmarkt vorgestellt und mit den gesunden Kindern durchgemischt. Dann haben die den ganzen Nachmittag ein kleines Turnier ausgespielt“, erzählt Gödde. Auch seiner Sicht muss Inklusion vorgelebt werden. Barrierefreie Sporthallen wären dafür ein wichtiger Schritt.

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