Die Stadt Unna feierte im Mai einen besonderen Jahrestag: Zehn Jahre ‚Stadt ohne Rassismus, Stadt mit Courage‘. Dennoch konnte die AfD am Sonntag (9. Juni) bei der Europawahl in der Kreisstadt einen gesteigerten Zuspruch von 13 Prozent verzeichnen. Die AfD ist seit Jahren bundesweit für rassistische Formulierungen ihrer Vertreter bekannt, deren Bundessprecherin Alice Weidel beispielsweise einst von „Messermännern“ oder „Kopftuchmädchen“ sprach.
Aber was bedeutet das für Unna? Ist Unna eine Stadt ohne Rassismus oder leben hier tatsächlich ideologisch gefestigte Rassisten?
„Das Siegel ‚Stadt ohne Rassismus, Stadt mit Courage‘ ist nichts, was sich eine Stadt auf die Fahne schreibt und sagt: Hier gibt es keinen Rassismus. Es ist eine Verpflichtungserklärung, dass sich eine Stadt durch regelmäßige Projekte und Aktionen aktiv gegen Rassismus einsetzen will“, erklärt Birgit Rottmayer.
Birgit Rottmayer und Klausdieter Herb sind Teil des dreiköpfigen Teams, das derzeit den Vorsitz über den Runden Tisch gegen Gewalt und Rassismus in Unna innehat. Seit Jahren engagieren sich die beiden in dem Netzwerk, das verschiedene Projekte gegen Gewalt und Rassismus in Unna koordiniert, plant und durchführt.
In Gesprächen mit Menschen aus Unna oder auch Mitgliedern des Integrationsrats erhalten Rottmayer und Herb regelmäßig Eindrücke, wie es um rassistisches Denken in Unna steht. „Treffen Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen aufeinander, können es hygienische Verhaltensweisen sein oder auch wie anders das Essen gewürzt ist, dass Menschen sagen: Das kennen wir so nicht, das kommt uns komisch vor“, sagt Klausdieter Herb.
Gesellschaftliche Probleme werden Personengruppen zugeschoben
Das wahrgenommene Anderssein verschärfe sich auch durch negative Erfahrungen aus der Lebenswelt der Menschen. „Dadurch dass Menschen aus der Ukraine geflüchtet sind, ist beispielsweise der Wohnungsmarkt sehr dicht geworden. Wenn Menschen Schwierigkeiten haben, eine günstige Wohnung zu finden, schürt das Konflikte“, sagt Herb. „So, dass man nach Gründen sucht und das Problem bestimmten Personengruppen zuschiebt und nicht den schwierigen Rahmenbedingungen.“
Es gebe Probleme und Bedürfnisse in bestimmten Bevölkerungsgruppen, die gesellschaftlich nicht hinreichend berücksichtigt würden, findet Birgit Rottmayer. „Menschen, die sich von der Politik abgehängt fühlen, neigen dann dazu, eine Partei zu wählen, die einfache Lösungen für sehr komplexe Themen anbietet. Es ist eine riesige Illusion zu sagen, mit Remigration bleiben wir unter uns und alles wird wie früher“, sagt die 71-Jährige. „Sich abgehängt zu fühlen, ist aber auch etwas anderes, als aus ideologischen Gründen bewusst Hass gegen bestimmte Personengruppen zu schüren.“
Die Tatsache, dass die AfD bislang nicht im Rat der Stadt Unna vertreten ist, wertet Rottmayer positiv. Ein Zuspruch zur AfD steht aus ihrer Sicht in Zusammenhang mit den Themen Gewalt und Rassismus. „Ich glaube schon, dass die AfD wirklich ein Marker ist – mit ihren programmatischen Äußerungen, ihrer Sprache und ihren Aktivitäten. Die Berichte über die bundesweit ansteigenden rechtsradikalen Straftaten – besonders durch Mitglieder der Partei – zeigen, dass in dieser Wählerschaft eine hohe Affinität zu Gewalt und Rassismus besteht“, sagt Birgit Rottmayer.
Wie es in Unna um rechtsradikale Straftaten steht und was sich in den zehn Jahren verändert hat, die Unna nun ‚Stadt ohne Rassismus, Stadt mit Courage‘ ist, zeigen Statistiken der Polizei Dortmund. Die Fallzahlen der politisch motivierten Straftaten erfasst der polizeiliche Staatsschutz nur für den Kreis Unna, nicht allein für Unna als Stadt. Straftaten aus der Stadt Lünen sind in den folgenden Zahlen nicht enthalten.

Politisch motivierte Straftaten von Rechts
So gab es im Kreis Unna 78 Fälle in 2014 und 91 Fälle in 2015 von politisch motivierten Straftaten von Rechts. Von 2016 bis 2019 fielen nur noch zwischen 49 und 63 Straftaten an. 2020 bis 2022 blieben sie konstant bei 28-29 Vorfällen. Erst im Jahr 2023 stiegen die politisch motivierten Straftaten von Rechts wieder auf 36 Fälle im Kreis Unna.
Dass die Fallzahlen ab 2015 gesunken sind, sei vor allem der Gründung und der umfangreichen Arbeit der „Soko Rechts“ in der Polizei Dortmund geschuldet. Polizeikommissarin Özlem Demirtas teilte mit: „Die organisierte Neonazi-Szene in Dortmund ist zerschlagen und dies wirkt sich auch auf die Nachbarorte wie den Kreis Unna aus.“
Damit sich Rassismus und Gewalt nicht stärker in Unna festigen können, wird sich der Runde Tisch auch weiterhin engagieren. Aus Sicht von Birgit Rottmayer und Klausdieter Herb steht in Unna den rassistischen Strömungen einer lauten Minderheit eine demokratische Mehrheit gegenüber, die öffentlich für die Demokratie einstehen wolle.
Vor der Europawahl brachte beispielsweise die Aktion „Von der Straße in die Köpfe“ Flyer in die Briefkästen der Menschen in Unna. Der Flyer warb für eine Stimmabgabe und – trotz aller gesellschaftlichen Probleme – für demokratische Lösungen. „Das war ein bürgerliches Engagement, das direkt aus der Mitte kam und mithilfe des Netzwerks umgesetzt wurde. Die Leute sagten, gib mir 200 Flyer, ich mache mit und verteile die“, sagt Klausdieter Herb.
Antirassismus als demokratischer Wert
Dass sich Menschen in Unna gegen Rassismus einsetzen, sei aus Sicht Rottmayers faktisch eine demokratische Handlung: „Rassismus heißt immer, ich packe Leute in Schubladen und weise ihnen bestimmte Rechte zu. Nur weil du schwarz bist, darfst du das nicht, oder weil du Frau bist, bist du für diese Position nicht geeignet. Das sind ja rassistische Ideen“, erläutert die 71-Jährige. „Gleichzeitig ist es antidemokratisch, weil demokratisch heißt: Wir haben alle die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten. Wir setzen uns verbal auseinander und nicht mit der Faust.“
Welche Bedeutung demokratische Werte für das Leben der Menschen haben, gerate gleichzeitig aber auch mehr und mehr in Vergessenheit. Für Birgit Rottmayer ist Demokratie Arbeit: „Die eigene Meinung äußern zu können und frei wählen zu können und all diese Dinge, die für uns so selbstverständlich sind, sind weltweit überhaupt nicht selbstverständlich. Das ist errungen. Und wenn wir da nicht aus dem Quark kommen und aufpassen und uns bemühen, dass das erhalten bleibt, dann wird das verloren gehen.“