Miriam Musca war das Nesthäkchen, die jüngste von vier Schwestern. Sie kam als letzte, setzte sich aber, was den Geburtstag angeht, gleich vor ihre älteren Schwestern. Am 23. Juli wäre sie 23 Jahre alt geworden. Zwei ihrer Schwestern haben am 24. und 25. Juli Geburtstag. „So war sie. Miriam hatte einen eigenen Kopf“, sagt ihre Mutter Patrizia Vinci Musca, die in Unna viele kennen, weil sie Stellvertretende Vorsitzende des Tauschrings Unna ist.
Im Februar verlor die 59-Jährige ihre Tochter. Die erst 22-jährige Miriam starb nach einer kurzen und unerkannten, aber umso heftigeren Krankheit. Die drei Schwestern fühlen sich noch immer wie amputiert, sagt die Mutter. „Mit ihr ist eine Zukunft gestorben.“ Gleichzeitig seien durch den Tod ihrer Tochter aber auch andere Türen geöffnet worden. Patrizia Vinci Musca möchte einen gemeinnützigen Verein gründen, der den Schwachen hilft und im Namen ihrer Tochter Gutes tut. „Wegen Miriams Tod gibt es dieses Projekt, denn meine Tochter gibt mir viel Mut.“
Spenden auf der Beerdigung
Noch vor der Beerdigung hatte sich die Mutter dazu entschlossen, statt Blumen Spendengelder zu sammeln. Es sei eine hohe Summe zusammengekommen. Wie viel genau, darüber möchte sie nicht sprechen. Nur so viel: „Die katholische Kirche St. Katharina in Unna mit ihren über 400 Plätzen war voll“, sagt sie. „Manche Leute mussten sogar stehen.“ Nicht nur Menschen aus Unna waren gekommen, sondern viele aus anderen Städten. Miriam Musca lebte in Bochum und studierte dort BWL. „Wenn Miriam eine Freundschaft hatte, dann war es eine richtige Freundschaft“, sagt Patrizia Vinci Musca.
Zwischen dem Tod und der Beerdigung lagen im Februar fast zwei Wochen, weil ihre Tochter obduziert werden musste. „Ich weiß daher alle Werte meiner Tochter, weiß, wie lang ihr Pony war und wie viel ihr Gehirn wog und so weiter“, sagt die Mutter. Anfang des Jahres kam Miriam Musca ins Krankenhaus und musste einen Leidensweg von fast 40 Tagen ertragen. Unter anderem konnte sie, weil sie künstlich beatmet wurde, nicht mehr sprechen, musste immer wieder lange ins Koma gelegt werden, weil sie aus Mund und Nase blutete und sämtlich Haare fielen ihr aus.
„Im Sarg hätte ich ihr Gesicht nicht erkannt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie es ist“, sagt ihre Mutter. „Das Einzige was schön geblieben ist, sind ihre wunderbaren Händen.“ Auf Bildern aus dem Krankenhaus, auf denen Patrizia Vinci Musca die Hand ihrer Tochter hält, haben beide die gleichen roten Nägel. Durch die Zeit im Koma sind die Nägel bei ihrer Tochter aber schon etwas rausgewachsen.
Glaube hilft Patrizia Vinci Musca
In der Zeit bis zur Beerdigung standen die Türen zur Wohnung der Familie immer für Beileidsbekundungen von Gästen offen. „Unsere Nachbarn dachten bestimmt, dass wir eine einwöchige Party feiern“, sagt Patrizia Vinci Musca. „Wir haben gemeinsam im offenen Wohnraum gegessen, gelacht und geweint.“ Viele Menschen aller Religionen kamen vorbei und brachten Essen mit.
Die Mutter der plötzlich Gestorbenen tröstete dabei die jungen und fassungslosen Freunde ihrer Tochter. Viele Gäste seien überrascht von ihrer positiven Ausstrahlung gewesen und fragten ihre drei verbliebenen Töchter, ob sie etwas eingenommen habe. „Ja, mein Herz ist voll mit Jesus. Wegen ihm weiß ich, dass ich sie in der Ewigkeit wiedersehen werde“, sagt die gläubige Katholikin. „Ansonsten würde ich verrückt werden, durch diesen großen Verlust. Es ist so wie es ist und ich muss jetzt das Beste daraus machen.“ Sie wolle kein Mitleid. Trotzdem hatte auch sie in den folgenden Wochen Momente, wo die Gefühle einfach zu groß waren: „Ich habe die Türen im Schlafzimmer geschlossen und einfach geschrien.“

Engagement und Temperament
Das Engagement, einen wohltätigen Verein zu gründen, hilft Patrizia Vinci Musca durch die schwere Zeit. Auch ihre Tochter hasste Ungerechtigkeit, erzählt die Mutter. In der fünften Klasse – Miriam Musca ging auf die Anne-Frank-Realschule – sagt ein Lehrer beim Elternsprechtag zu ihr, dass sich ihre Tochter immer für Schwächere einsetzte. Schon als 3-Jährige im Kindergarten habe sie einem Mädchen mit Trisomie 21 erlaubt, ihr die Schuhe auszuziehen, weil diese es wollte. Die beiden liefen dann Hand in Hand in die Kindergartengruppe. Das allererste Wort, was das andere Mädchen sagte, war Miriam. Inzwischen sind beide Mädchen bereits verstorben.
Eine der schönsten Erinnerungen von Patrizia Vinci Musca an ihre Tochter sei, wie sie gemeinsam einen Verbrecher am Smartphone überlisteten, weil beide einen Code vereinbart hatten, die dem Betrüger nicht auffallen konnte. Zwischen Mutter und Tochter passte wenig. Miriam Musca sei pflichtbewusst gewesen und habe sehr oft gelacht.
„Sie war aber keine Heilige“, sagt ihre Mutter und erinnert sich: „Puh, sie hatte Temperament.“ Ihre jüngste Tochter war auch nicht schüchtern, ihrer Mutter die Meinung zu sagen: „Miriam wollte die Welt verändern.“ Sie setzte sich für die Umwelt ein, hielt ihre Eltern dazu an, weniger Fleisch zu essen und kein Zewa mehr zu kaufen und erklärt ihnen resolut, dass sie manche rassistischen Worte aus ihrem Sprachgebrauch streichen sollen: „Die leckere Soße heißt Paprikasoße, Mama. Ihr wollt doch auch nicht, dass euch jemand Spaghettifresser nennt.“
Tochter als Inspiration
„Miriam hat sich der Welt und ihren Ängsten gestellt“, sagt ihre Mutter stolz. „Meine Tochter liebte Spanien – und das als Italienerin.“ Deshalb sei sie einst ganz alleine für eine Woche nach Barcelona gereist. „Sie stand mit ihren 1,58 Metern am Piano bei uns im Wohnzimmer und erzählte uns von dem Plan.“ Und sie zog es durch. Auch darin wurde sie zum Vorbild für ihre Mutter. Patrizia Vinci Musca reiste nach dem Tod ihrer Tochter alleine nach Rügen. „Wenn meine Tochter so mutig ist, dann muss ich als Mutter doppelt so mutig sein“, sagt sie.
Ihre Tochter inspirierte Patrizia Musca Vinci nicht nur zur Gründung des Vereins. In einem Motivations-Tagebuch hielt die junge Frau fest, wofür sie dankbar war. Manchmal waren das einfache Dinge wie ein Chai Latte. Aber sie war sich auch ihren Privilegien bewusst, als Weiße geboren worden zu sein.
Auch für ihre Eltern sei sie dankbar. Unter anderem schrieb sie auf die Frage, was sie einem geliebten Menschen sagen wolle: „Mama, sorge dich um dich!“ Es ging ihr um die Gesundheit ihrer Mutter. Patrizia Musca Vinci las den Satz erst nach dem plötzlichen Tod ihrer Tochter und beschloss etwas zu ändern.
Verein sucht Namen
In der nächsten Woche hat Patrizia Musca Vinci für die Kita St. Katharina eine Überraschung, die sie von den Spendengeldern der Beerdigung gekauft hat. „Willst du die Welt verändern, dann fang bei den Kindern an“, sagt sie. Doch damit soll ihr Engagement nicht enden. Patrizia Vinci Musca möchte am liebsten allen Menschen helfen. Sie setzt sich für das Frauenhaus in Unna ein und spendet an verschiedene Vereine. Außerdem übernahm sie eine Patenschaft für ein junges Mädchen in Palästina und gebe immer wieder gebe sie auch Geld an Obdachlose.
Doch die Spenden von der Beerdigung ihrer Tochter sind bald aufgebraucht. Deshalb möchte sie so schnell es geht den gemeinnützigen Verein gründen. „Ich werde an jede Tür klopfen“, kündigt sie an. Dafür sucht sie aktuell noch weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Doch noch etwas weiteres fehlt: „Ich suche noch nach einem Namen für den Verein“, sagt Patrizia Vinci Musca. Der Name ihrer Tochter soll auf jeden Fall darin vorkommen.
Wer im Sinne von Miriam schon jetzt etwas Gutes tun möchte, könne auch sich auch vorher mit Patrizia Vinci Musca in Verbindung setzen: Tel. 015738435711. Sie möchte Spenden für die Lebensmittelabgabestelle sammeln, die jeden Sonntag neben der St. Katharina Kirche in Unna Essen ausgibt.