Anna Kavena (37) gehört zu den aufstrebenden SPD-Politikerinnen im Ruhrgebiet. Die frisch gebackene Landtagsabgeordnete aus Recklinghausen hat vieles vor, insbesondere für Kinder und Familien. Das hat auch mit der Geschichte ihrer eigenen Familie zu tun.
Der deutsche Teil dieser Geschichte begann in Unna-Massen. Den Ort, an dem heute wieder Hunderte Flüchtlinge unterkommen, hat die Politikerin jetzt nach mehr als 30 Jahren zum ersten Mal wieder besucht.
Aussiedlerfamilie kommt 1989 in Landesstelle
„Ich habe große Demut gespürt“, sagt Anna Kavena. Gemeinsam mit ihrem Parteifreund, dem Unnaer Landtagsabgeordneten Hartmut Ganzke, war die Recklinghäuserin in Massen-Nord zu Besuch. Heute befindet sich dort die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber.
Kavena und Ganzke konnten sich die Einrichtung ansehen. Dort werde hervorragende Arbeit geleistet, um ankommenden Flüchtlingen ihre ersten Tage in Deutschland so positiv wie möglich zu gestalten, urteilt Kavena.
1989 war an diesem Ort die Landesstelle Unna-Massen, die 1951 eröffnet worden war und immer als Seismograph der Weltpolitik galt. Die kleine Anna kam mit drei Jahren dort an. Die Familie stammt aus Polen. „Wir sind in ein fremdes Land gekommen und so nett empfangen worden“, sagt Anna Kavena. Es gibt die Anekdote über eine Nonne, die das kleine Mädchen irgendwann im Winter 1989/90 an die Hand nahm. In dem Trubel im Auffanglager habe ihre Mutter zwischenzeitlich Angst bekommen, als das kleine Mädchen verschwunden war. Doch Anna war in guter Obhut und als ihre Mutter sie wieder in die Arme schließen konnte, war sie um ein fröhlich-gelbes Kleidchen reicher. Die fürsorgliche Ordensschwester hatte sie damit ausgestattet.

Kinder sollten es besser haben
Sechs Wochen lang war die Familie in Unna-Massen untergebracht, ehe die Aussiedler der Stadt Herten zugewiesen wurden und dort eine kleine Wohnung bezogen. Warum sie überhaupt ins Ruhrgebiet übergesiedelt waren, erklärt Anna Kavena so: Ihre Großeltern hätten bereits in Gelsenkirchen gelebt, ihre Familie habe den Status als deutschstämmige Aussiedler gehabt. Ihr Vater hatte als Kfz-Mechaniker in ihrer Heimat Graudenz (polnisch Grudziaz, 80 Kilometer entfernt von Danzig) eine eigene Werkstatt, auch die Mutter war dort berufstätig.
Aber die Lebensbedingungen seien ärmlicher gewesen, schwieriger als im Westen. „Unsere Eltern haben irgendwann entschieden, dass wir ein besseres Leben führen sollen“, sagt Anna Kavena. Sie spricht über sich und ihre jüngere Schwester, die schon in Deutschland zur Welt kam.
Dankbar für das Opfer der Eltern
Dankbar ist Anna Kavena nicht nur Menschen, die ihrer Familie halfen, sondern auch ihren Eltern selbst. Ihrem Vater sei schnell nach der Ankunft klar geworden, dass er dabei war, vieles aufzugeben. Daheim in Polen hatte er einen eigenen Betrieb und eine gewisse Stellung. In der neuen Heimat Deutschland wurde er Hilfsarbeiter. Ihre Mutter habe ihn überzeugt zu bleiben – für die Kinder. „Deswegen bin ich meinen Eltern so dankbar“, sagt Anna Kavena.

Integration war schwer
Über ihre Anfänge in Deutschland will sie aber durchaus ein realistisches Bild zeichnen. „Es war nicht so einfach mit der Integration“, sagt Anna Kavena. Ihre Eltern hätten sich durchbeißen müssen. Ihre Mutter etwa habe keinen Deutschkurs machen können. „Meine Eltern konnten mir nie in der Schule helfen“, erinnert sie sich. Vielmehr habe sie schon als Kind für ihre Eltern übersetzen müssen.
Das sei nicht unbedingt schlecht. „Daran wächst man“, sagt sie heute. Aber sie sieht es heute als ihre politische Aufgabe, die Lebensbedingungen von Kindern zu verbessern. Auch Kinder, die nicht aus privilegierten Haushalten kommen, sollen gute Chancen haben. „Ich wünsche mir, dass sie nicht so viele Steine im Weg haben.“
Ansporn für politisches Wirken in der SPD
Wie die Nonne in Unna-Massen gab es auch später in Herten Menschen, die sich um die Neuankömmlinge kümmerten. Später erfuhr Anna Kavena, dass es örtliche SPD-Politiker waren, die hier ganz praktisch Sozialpolitik machten, indem sie den Aussiedlern unter die Arme griffen. „Als mir das klar wurde, stand fest, dass ich mich auch engagieren will“, sagt sie rückblickend. Sie wurde aktiv in der Politik und sitzt seit 2022 für die SPD im NRW-Landtag.
Mit Bildung Chancen verbessern
Für sie selbst sei Bildung der Schlüssel zur Integration gewesen. Ihre Familie habe am Rand der Gesellschaft gelebt, nie richtig dazu gehört. Mit ihrem Schulabschluss, dann mit ihrer Ausbildung zur Sozialpädagogin sei die Frage nach ihrer Herkunft immer mehr in den Hintergrund gerückt.
„Über Bildung habe ich mir Verbundenheit geschaffen“, sagt sie. Daher will sie durch ihr politisches Wirken die Bedingungen verbessern für Bildung schon ab dem Vorschulalter, unter anderem durch mehr Personal, das besser bezahlt wird. „Der gesamte soziale Sektor ist unterfinanziert“, sagt die Politikerin.
Von der Landesstelle ins Landesparlament: Solche Lebensgeschichten können gelingen, wenn Menschen eine Chance bekommen. „NRW ist das Land der Chancen“, sagt Anna Kavena.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals am 20.03.2023.