Ein 80-Jähriger erklärt, wie es der deutschen Jugend geht: Wer bei Prof. Dr. Klaus Hurrelmann mit einem erhobenen Zeigenfinger oder einer Art Generationenschelte rechnet, liegt falsch. Der bekannte Forscher mahnt zum Verstehen der jungen Generation. Das Bild, das er von ihr zeichnet, ist aber im Moment eher ein düsteres.
Jugendliche fühlen sich gestresst
Hurrelmann war zum inzwischen fünften Mal auf Einladung der Stiftung Zukunft der Sparkasse Unna-Kamen zu Gast. Sein Arbeitsschwerpunkt sind Trendstudien, die auf Befragungen von 14- bis 29-Jährigen basieren und jährlich fortgeschrieben werden. Vor zwei Jahren hatte der Bildungs- und Jugendforscher in der Stadthalle unter anderem erklärt, dass vor allem durch die Corona-Pandemie Angst, Unsicherheit und Stress viele junge Menschen belasten. Und psychische Probleme werden eher schlimmer als besser, war seinem aktuellen Vortrag zu entnehmen. Die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen fühle sich gestresst. Jugendliche würden ihm und seinen Forscherkollegen von Erschöpfung berichten, von Selbstzweifeln und Antriebslosigkeit. Etwa jeder Zehnte habe Suizidgedanken. Die Nachfrage nach Therapie überschreite das Angebot. Er spreche sich schon längst für Gruppenbehandlungen aus, so Hurrelmann.
Mit Blick auf die Arbeitswelt seien viele junge Leute von der Sorge vor Überlastung geprägt. „Es ist eine junge Generation mit einer eingebauten Burnout-Sperre“, so Hurrelmann. „Wir müssen diese Sorgen ernst nehmen.“

Klimawandel ist nicht mehr das Schlimmste
Was die größten Sorgenthemen der jungen Generation angeht, stehe der Klimawandel längst nicht mehr an erster Stelle. Am häufigsten genannt werde inzwischen Inflation, gefolgt von Krieg und der Verteuerung und Verknappung des Wohnraums. Viele in diesem Alter würden sich auch Sorgen machen, wie sie nach ihrem Berufsleben einmal abgesichert sind. Jugendliche haben demnach Angst vor Altersarmut und einem Zusammenbruch des Rentensystems. „Das ist auffällig“, so Hurrelmann. Weitere Probleme, die junge Menschen laut den Befragungen zunehmend besorgen: Spaltung der Gesellschaft, Wirtschaftskrise, Erstarken rechtsextremer Parteien und Zunahme eines „Flüchtlingsstroms“.
Politisch standen die Grünen in einer Befragung von 2023 noch am höchsten im Kurs bei jungen Menschen, inzwischen hat die AfD stark aufgeholt, wie Hurrelmann berichtet. Der Forscher vermutet hier pragmatische Entscheidungen: Junge Menschen würden ermitteln, welche Parteien wofür stehen. Und viele Themen, die diese Generation belasten und denen gegenüber sie sich machtlos fühlen, würden von der AfD angesprochen. Von der Politik der „Ampel“ hingegen sei die Jugend enttäuscht: Grüne, SPD und FDP verlören in der Gunst der Jungwähler, während die CDU/CSU aktuell auch eher gewinne.
„Tiktok“ als Politik-Medium
Die AfD habe es zudem anders als die traditionellen deutschen Parteien von Anfang an verstanden, die Jugend so anzusprechen, dass sie sich auch erreicht: über Internet-Medien. Hurrelmann berichtet, dass 14- bis 19-Jährige inzwischen zu 67 Prozent bei „Tiktok“ aktiv seien. Neben „Whatsapp“ nehme auch die Nutzung von „Instagram“ und „Snapchat“ bei jungen Menschen weiter zu. Unter 30-Jährige würden sich fast nur noch über Social-Media-Kanäle politisch informieren, nicht mehr über Zeitung, TV- oder Radionachrichten.
Apropos Medienkonsum: Viele Jugendliche sagen Hurrelmann zufolge, sie würden das Handy mehr nutzen, als ihnen lieb ist; 42 Prozent gaben an: „Ohne Smartphone funktioniert mein Leben nicht.“ Die Geräte führen in der Selbsteinschätzung der jungen Nutzer zu Schlafmangel und werden als anstrengend empfunden. Gleichzeitig sei ihre Nutzung völlig selbstverständlich.

Jugendforscher in Unna zu Corona-Folgen: „Drittel der Jugend sackt weg“