„Experiment Heimat“ Warum macht ein Fotograf Unnas schmuddelige Hinterhöfe zu Kunst?

„Experiment Heimat“: Ungewöhnlicher Blick soll Fragen aufwerfen
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Das Wort Heimat ist seit ein paar Jahren vielleicht nicht in aller Munde, aber es wird wieder häufig verwendet. Ein noch junges NRW-Ministerium will unter anderem den Heimatgedanken fördern, Kulturschaffende setzen sich damit auseinander. Aktuell passiert dies in Unna mit einer interessanten Ausstellung. Sie zeigt, was viele Unnaer aus ihrer Heimat kennen - was die meisten aber Gästen wohl nicht zeigen würden.

Mal ist eine Gaststätte darin gewesen, mal nicht – vor allem empfinden es viele Menschen als störend: das auffällige Balkon-Gebäude am Alten Markt. Ein paar Meter weiter fällt der Blick auf eine Wendeltreppe neben einem Sammelsurium von Anbauten und Vordächern. Oder ein merkwürdig abgesperrter Parkplatz liegt vor einem Fachwerkhäuschen, das scheinbar erdrückt wird von der modernen Stadt, deren Bausünden drumherum hochgezogen wurden. Wer Fotos von Unna macht, blendet diese Orte in der Regel aus. Peter Bialobrzewski nicht. Der mehrfach preisgekrönte Fotograf und Fotografie-Professor zeigt in einer Bilderserie die schmucklosen Nebenstraßen und Hinterhöfe von Unna. Auch das ist eben Heimat.

Das „Balkongebäude“ am Markt ist sicher nicht das Aushängeschild der Stadt Unna. Wer in Unna lebt oder sich der Stadt verbunden fühlt, für den mag es aber ein Stück Heimat sein.
Das „Balkongebäude“ am Markt ist sicher nicht das Aushängeschild der Stadt Unna. Wer in Unna lebt oder sich der Stadt verbunden fühlt, für den mag es aber ein Stück Heimat sein. © Raulf

Corona-Gespräch mit dem Pest-Pfarrer

Das Projekt, das dahintersteckt, ist umfangreich und wurde von besagtem Ministerium finanziell gefördert. Im Rahmen von „Experiment Heimat“ wurden Fotografen und Autoren ausgewählt, die sich kreativ mit verschiedenen Orten in der Region auseinandergesetzt haben. Neben Unna waren dies unter anderem auch Dortmund, Detmold, Waltrop oder Bochum. Ziel sei gewesen, dass eine Stadt mit dem Blick von außen betrachtet wird, erklärt Sigrun Krauß, Leiterin des Kulturbereichs in der Stadtverwaltung.

Neben dem Fotografen Bialobrzeski hat sich die aus Großbritannien stammende Autorin Sharon Dodua Otoo mit Unna beschäftigt. Ihr Ergebnis ist der Text „Der Esel führt abends Selbstgespräche“. Er enthält Bezüge zur Corona-Pandemie und den Lockdown-Zeiten, in die die Recherchephasen von „Experiment Heimat“ fielen. Wie sich im Verlauf der Geschichte herausstellt, führt der Ich-Erzähler ein Gespräch mit Pfarrer Philipp Nicolai, der vor rund 400 Jahren die Folgen einer anderen Seuche zu bewältigen hatte: Er musste in Unna zahlreiche Opfer der Pest beerdigen.

„Experiment Heimat“ in der Schwankhalle im ZIB ist vom 21. Januar bis 19. Februar zu sehen

Ausstellungseröffnung am Samstag, 21. Januar, 19 Uhr, mit Gesprächsrunden und einer Lesung. Autorin Sharon Dodua Otoo und Fotograf Peter Bialobrzeski sind anwesend.

Bücher und Ausstellung zur Heimat Unna

Ab diesem Samstag ist eine Auswahl der Fotografien im ZIB zusehen. Im Rahmen der Vernissage wird Autorin Otoo auch aus ihrem Text lesen. Beides ist zudem in einem Buch zu finden, das den Titel des Projekts trägt und im Buchhandel erhältlich ist. Peter Bialobrzeski hat noch viele weitere Fotos in einem separaten Band veröffentlicht. Mit „Unna Diary“ hat die Hellwegstadt somit einen Bildband bekommen, der sie in eine Reihe stellt mit Sarajevo, Bangkok, Athen und anderen Orten auf der Welt, die der Fotograf bereist hat.

Die Wanderausstellung erreicht nun Unna als letzte der am Projekt teilnehmenden Städte. Sie soll die Besucher zum Nachdenken darüber anregen, was für sie Heimat bedeutet. „Man wird sicher mit mehr Fragen herausgehen, als man beim Hereinkommen hatte“, so Heiner Remmert vom Westfälischen Literaturbüro als Hauptveranstalter des Projekts. Gerade die Bilder dürften Schmunzeln oder auch Irritation hervorrufen. „Das sind bestimmt keine Postkartenmotive. Vielleicht reibt sich der eine oder andere auch daran“, sagt Sigrun Krauß. „Das wäre wünschenswert.“