
Demokratie erlaubt Streit. Demokratie braucht die Auseinandersetzung. Demokratie lebt vom Ringen um das bessere Argument. Und aktuell gibt es zahllose Konflikte, die nicht einfach zu lösen sind. Hunderttausende gehen in Deutschland in diesen Tagen auf die Straße – auch in Unna –, um für die Demokratie einzustehen. Sie sehen unsere gesellschaftliche Ordnung in Gefahr – gefährdet durch Rechtspopulismus. Doch was bringen diese Proteste? Sie stoßen auf taube Ohren. Denn unsere Gesellschaft wird längst von einer Brandmauer geteilt.
Es gibt nur noch Schwarz und Weiß
Bei Diskursen gibt es nur noch Schwarz und Weiß – und kein Grau mehr. Die Mitte der Gesellschaft spaltet sich zunehmend. Die Demonstranten dieser Tage werden – vor allem in den Sozialen Medien – abgetan als „blinde Idealisten“, die ihre Augen vor den Problemen – vor allem durch Migration – verschließen. „Alles Antidemokraten“, heißt es unter anderem zu unserer Berichterstattung über die Demonstration in Unna am Samstag (8. Februar). „Gab es wieder Bratwurst umsonst?“, fragt ein anderer Facebook-Nutzer verächtlich. Auch eine ganze Reihe Schafe wurden gepostet – damit werden die Demonstranten als unwissend, fern der Wahrheit betitelt. Weitere Kommentare musste unsere Redaktion aufgrund rechtsextremer Tendenzen löschen.
Aber was treibt die Demonstranten auf die Straße? Mit den Stimmen der AfD hat die CDU einen Entschließungsantrag zur Verschärfung in der Innen- und Migrationspolitik durchgebracht. Damit wird die Bundesregierung aufgefordert, in bestimmten Punkten tätig zu werden. Es geht unter anderem um dauerhafte Grenzkontrollen, das Zurückweisen bei illegalen Einreiseversuchen oder die Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Straftäter und Gefährder.

Inhaltlich gibt es Überschneidungen mit Forderungen der AfD aus vergangenen Jahren. Die Zustimmung der zum Teil als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei kommt daher nicht überraschend.
Sie polarisiert dennoch maximal. Ein Tabubruch, sagen Politiker von SPD und Grünen. Dabei sehen nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen rund 40 Prozent die Fragen um das Thema Migration, Asyl und Ausländer als wichtigstes gesellschaftliches Problem.
Gräben in der Gesellschaft
Anschläge wie die Messerattacke in Solingen oder die Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sind ein Nährboden für rechtspopulistische Rhetorik, die das gesellschaftliche Klima vergiftet.
Die Kluft zwischen den unterschiedlichen Lagern hat sich so weit vergrößert, dass eine konstruktive Auseinandersetzung kaum noch möglich scheint. Vielmehr vertieft jede neue Maßnahme, jeder neue Vorschlag die Gräben in der Gesellschaft, statt Brücken zu bauen.
Realistische und gerechte Lösungsansätze fehlen
Die Menschen sind besorgt. Wirtschaftliche Unsicherheit, eine hohe Inflation, steigende Energiepreise schüren Existenzängste. Dies verstärkt die Neigung, Sündenböcke zu suchen. Der Vertrauensverlust in die traditionellen politischen Parteien und Institutionen schafft ein Vakuum, das von extremen Positionen gefüllt wird. In der Hoffnung auf schnelle Lösungen lassen sich einige von der Rhetorik rechtsextremer Parteien einfangen, die behaupten, die aktuellen Missstände beheben zu können, aber oft fehlen ihnen realistische und gerechte Lösungsansätze.
Wie die AfD argumentiert, zeigte Bundestagskandidatin Friederike Hagelstein kürzlich in der Wahlarena unserer Redaktion. Hagelstein leugnete den menschengemachten Klimawandel. Eine eindeutig wissenschaftsfeindliche Haltung.
„Dann stirbt die Demokratie“
Bei wem sich ein extremes Weltbild – links oder rechts – bereits manifestiert hat, der ist von anderen Standpunkten kaum noch zu überzeugen. Am Ende verpuffen auch die Demonstrationen. Vielmehr muss sich jeder Einzelne im Alltag gegen menschenverachtende Parolen wenden und sich für Demokratie einsetzen – im Freundeskreis, in der Familie, am Arbeitsplatz und in Bus und Bahn.
Es bleibt die große Herausforderung, den Weg zurück zu einer diskussionsfähigen Mitte zu finden. Eine Demokratie muss eine rechte Partei aushalten, aber keine rechtsextreme. Politologe Philip Manow sagte: „Es muss ein Eigeninteresse der Mehrheit an der Demokratie geben. Wenn eine Mehrheit sagt, ‚nein, wir wollen das nicht‘, dann hilft auch kein Bundesverfassungsgericht. Dann hilft gar nichts, sondern dann stirbt die Demokratie.“
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