180.000 Euro hat ein Käufer – vielleicht eine junge Familie – im vergangenen Jahr für ein frei stehendes, wenig modernisiertes Einfamilienhaus in Unna-Massen gezahlt. Es wurde im Jahr 1900 gebaut und hat eine Wohnfläche von 166 m².
Würde diese Familie einen Blick in den Grundstücksmarktbericht der Stadt werfen, würde sie ganz andere Werte für das Objekt vorfinden: Laut Immobilienrichtwert hätte es das Baujahr 1966, eine Wohnfläche von 151 m² und zum Modernisierungsgrad ist die schwammige Angabe „baujahrstypisch“ angeführt.
Annette Rüdiger ist die Vorsitzende des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Unna. Sie hat gemeinsam mit ihrem Team die vorliegenden Grundstücksdaten aus dem vergangenen Jahr ausgewertet und die Ergebnisse jetzt in einem umfassenden Grundstücksmarktbericht 2023 vorgestellt. Rüdiger und ihr Team haben sich zum Beispiel Kaufverträge angeschaut und anhand derer Richtwerte für Kaufpreise in Unna errechnet. Unter anderem für Häuser, Wohnungen und Grundstücke.
Für das Objekt unserer jungen Beispiel-Familie hat der Ausschuss einen Richtwert von 215.000 Euro errechnet. Sie hat also 35.000 Euro weniger bezahlt, als die Bewertung durch den Ausschuss ergeben hat. Wie Rüdiger erklärt, können sich solche Unterschiede durch Baumängel erklären lassen, die aus den vorliegenden Daten nicht hervorgehen können.
Mehr Kosten für weniger Grundstück
Dass Richtwert und tatsächlicher Kaufpreis voneinander abweichen, kommt häufig vor. Und nicht selten zahlen die Käufer mehr als den Richtwert. „Die Kaufpreise liegen teils über 100 Prozent über dem Bodenrichtwert“, sagt Rüdiger über die Preise aus dem vergangenen Jahr, die Menschen für Wohnungen, Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Doppelhaushälften ausgeben haben.
Obwohl die Preise in den vergangenen Jahren gestiegen sind, bekommen die Käufer dafür weniger, denn trotz steigender Preise sind die Grundstücksgrößen geschrumpft, wie Rüdiger erklärt. Interessant: Bei größeren und teureren Grundstücken weichen die Preise weniger stark von den Richtwerten ab. Das könnte damit zusammenhängen, dass in dem hohen Preissegment die Nachfrage nicht so stark angestiegen ist wie in den Preis-Sphären darunter und damit die Konkurrenz die Preise nicht hochgetrieben hat. „Käufer erschwinglicher Objekte haben mehr gezahlt, als sie dem Richtwert nach müssten, die der teuren Projekte zahlten etwa den Richtwert“, erklärt Rüdiger.
Portal mit Kaufpreisen in NRW
Die Richtwerte, die der Ausschuss um Rüdiger aufwendig errechnet hat, sind wichtig, denn sie bilden einerseits die Entwicklung der vergangenen Jahre ab und bietet auf der anderen Seite potenziellen Käufern eine Orientierung. Wer ein Haus, eine Wohnung oder ein Grundstück erwerben möchte und sich vorab eine Vorstellung vom Kaufpreis machen will, der findet im Portal „Boris-NRW“ alle errechneten Richtwerte im Land. „Boris“ speist sich aus Informationen der Gutachterausschüsse und des Oberen Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Nordrhein-Westfalen. Auch die Daten für Unna liegen bereits vor, erklärt Annette Rüdiger.
Auf einer Karte können Unnaer in dem Portal sehen, wie die Richtwerte für Ein- und Zweifamilienhäuser bzw. Eigentumswohnungen in den einzelnen Zonen sind. Die Zonen sind festgelegt, erklärt Rüdiger. Manchmal kommen neue dazu, wenn etwa ein großes Baugebiet entsteht, das sonst die Werte einer bestehenden Zone verfälschen würde. Für Interessierte gibt es unterschiedliche Suchfunktionen: Sie können zum Beispiel mit einem Immobilien-Preis-Kalkulator anhand Adresse und Jahr einen Kaufpreis errechnen.
Obwohl die Nachfrage in den vergangenen Jahren generell hoch war und die Kaufpreise gestiegen sind, ist die Zahl der Kaufverträge in Unna seit 2019 konstant gesunken. Im vergangenen Jahr waren es 508, im Jahr davor 587 und 2020 über 600. Schwankungen können zum Beispiel durch Baugebiete entstehen, erklärt Rüdiger: Wird mehr gebaut, kommen mehr Kaufverträge zustande.

Auch beim Kauf von Bauland ist die Zahl im vergangenen Jahr im erschwinglichen Preissegment eingebrochen: Für Bauflächen zwischen 100.000 und 125.000 Euro sind im Jahr 2021 in Unna elf Verkäufe verzeichnet, im Jahr 2022 waren es nur vier. Hier sind sicherlich hohe Baukosten und steigende Zinsen Gründe für die zögerliche Lust am eigenen Bau. Wer viel Geld investieren konnte, hat das weiterhin getan: Bei Umsätzen ab 250.000 Euro sind die Kaufzahlen identisch geblieben.
Auch Eigentumswohnungen nehmen Rüdiger und ihre Kolleginnen unter die Lupe. Hier ist zum Beispiel der Kaufpreis von Wohnungen unter 60 m² stark angestiegen: Also Single- und Seniorenwohnungen. Die lagen offenbar im Trend, denn wie Rüdiger – bezogen auf alle Objekte – sagt: „Das Angebot bestimmt die Nachfrage.“ Die Expertin betont an dieser Stelle noch einmal, dass der Richtwert nicht die realistische, aktuelle Lage auf dem Markt darstellt. „Den Preis bestimmt immer noch der Verkäufer.“