Per Mausklick bestellen kann fast jeder, und viele Menschen tun es regelmäßig. Aber was passiert eigentlich alles, damit Schuhe, Haartrockner oder Katzenfutter zügig beim Kunden ankommen? Ein Teil der Logistikkette liegt in Unna: Der marktbeherrschende Onlinehändler Amazon hat seit drei Jahren einen Standort in Alte Heide. Gemeinsam mit Lesern konnten Reporter unserer Redaktion sich dort alles ansehen und erläutern lassen.

Eines von 60 Verteilzentren
Vom Verteilzentrum Unna aus werden Adressen im Kreis Unna und in der umliegenden Region beliefert. Die Kleinlaster fahren unter anderem auch ins Sauer- und Münsterland. Ware gelagert wird an der Formerstraße nicht. Die Hallen, die 2020 in Betrieb gegangen sind, sind eines von 13 Verteilzentren in NRW. Amazon hat davon deutschlandweit 60.
Bestellt ein Kunde etwas, sucht das Amazon-System das nächstgelegene Logistikzentrum, in dem der Artikel liegt, etwa Werne oder Oelde. Über ein Sortierzentrum gelangt der Artikel dann ins Verteilzentrum, von wo er „die letzte Meile“ seines Weges antritt, wie es bei Amazon heißt.
Vorsortieren für die Liefertouren
An der Formerstraße kommen nachts beziehungsweise morgens zwischen 2 und 8.30 Uhr Sattelzüge mit Ware an. Mitarbeiter entladen die Laster und die Ware gelangt in das ausgeklügelte Sortiersystem des Verteilzentrums. Die Pakete und Päckchen werden in handgeschobene Transportwagen gelegt, kleinere Produkte wie Bücher in Auslieferungstaschen. Zug um Zug wird alles so eingeordnet, dass der letzte Schritt, die Auslieferung, möglichst ohne Zeitverlust vonstattengeht. „Wir sortieren für die Fahrer“, sagt Mohamed Maach, Leiter des Amazon-Standorts Unna.
Unna hat sein eigenes System
Besagte Fahrer kommen in der Regel ab kurz nach 10 Uhr. In mehreren Wellen fahren jeweils bis zu 30 Amazon-Vans in die Halle hinein. Sie nutzen exakt vorgegebene Wege, jeder steuert eine an dem Tag für ihn und seine Tour vorgesehene Parkbucht an. Dahinter stehen die Rollwagen mit den Paketen und Packtaschen bereit. Zehn bis 15 Minuten nur dauert es, dann hat jeder seinen Lieferwagen vollgepackt und ist unterwegs zu seiner Tour.
Dieser Teil des Verteilzentrums funktioniert nach einem in Unna entwickelten System mit kurzen Wegen und geringen Wartezeiten. Weltweit sei Unna bisher das einzige Zentrum, das danach arbeite, so Standortleiter Maach. Teams aus Amerika, dem Amazon-Mutterland, hätten sich das System Unna bereits angeschaut, um es zu übernehmen, berichtete er nicht ohne Stolz.
Ziele: Nah und schnell
Ein Ziel der zügigen Abwicklung sei, dass die Fahrer ihre Touren schnell erledigen können. „Sie sollen früh nach Hause kommen“, sagt Maach. Dies sei auch im Sinne der Kunden. Er selbst als Familienvater schätze es auch nicht, wenn abends um 21 Uhr noch ein Paketbote klingelt.
Rund 80 Prozent seiner Sendungen liefert Amazon inzwischen mit seiner eigenen Lieferflotte aus. Was externe Dienstleister wie DHL zustellen, wird auch direkt über deren Logistik abgewickelt und erreicht das Amazon-Verteilzentrum gar nicht. Diese Paketdienste seien zu Stoßzeiten wie im Weihnachtsgeschäft vielfach an ihr Limit gekommen, hieß es beim Rundgang in Unna, daher die Entscheidung von Amazon, mehr eigene Logistik-Kapazitäten zu schaffen. Es gehe um Nähe zum Kunden und Schnelligkeit.
Fahrer arbeiten bei Partnerfirmen
Apropos Fahrer: Unter welchen Bedingungen diese arbeiten müssen, gehörte zu den kritischen Fragen, mit denen Standortleiter Maach und Amazon-Pressesprecher Thorsten Schwindhammer während der Leser-Redaktionstour konfrontiert wurden. Direkten Einfluss darauf habe Amazon Logistik nicht: Die Fahrer sind bei Partnerunternehmen angestellt. „Aber diese Partner werden von uns regelmäßig auditiert“, so Sprecher Schwindhammer. „Wir wollen, dass die Fahrer gut behandelt und bezahlt werden.“ Würden Missstände bekannt, dann suche Amazon das Gespräch mit dem Transportunternehmen. Fahrer hätten die Möglichkeit, Hinweise zu geben, auch anonym, versicherten die Verantwortlichen.

Kein Tarifvertrag, aber...
Die eigenen Mitarbeiter bezahlt Amazon nicht nach einem Tarifvertrag, was unter anderem von Gewerkschaften immer wieder kritisiert wird. „Da haben wir unsere eigene Sicht“, bestätigte Amazon-Sprecher Schwindhammer. Bei 14 Euro pro Stunde liege das Einstiegsgehalt für ungelernte Tätigkeiten, wobei nach einem Jahr die erste Möglichkeit zur Steigerung bestehe. Wer nicht in „Level 1“, sondern in „Level 3“ als Vorarbeiter einsteigt, erhalte 20 Euro. Hinzu kämen Zusatzleistungen wie ein 49-Euro-Ticket und betriebliche Altersvorsorge. Standortleiter Maach betonte im Gespräch die guten Aufstiegschancen, von denen er nach seinem Start als Aushilfe vor 13 Jahren auch profitiert habe.
Mitarbeiter in der Logistik zu finden, sei derzeit für Amazon keine große Herausforderung. Führungs- und Fachkräfte wie etwa IT-Spezialisten zu bekommen, sei allerdings wie in anderen Branchen zunehmend schwer.

Kritik an kostenlosen Retouren
Die an der Tour teilnehmenden Leser zeigten sich begeistert von den Eindrücken und nutzten die Gelegenheit, viele Fragen zu stellen. Die Mitarbeiter des Versandriesen zeigten sich offen, auch in dem Bewusstsein, dass Amazon mitunter in der Kritik steht. Man habe nichts zu verbergen, so der Tenor.
Eine weitere kritische Frage etwa betraf die Retouren, die bei Unternehmen wie Amazon an der Tagesordnung sind: Ein Großteil der Bestellungen geht zurück. Amazon-Sprecher Schwindhammer bestätigte dies und erklärte, dass diese Sachen auf dem „Rückweg“ überhaupt nicht über Unna abgewickelt werden, sondern überwiegend über ein Zentrum in Osteuropa. In großen Mengen: Die Rücknahme kostenlos anzubieten, sei falsch, kritisierte ein Besucher. „Wir schauen auf den Kunden“, entgegnete Schwindhammer. „Der Kunde möchte kostenlose Retouren.“
Ein Video und mehr Bilder zum Thema sehen Sie auf unserer Internetseite www.hellwegeranzeiger.de
Amazon Unna in Zahlen
- Zur Eröffnung 2020 hatte das Verteilzentrum Unna 70 Mitarbeiter. Inzwischen sind es laut Standortleiter Maach inklusive Management 145 Angestellte, die in drei Schichten arbeiten. Die Nachtschicht startet um 2 Uhr.
- Den Standort an der Formerstraße verlassen täglich 20.000 bis 30.000 Auslieferungen. In mehreren Wellen starten an einem Vormittag bis zu 240 Liefertouren vom Verteilzentrum Unna aus.
- Das Zentrum mit der Kennung „DNX1“ (lesbar auf den gelben Paket-Aufklebern) nimmt in Unna-Nord eine Fläche von rund 15.000 Quadratmetern ein.

