Mangel an Ärzten ist für Drogenabhängige ein besonderes Thema. Nur wenige Mediziner wollen sie behandeln. Das Hilfsprojekt Lüsa in Unna schlägt Alarm: Die wenigen Junkie-Ärzte werden alt.

Unna

, 27.01.2020, 14:03 Uhr / Lesedauer: 3 min

Mehr als 80 drogenabhängige Menschen, vor allem aus dem Großraum Dortmund, werden beim Projekt Lüsa in Unna betreut. Die Abkürzung steht für „Langzeit Übergangs- und Stützungsangebot“. Lüsa gibt es seit 1997. Und seit jeher arbeiten die Verantwortlichen gegen ein Grundproblem an, das sich nun zu verschärfen droht: Wie können die Klienten medizinisch versorgt werden?

Täglicher Drogenersatz

Es geht um Erwachsene, zu 60 Prozent Männer, die von harten Drogen abhängig sind. Sie müssen regelmäßig Ersatzstoffe wie Methadon bekommen, um – soweit es geht – normal leben zu können. Die Fachleute bei Lüsa sprechen von Substitution. Sie haben vor Jahren durchsetzen können, dass sie ihren Klienten selbst am Standort in Unna diesen Drogenersatz verabreichen dürfen. Täglich bekommen die Betroffenen ihre Medizin, streng überwacht und exakt dosiert, die Substanzen sicher gelagert und weggesperrt.

Menschen am Rande der Gesellschaft

Einmal in der Woche aber, so ist es vorgeschrieben, müssen die Klienten persönlich einen Arzt sehen. Lüsa-Chefin Anabela Dias de Oliveira erinnert sich, dass sie anfangs Ärzte aus Unna anfragte und nur sehr wenig Bereitschaft fand, sich um diese besondere Patientengruppe zu kümmern. Sie könne das sogar verstehen. Nach Jahrzehnten in der Drogenhilfe weiß sie: Viele dieser Menschen sind nicht praxiskompatibel. „Sie zeigen, oft ein Verhalten, das in der Normalgesellschaft nicht verstanden wird.“

So gibt es vereinzelt auch im Kreis Unna Ärzte, die substituieren. Vor allem ein Arzt in Hamm aber, Dr. Jürgen Hardt, wurde zur wichtigsten Säule der medizinischen Betreuung für Lüsa. „Also sind wir anfangs mit geliehenen Bullis jede Woche mit 19 Klienten nach Hamm gefahren“, erinnert sich Dias.

Lüsa-Chefin Anabela Dias de Oliveira gilt als engagierte Streiterin für die Belange von Menschen am Rande der Gesellschaft.

Lüsa-Chefin Anabela Dias de Oliveira gilt als engagierte Streiterin für die Belange von Menschen am Rande der Gesellschaft. © Marcel Drawe

Alle nicht nur abhängig, sondern auch schwer krank

Doch dieses Versorgungsmodell mit Pendeln zum Arzt war irgendwann nicht mehr aufrecht zu halten. Die Zahl der Klienten hat seit den Gründungsjahren des Projekts stark zugenommen. Und sie sind kranker geworden. Wer über Jahre Heroin oder andere derartige Drogen nimmt, hat ein hohes Risiko, sich weitere schwere Erkrankungen zuzuziehen.

Fast jeder Lüsa-Klient hat Hepatitis, jeder zweite leidet an chronischen Wunden, hat Gliedmaßen verloren oder ist anderweitig in seiner Mobilität eingeschränkt. HIV, Krebs, Herz-, Nieren- und Lungenerkrankungen sind bei Lüsa an der Tagesordnung. „Die meisten haben mehrere dieser Erkrankungen und noch weitere“, sagt Dias.

Auch die bewährte Praxis in Hamm konnte das alles nicht mehr zusätzlich bewältigen. Aber es fand sich wieder eine Lösung: Die Praxis nahm eine Ärztin unter Vertrag, die seit einigen Jahren einmal in der Woche in Unna Sprechstunde bei Lüsa hat. „Das läuft im Moment gut“, sagt Dias.

Immer mehr seelische Erkrankungen

Doch neben dem Körper leidet auch die Seele unter den Folgen des Drogenmissbrauchs. „Wir haben gemerkt, dass die Menschen auch seelisch massiv schwer erkrankt sind“, sagt Dias. Dies habe auch mit der Voralterung der Klienten zu tun. Viele Jahre früher als andere Menschen zeigen Drogenabhängige Begleiterscheinungen des Alterns bis hin zur Pflegebedürftigkeit, weshalb Lüsa vor fünf Jahren eine neue Dauerwohneinrichtung bei Hemmerde eröffnete, quasi ein Altenheim.

Aber welcher Psychiater kümmert sich um Drogenkranke, wenn schon Hausärzte für sie kaum zu finden sind? Die Antwort auf diese Frage bringt die Lüsa-Klienten wiederum bis nach Münster. Ein Psychiater dort kümmert sich, kommt inzwischen auch alle fünf bis sechs Wochen nach Unna zur Sprechstunde.

Zur Sache

Über das Projekt Lüsa

  • Lüsa steht für Langzeit Übergangs- und Stützungsangebot. Das Projekt in Unna wird getragen vom Verein zur Förderung der Wiedereingliederung Drogenabhängiger.
  • Es gibt in Unna 43 stationäre Plätze, die meisten Klienten wohnen im Haupthaus an der Platanenallee.
  • 2015 wurde eine Dauerwohneinrichtung bei Hemmerde eröffnet. Kapazität: 14 Wohnplätze. Zwei Drittel der Bewohner dort sind älter als 40, nur jeder vierte über 60.
  • 40 weitere Klienten leben im ambulant betreuten Wohnen.
  • Seit 1997 hat es bei Lüsa 454 Aufnahmen drogenabhängiger Bewohner gegeben. 78 Klienten sind in dieser Zeit verstorben, so weit es Lüsa bekannt ist.
  • Im Rahmen des Projekts erhalten Abhängige ein sicheres Zuhause, Substitutionsbehandlung und Förderung, wenn möglich. Es gibt Tagesstruktur- und Beschäftigungsangebote. Das Ziel ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Die zwei wichtigsten Ärzte bald im Rentenalter

Nun sieht Dias ein großes Problem in nicht allzu ferner Zukunft: Sowohl der Hausarzt als auch der Psychiater, die so viele Lüsa-Patienten betreuen, sind schon über 60. „Wenn einer von denen nicht mehr arbeitet, haben wir ein existenzielles Problem.“ So gibt es zwar auch Nachwuchs, einen laut Dias jungen und engagierten Arzt in Menden, der substituiert. Doch dieser guten Nachricht stehen Zahlen des Gesundheitsamts des Kreises Unna gegenüber, die selbst Dias nun erschreckten: 2015 gab es noch 14 Ärzte im Kreis, die überhaupt substituierten. 2019 waren es nur noch neun.

Dias kritisiert, dass die Versorgung nach dem Zufallsprinzip aufgebaut sei. Finden sich keine Ärzte mehr, die engagiert sind, sich auch für die Substituion ausbilden zu lassen, blieben ihre Klienten auf der Strecke. „Das kann doch nicht sein“, sagt Dias. „Es gibt einen öffentlichen Versorgungsauftrag, auch für Drogenabhängige.“

Vorschlag: Ambulanz einrichten

Mit einer Fachtagung machte das Projekt Lüsa das Problem kürzlich zum Thema. Einen Lösungsvorschlag gibt es auch: Dias schwebt eine medizinische Ambulanz für Drogenabhängige vor, mit einer täglichen Sprechstunde, einmal die Woche auch mit Arzt. Eine Schlüsselrolle dabei würde die Kassenärztliche Vereinigung (KV) einnehmen. Diese hatte auch einen hochrangigen Vertreter zum Gespräch nach Unna entsandt. Er signalisierte, dass die KV das Problem durchaus ernst nimmt. Er sagte am Rande der Tagung, er sei zuversichtlich, dass man eine Lösung finden werde.