„Ich habe ein Gesicht für den Arbeitsplatz. Eins für die Straßenschlacht. Habe ein Gesicht für die ungewollte Mutterschaft. Eins wie eine Operndiva. Eins wie ein Pokerspieler. Ich habe ein Gesicht für Social Media.“ Der leicht abgewandelte Auszug aus dem Lied „I need a face“ von Alligatoah ist Teil eines besonderen Theaterstücks.
„Beyond the Mirror“ lädt ein, zu hinterfragen: Wer bin ich eigentlich? Denn selten entspricht das eigene Spiegelbild dem, was in einer Person steckt. Auf dieser Spurensuche befinden sich auch die Frauen, die das Stück auf die Beine gestellt haben: eine Gruppe aus alleinerziehenden Frauen auf der Suche nach Arbeit.
„Im stressigen Alltag als alleinerziehende Mutter hat man gar nicht die Zeit, sich Gedanken zu machen: Wo will ich hin? Wer bin ich? Was bin ich auch wert?“, erzählt Katharina. Als sie hörte, dass es auch im Kreis Unna ein Theaterprojekt gibt, das vom Jobcenter vermittelt wird, wollte sie unbedingt teilnehmen.
Neun Monate lang finden sich vierzehn Frauen zusammen, spielen Theater und erhalten unterschiedliche Job-Coachings. Zwischendurch sind sie in Praktika eingebunden oder erweitern ihre Medienkompetenz am Computer.
Warum Theater spielen, um einen Job zu finden?
Dabei nimmt das Angebot Rücksicht auf die Situation der Mütter: „Ich finde es super, dass wir unsere Kinder jederzeit zu den Proben mitbringen können und sie nicht behandelt werden, als wären sie ein Klotz am Bein sind. Wir werden als alleinerziehende Mütter vollwertig geschätzt“, erzählt Katharina.
Warum aber Theater spielen, um einen Job zu finden? Merima Horozovic betreut das Projekt „Lebens:art“ des Anbieters Defakto als Theaterpädagogin. Sie erklärt: „Theaterspielen ist Arbeit an sich selbst. Es schult die eigene Wahrnehmung und verlangt auch viel Empathie, um sich in andere Rollen hineinzuversetzen. Sich selbst kennenzulernen und die eigenen Stärken und Schwächen auszuloten – dafür ist Theater richtig gut.“

In Rollenspielen können auch Bewerbungssituationen simuliert und analysiert werden. „Wie war die Körpersprache? Habe ich Augenkontakt gehalten? Im Leben geht es immer um das Präsentieren. Als Kundin in einer Bäckerei präsentiere ich mich anders, als wenn ich gerade ein Job-Interview führe“, erklärt Horozovic.
Gleichzeitig erlerne die Gruppe unterschiedliche Softskills wie Kommunikation, Teamfähigkeit oder Problemlösungskompetenz. „Treten vor Aufführung Probleme auf, reden wir darüber, arbeiten zusammen und finden eine Lösung. Das ist ein bisschen wie am Arbeitsplatz“, erklärt die Theaterpädagogin.
„Niemand sagt: Du bist Ausländer.“
Neues lernen, Theater spielen und sogar in der Lindenbrauerei auftreten – die Frauen meistern kleine und große Herausforderungen, die sie letztlich stärken. Die Frauen sind auch als Gruppe zusammengewachsen und unterstützen sich auch privat gegenseitig, denn viele von ihnen überwinden unangenehme Erfahrungen.
Teilnehmerin Jumsee Nasan erzählt: „Ich komme aus der Mongolei und das Projekt hilft mir auch, Freunde zu finden. Als ich krank war, haben mir alle ‚gute Besserung‘ gewünscht und mir Unterstützung angeboten. Wir behandeln uns alle gleich. Niemand sagt: Du bist Ausländer.“
Andere Frauen litten unter Stalking oder schädlichen Beziehungen. Marima Horozovic erzählt: „Wir haben hier Teilnehmerinnen, die von Gewalt betroffen sind – von Ex-Ehemännern, Ex-Partnern, die nicht loslassen wollen und die Frauen wirklich quälen, mit psychischer und körperlicher Gewalt.“
So biete das Theater auch eine Möglichkeit, aus den schwierigen Lebensumständen herauszutreten, im Spiel für eine Zeit jemand anderes sein, sich selbst zu finden und Distanz zu dem zu schaffen, was sie außerhalb des Projekts unter Druck setzt.
„Einmal durften wir uns als Aufwärmübung auf einen Stuhl stellen und erzählen, worauf wir stolz sind. Viele haben gesagt, sie sind stolz, dass sie es geschafft haben, von ihren Männern loszukommen oder ihren Weg zu gehen“, erzählt Nadine Neugebauer, die ebenfalls an dem Projekt teilnimmt. „Die Verbindung von Job-Coaching und Theater hilft mir sehr viel, auch einfach zu sehen, wo meine Stärken und Schwächen sind, aber trotzdem nicht aufzugeben. Es hat mich gestärkt und glücklich gemacht. Wir sind sozusagen zusammen stark geworden.“
Die Frauen spielen das Stück „Beyond the Mirror“ (Jenseits des Spiegels) am 2. Mai um 18 Uhr in der Lindenbrauerei. Der Eintritt ist kostenlos.