Illegale Wetten auf Juniorenfußballspiele in Westfalen Glücksspielforscher schlägt Alarm

Wetten auf Jugendfußball: Experte warnt vor Manipulation: „Integrität des Sports in Gefahr“
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Die internationale Wettindustrie kassiert im großen Stil mit deutschen Amateurfußballspielen ab. Ein Milliardengeschäft, welches ein Team aus Investigativ-Journalisten und Datenexperten des Bayrischen Rundfunks (BR) in Zusammenarbeit mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) vor wenigen Wochen aufgedeckt hat.

Die Folge sind mögliche Spielmanipulationen in ganz Deutschland – auch in Westfalen. Wie das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) auf Anfrage unserer Redaktion zuletzt bestätigte, sind Senioren-Spiele in NRW von dem aufgekommenen Verdacht betroffen.

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Trigger-Warnung der Redaktion: Spielsucht? Hier bekommen Sie Hilfe

Der folgende Artikel befasst sich mit dem Thema Sportwetten. Menschen, die Probleme mit Spielsucht haben oder sich Sorgen um Angehörige oder Freunde machen, finden Hilfe bei der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“.

Unter der kostenlosen Hilfe-Hotline 0800 1 37 27 00 erhalten Sie alle Informationen zu Hilfsangeboten rund um das Thema Spielsucht!

Das Perfide: sogar vor Jugendfußballpartien macht die Wettindustrie keinen Halt.

Glücksspielexperte warnt vor Manipulation: „Integrität des Sports in Gefahr“

Als am Samstag (14. September) in Westfalen die U-19-Junioren von Borussia Dortmund und Preußen Münster aufeinander trafen (Endstand: 4:1), war auf internationalen Wettportalen detailliert zu lesen, welche Mannschaft auf dem Rasen gerade den Ball hat, wer verwarnt wird und ob ein Einwurf oder eine Flanke ansteht. Alles in Echtzeit. Anhand dieser Informationen konnte mit über 160 unterschiedlichen Wetten Geld auf die Jugendlichen gesetzt werden.

Diego Ngambia spielt mit 16 Jahren in der U19 von Borussia Dortmund.
Diego Ngambia (M.) spielt mit 16 Jahren in der U19 von Borussia Dortmund. © Ludewig

Und das auf eine Partie, in der, mit beispielsweise Samuele Inácio, Diego Ngambia oder Aaron Held, teilweise 16-Jährige auf dem Platz standen. Laut Glücksspielstaatsvertrag sind solche Wetten in Deutschland illegal. Das Problem: Ihre Server haben die Wett-Firmen oftmals im Ausland, weswegen Behörden große Schwierigkeiten haben, gegen das Wettangebot vorzugehen.

Dieses Medienhaus hat mit dem Glücksspielforscher und Diplom-Psychologen Dr. Tobias Hayer über die Thematik gesprochen.

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Biografie Dr. Tobias Hayer

  • geboren in Bremen (1974)
  • Abitur am Schulzentrum Holter Feld (1993)
  • Studium der Psychologie in Bremen inklusive Auslandsstudium an der City University London (1995 - 2001)
  • Diplomarbeit (2001)
  • Dissertation zum Thema: „Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme: Risikobedingungen, Entwicklungsmodelle und Implikationen für präventive Handlungsstrategien“ (2011)
  • ab 2014: wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung (IPK) (ehemals) bzw. Studiengang Psychologie in der Arbeitseinheit Glücksspielforschung (ehemals) der Universität Bremen (Fachbereich 11)
  • ab 2021: Leitung der Arbeitseinheit Glücksspielforschung der Universität Bremen
  • Ausgewählte ehemalige und aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Glücksspielsucht und Migration, Glücksspielsucht im Alter, Glücksspielverhalten im Internet (inkl. Möglichkeiten der Früherkennung und Frühintervention), Prävention glücksspielbezogener Probleme, Effektivität von Spielerschutz- und Hilfemaßnahmen, Gefährdungspotenzial einzelner Glücksspielformen, Poker und Sportwetten: Glücksspiele oder Geschicklichkeitsspiele?

Herr Dr. Hayer, warum ist es richtig, dass Sportwetten für Kinder und Jugendliche in Deutschland verboten sind?

Jugendliche und junge Erwachsene sind besonders gefährdet, Glücksspiel bezogene Probleme zu entwickeln. Das liegt an der Entwicklungsphase, in der sie gerne mal Grenzen austesten und über die Stränge schlagen. Das muss kein manifestiertes Suchtverhalten sein. Weil sie aber eine besondere Risikogruppe darstellen, ist natürlich jegliche Nähe zu Glücksspiel-Angeboten für diese jugendlichen Fußballer fatal.

Der Treiber sind hier Sportwetten. Wer selbst Sport betreibt, meint schnell zu wissen, dass das eigene Fachwissen genutzt werden kann, um mit Sportwetten Geld zu erwirtschaften.

Welche Gefahr sehen Sie für die jugendlichen Fußballer, dass diese mit dem Wissen in ein Spiel gehen, mit ihrer Leistung kann Geld verdient werden?

Der Gedanke, von meiner Performance bei einem Amateurfußballspiel hängt ab, ob Leute Geld verdienen oder nicht, kann natürlich zum einen zu Eigen-Druck bei jungen Fußballern führen.

Wenn Wetten auf meine Jugendspiele möglich sind, ich einen guten Tag habe und vielleicht auch noch weiß, bei dem Gegner fehlt der ein oder andere. Dann kann zum anderen der Gedanke kommen, lasse ich doch mal einen erwachsenen Freund, meinen Onkel oder einen Bekannten auf meine Spiele Geld setzen.

Wie schätzen Sie die Ermittlungen des LKA bezüglich möglicher Spielmanipulationen ein?

Gerade bei Amateurspielen besteht eine erhöhte Gefahr des Matchfixings, also der Spielmanipulation. Es gibt ein Parameter, das sich bei Spielmanipulationen immer wieder herauskristallisiert. Nämlich, wenn die Protagonistinnen und Protagonisten mit ihrem Sport wenig Geld verdienen. Das bedeutet, früher einen Philipp Lahm oder Oliver Kahn zu schmieren. Oder heute einen Jamal Musiala, ergibt in der Regel keinen Sinn. Diese Profis verdienen genügend Geld. Daher gilt die Daumenregel: je niedriger die Liga, desto höher die Manipulationsgefahr.

Deswegen sind Wetten auf jegliche Wettbewerbe, bei denen Amateure beteiligt sind, anfälliger für Manipulation. Da ist das Ziel des Glücksspielstaatsvertrages mit der Wahrung der Integrität des Sports stark gefährdet. In diesen Fällen ist es auch vollkommen egal, ob der Wettanbieter auf Malta, den Philippinen oder Deutschland sitzt: Wenn Wetten auf diese Spiele möglich sind, besteht auch die Gefahr, dass diese Spiele verschoben werden können.

Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) hat in Deutschland zwei große Aufsichts- und Kontrollziele: Zum einen den legalen Wettanbietern auf die Finger zu schauen, ob sie sich an Recht und Ordnung halten. Das zweite Ziel ist die Eindämmung des illegalen Marktes. Wie sollte die GGL Ihrer Meinung nach nun reagieren?

Die GGL sollte sich zumindest intensiv darüber Gedanken machen - auch in Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund - welche Produkte am Markt sind und ob es juristisch möglich ist, diese zu unterbinden. Unabhängig davon, ob die entsprechenden Websites hierzulande eine Erlaubnis haben. Im Sinne des Glücksspielstaatsvertrags. Das sollte der Leitgedanke sein.

Amateurspieler, die in der Jugend oder in der Landes- oder Westfalenliga ihrem Freizeitvergnügen nachgehen, verdienen mit ihrem Hobby höchstens etwas dazu. Wenn wir global betrachtet nun feststellen, dass milliardenfach Geld umgesetzt wird und es Leute gibt, die sich eine goldene Nase mit diesen Spielen verdienen. Dann ist das Gefühl gerade für die aktiven Fußballspieler beklemmend und nicht schön.