
© Kristina Schröder / Montage Klose
Vater-Gedanken: „Junge, komm‘ bald wieder! Mädchen, bleib‘ bloß hier!“
The Fretful Father
Unser Fretful Father stellt fest, dass ihn die Entwicklung seiner Kinder höchst unterschiedlich berührt. Er fragt sich: Warum fühlt sich die Beziehung zum Sohn anders an als die zur Tochter?
Wir sind noch sehr weit davon entfernt, dass die Kinder erwachsen werden. Beim Ältesten haben wir so gesehen demnächst Halbzeit. Und das Erreichen des 18. Lebensjahres heißt ja nicht unbedingt, dass man ab sofort ein Zimmer mehr zur Verfügung hat. Aktuell bietet uns das Triumvirat übrigens eher Anlässe, sich auf den Auszug zu freuen. Obwohl die schönste Frau und ich natürlich wissen: Wenn es so weit ist, wird es die Hölle.
Aber gut, es ist noch Zeit. Trotzdem erhalten wir regelmäßig eine Erinnerung daran, was aus diesen kleinen Paketen (Reinhard Mey) eines Tages wird: Selbstständige, selbstbewusste Menschen, die weg von uns wollen, um eigene Erfahrungen zu sammeln, eigene Fehler zu machen - also um so zu werden, wie wir es sind. Neulich zum Beispiel hatte sich der Große die Inliner untergeschnallt und sich mit „Ich fahr‘ jetzt zu meinem Freund“ ordnungsgemäß abgemeldet. Meine Frau und ich schauten ihm eine Weile hinterher. „Da fährt er“, sagte sie schließlich.
Vorfreude auf das erste gemeinsame Bier
Meine Frau sagte das nicht, weil es gerade ins Klischee passte. Sondern weil es ein ehrliches Gefühl war, das wir aber unterschiedlich wahrnahmen: Bei meiner Frau löste es eine Form von Wehmut aus. Sie wusste, dass unser Sohn später am Tag zurückkehren und abends in seinem Zimmer schlafen wird. Irgendwann aber würde er wegfahren und eben nicht mehr am gleichen Tag zurückkommen.
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Ob Steuern, Familienrecht, Ausflugstipps oder Einblicke in den Alltag junger Familien. Auf unseren Internetportalen finden Sie exklusive Inhalte für Eltern und Kinder: Ruhr Nachrichten | Hellweger AnzeigerBei mir hingegen überwog der Stolz: Mein, pardon, unser Sohn macht sich gut, er wächst, wird selbstständiger, traut sich mehr zu. Außerdem weiß ich, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Ich freue mich auf unser erstes Bier, darauf, seine erste Freundin (oder seinen ersten Freund, wer weiß das schon?) kennenzulernen, und ja: auch darauf, ihn irgendwann auf eigenen Füßen stehen zu sehen. Auch wenn der Moment selbst schmerzhaft sein mag, stelle ich mir das unterm Strich sehr schön vor (und meiner Frau geht es genauso).
Was mich irritiert: Denke ich daran, dass unsere Mittlere das ganze ein paar Jahre später ebenfalls durchziehen wird, verändert sich die Gefühlslage. Man sagt Vätern ja nach, dass sie gegenüber Töchtern einen besonderen Beschützerinstinkt entwickeln.
Tja. Ich fürchte, ich muss das zumindest für mich bestätigen. Während ich mir bei meinem Sohn keine Gedanken darüber mache, ob und wie er mit 16, 18 oder 25 Party macht, gefällt mir die Vorstellung meiner Töchter in diesen Szenarien eher weniger. Auch die Vorfreude auf ihren ersten Freund (oder ihre erste Freundin) hält sich irgendwie in Grenzen. Und überhaupt: Während ich die vorangegangenen Absätze über meinen Sohn problemlos aufschreiben konnte, stehen mir jetzt, während ich an die Zukunft meiner Töchter denke, Tränen in den Augen.
Unlogisches und irrationales Verhalten
Ich weiß, dass ich am Ende unseren Mädels selbstverständlich die gleichen Grenzen, die gleiche Freiheit und die gleiche Unterstützung geben werde, wie es auch beim Sohn der Fall ist. Trotzdem kann ich diese Gefühle, diesen Beschützerinstinkt, nicht abstellen. Wenn der Große auf Inlinern zu seinem Kumpel rollt, würde ich wohl rufen: „Junge, komm’ bald wieder!“
Wenn die Mittlere mit dem Rad eine Runde um den Block drehen will, wäre es vielleicht eher: „Mädchen, bleib’ bloß hier!“ Oder zumindest: „Sei bloß vorsichtig!“ Diese unlogische wie irrationale Verhaltensweise führt außerdem dazu, dass ich bei der Mittleren nachgiebiger bin, wenn sie zum Beispiel die Nachbarschaft zusammenschreit, weil sie sich ungerecht behandelt fühlt. Der Große würde in einem solchen Fall aufs Zimmer geschickt, die Tochter darf erstmal eine Runde randalieren und erhält anschließend ein Angebot zur Aufnahme von Verhandlungen.
Und das nervt, weil ich ständig glaube, meinen Kindern unrecht zu tun. Dem Sohn, weil er vielleicht mehr einstecken muss. Der Tochter, weil sie keinen besonderen Schutz braucht, sie ist schließlich stark genug. Und meiner Frau irgendwie auch, weil wir uns ja eigentlich einig sind, wie wir unsere Kinder erziehen - und ich aufgrund dieser merkwürdigen Gemütszustände ab und an von diesen Richtlinien abweiche. Ich weiß es besser, aber ich kann nicht anders - vielleicht ist das ganz ja wirklich genetisch bedingt.
Wahrscheinlich stolz auf die Vernichtung
Bei Tochter Nummer zwei ist die Sache prinzipiell ähnlich. Da es bei ihr jedoch noch etwas länger dauern wird, bis wir über Partys und Jungs sprechen, ist mein Instinkt vielleicht noch nicht so stark ausgeprägt. Außerdem weiß sie schon jetzt, wie man Aufmerksamkeit auf sich zieht, wie man seine Ziele erreicht und wie man die Konkurrenz aussticht. Vielleicht wird sie mal Politikerin. Auf jeden Fall wird sie mit allem klarkommen. Und wenn sie mit irgendetwas nicht klarkommt, wird sie es vermutlich vernichten. Und ich wäre wahrscheinlich noch stolz drauf.
Und jetzt soll mit bitte mal ein Psychologe erklären, wie man bei Menschen, für die man die jeweils gleiche, bedingungslose Liebe empfindet, so unterschiedliche Emotionen entwickeln kann.
Obwohl: Nein, erklärt es mir doch nicht. Manchmal ist es besser, die Dinge einfach so hinzunehmen. Unsere Kinder sind bis jetzt so geworden, weil ihre Eltern so sind, wie sie sind. Und sowohl die schönste Frau der Welt als auch ich sind mit dem Ergebnis bisher zufrieden. Also werde ich weiterhin meinem Sohn und meinen Töchtern unterschiedliche Sachen hinterherrufen. Ich bin schließlich auch nur ein Mensch. Oder vielmehr: Ein Vater.
ZWISCHEN BESORGT UND VERÄRGERT
In seiner Kolumne „The Fretful Father“ schreibt Reporter Daniel Claeßen über Dinge, die ihn als Familienvater bewegen. Und auch wenn er die Probleme seiner Kinder stets ernst nimmt, ist hier nicht immer alles ernst gemeint. Der Titel der Kolumne ist angelehnt an das „Fretful Mother Magazine“ aus der Serie „Die Simpsons“. Womit auch klar ist, dass hier immer mal wieder das Kind im Manne durchkommt. Außerdem kann „fretful“ nicht nur „besorgt“, sondern auch „quengelig“, „weinerlich“ und „verärgert“ bedeuten - womit die Gefühlsspanne unseres Autors ziemlich gut abgebildet wird.Journalist, Vater, Ehemann. Möglicherweise sogar in dieser Reihenfolge. Eigentlich Chefreporter für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen. Trotzdem behält er auch gerne das Geschehen hinter den jeweiligen Ortsausgangsschildern im Blick - falls der Wahnsinn doch mal um sich greifen sollte.
