Unnas Landrat Mario Löhr in der Synagoge Bork „Bin erschrocken über die Vorsichtmaßnahmen“

Landrat Löhr in der Synagoge: „Bin erschrocken über Vorsichtsmaßnahmen“
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„Wir wollen auch in unserer Stadt Selm und in unserem Ortsteil Bork ein Zeichen setzen mit Israel: gegen Antisemitismus, Terror und unverhältnismäßige Kriegshandlungen.“ Darauf haben sich Stefan Kühnhenrich, Vorsitzender der Borker SPD, und Herbert Krusel, stellvertretender Vorsitzender der Borker Ortsunion, schnell geeinigt. Auch Selms Bürgermeister Thomas Orlowski konnten sie sofort für diese Idee gewinnen. Doch dann begannen die Probleme, die viel über die aktuellen Herausforderungen der freien Gesellschaft sagen.

Als schließlich am Dienstagabend (21.11.) die Solidaritätskundgebung in der ehemaligen Synagoge in Bork stattfindet, bezeichnet Landrat Mario Löhr (SPD) die Sicherheitsauflagen „erschreckend“. Vor dem Eingang zum zweigeschossigen Fachwerkgebäude der ehemaligen Landsynagoge in Bork parken am Abend Polizeifahrzeuge. Hinein kommen nur Vertreter aus Politik und Vereinsleben, die zuvor eine schriftliche Einladung bekommen hatten. Ohne sie hat ohnehin niemand erfahren, warum an diesem Abend die Fenster des einst von Nationalsozialisten geschändeten Gebetshauses erleuchtet sind. Denn eine öffentliche Einladung hat es nie gegeben.

Hätte sich der Termin im Vorfeld herumgesprochen, „dann können wir aller Voraussicht nach die Veranstaltung absagen“, hatten Kühnhenrich und Krusel wenige Tage zuvor mahnend geschrieben. Dass auch in Bork das „hochwichtige Demonstrationsrecht missbraucht“ werden könnte und „Rassisten und hasserfüllte Menschen“ ihre Bühne fänden, ist eine Befürchtung, in der Bürgermeister Orlowski die beiden bestärkt. „Ich habe Bedenken gehabt, diese Veranstaltung öffentlich zu machen, weil man damit Menschen hierhin bekommt, die man nicht hier haben will“, bekräftigt Orlowski am diesem Dienstagabend vor den knapp 40 Gästen in der damit vollbesetzten Synagoge.

„Nicht ausreichend geschützt“

Ob Jubel für die verbrecherische Terrororganisation Hamas, die am 7. Oktober mehr als 1300 Israelis ermordet hat und damit den neuen Nahost-Krieg auslöste, oder offene Anfeindungen von Menschen jüdischen Glaubens: Antisemitismus erlebe zurzeit in Deutschland ein Ausmaß, das ihn zutiefst betroffen mache, sagt der Bürgermeister. „Polizei und Staat müssen sich dagegen wehren. Wir dulden das hier nicht.“ Auf eine mögliche Konfrontation in Bork hatte er es aber lieber erst gar nicht ankommen lassen. Auch, weil die ehemalige Synagoge seit ihrer Rettung vor dem Verfall in den 1990er-Jahren zwar weltliche Begegnungsstätte im Eigentum der Stadt ist, aber ausdrücklich nicht Ort für politische Auseinandersetzungen. Ausdrücklich macht Kühnhenrich deshalb auch klar: „Diese Veranstaltung soll keine Demo und keine politische Veranstaltung sein.“

Dass Jüdinnen und Juden 78 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in Deutschland so viel Angst vor Übergriffen haben wie selten zuvor, hatte ein Rabbiner-Anwärter aus Berlin bestätigt, der in diesem Jahr während der Selmer Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November 1938, dem Auftakt zum größten Völkermord in Europa, in der ehemaligen Borker Synagoge sprechen sollte. Er hatte abgesagt - aus Sicherheitsbedenken. „Beschämend für uns“, so Stefan Kühnhenrich. „Offenbar können wir unsere jüdischen Mitbürger nicht ausreichend schützen.“

Löhr: „Wehrhaft zeigen“

Dem widerspricht Mario Löhr, der als Landrat zugleich Chef der Polizeibehörde ist. „Rassenhass und Antisemitismus haben bei uns keinen Platz. Notfalls setzen wir das mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie durch.“ Die „Koalition der Vernunft“ müsse sich vom „Gebrüll der Straße“ unterscheiden. An diesem Abend prallen die Positionen aber erst gar nicht aufeinander. Die Redner geben sich indes Mühe für einen differenzierten Blick, der die Opfer in den Vordergrund stellt - auf allen Seiten.

Goldene Sterne am blauen Himmel zieren die Decke der Borker Synagoge. Laut Peter Vaerst, dem ehemaligen Selmer Staddirektor, handelt es sich um eine um 1900 nachträglich aufgetragene Deckenmalerei, von der nach Jahrzehnten der Nutzung als Kohlenlager niemand mehr etwas ahnte. Bei der ersten Baubegehung zur Renovierung Anfang der 90ßer-Jahre sei sie wiederentdeckt worden.
Goldene Sterne am blauen Himmel zieren die Decke der Borker Synagoge. Laut Peter Vaerst, dem ehemaligen Selmer Stadtdirektor, handelt es sich um eine um 1900 nachträglich aufgetragene Deckenmalerei, von der nach Jahrzehnten der Nutzung als Kohlenlager niemand mehr etwas ahnte. Bei der ersten Baubegehung zur Renovierung Anfang der 90er-Jahre sei sie wiederentdeckt worden. © Foto: Nico Drimecker

Pater Vaerst, der ehemalige Stadtdirektor von Selm, blickt in seiner Ansprache zurück auf die Zeit der Renovierung während seiner Amtszeit. Gerade noch rechtzeitig vor dem Verlust des jahrzehntelang als Kohlelager genutzten Gebetshauses habe sich damals der Rat durchgerungen, die ehemalige Synagoge zu kaufen, in die Denkmalliste einzutragen und zu sanieren. Vaerst lenkt den Blick zur Decke: ein dunkelblauer Himmel, übersät mit Sternen. „Sie erinnert daran, dass Gott nach religiöser Überlieferung Abraham, dem Stammvater sowohl des Judentums als auch des Christentums und des Islam, so viele Nachkommen verheißen hat wie Sterne am Himmel.“ Leider besinne man sich der gemeinsamen Wurzeln viel zu wenig: ein Satz, der in Bork fällt, während in Berlin die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Deutschen Islam-Konferenz über Antisemitismus und Feindlichkeit gegenüber Muslimen debattieren.

Die Borker Friedensappelle finden auch andernorts ein Echo: Während die Redner dort ein Ende der Gewalt auf beiden Seiten fordern, münden im Nahen Osten die langwierigen Verhandlungen in die erste Feuerpause seit dem Ausbrechen des Konflikts. Die Einigung sieht eine Pause von mindestens vier bis maximal zehn Tagen vor und die Freilassung von 50 der 240 israelischen Geiseln. Ein echter Frieden ist indes noch in weiter Ferne. Doch jeder Schritt zähle, wie die Borker Redner betonen. Herbert Krusel lenkt dabei den Blick vom Gaza-Streifen zurück nach Bork. Konkret: zur Notunterkunft des Landes für derzeit knapp 600 Geflüchtete, deren Laufzeit gerade um ein halbes Jahr verlängert worden ist bis Mitte 2024 - eine umstrittene Entscheidung.

„Ich hatte große Sorge, dass Bork daran auseinanderbricht“, sagt Krusel. Nach heftigen Diskussionen, „sind wir aber alle zur Besinnung gekommen und haben eine vernünftige Lösung gefunden.“

Die ehemalige Synagoge in Borkwar am Dienstagabend (21.11.) hell erleuchtet. Dort fand eine besondere Veranstaltung statt.
Die ehemalige Synagoge in Bork war am Dienstagabend (21.11.) hell erleuchtet. Dort fand eine besondere Veranstaltung statt.

Re-Live aus der ehemaligen Synagoge Bork: Sicherheitsbedenken bei Friedensappell