Es geht ihnen nicht um Aufmerksamkeit, sondern um Gerechtigkeit: Als die 19 Jahre alte Aliyah F. am Mittwochabend (4.12.) zusammen mit ihrer Mutter Sabina in unsere Redaktion kommt, ist der Unfall der Studentin auf der A2 gerade einmal zwei Tage her. Weil sie einem anderen Auto ausweichen musste, krachte Aliyah mit ihrem Mini Cooper in die Leitplanke. Das Auto ist ein Totalschaden. Sie kommt mit Prellungen, einer blutenden Lippe, Schmerzen im Rücken und am Schlüsselbein davon. Doch die Bilder des Unfalls haben sich bei ihr eingebrannt. Wenn sie heute in die leere Einfahrt schaut, sieht sie das Lenkrad, das sich wild vor ihr dreht. Dass sie trotzdem über den Unfall sprechen möchte, hat vor allem damit zu tun, dass der andere Unfallbeteiligte flüchtete. Aktuell würde die Familie auf vielen Kosten sitzen bleiben, auch wenn Aliyah den Unfall gar nicht verursacht hat. Deshalb läuft jetzt die Suche nach Zeugen.
„Rücksichtslos“ herübergezogen
Montagmorgen (2. Dezember), kurz vor halb 10: Aliyah muss zur Uni nach Dortmund, wo sie Wirtschaftswissenschaften studiert. Mit dem Auto macht sie sich von Habinghorst auf den Weg. In Henrichenburg fährt sie auf die A2 in Richtung Dortmund Mengede. Aliyah ist zunächst auf der rechten der drei Fahrspuren unterwegs, überholt dann über die mittlere Spur einen Lkw. „Der Überholvorgang war quasi schon abgeschlossen“, sagt sie. Während sie noch auf der mittleren Spur unterwegs ist, zieht von der linken Fahrbahn plötzlich ein anderes Auto – „ohne zu blinken“, wie Aliyah sagt – herüber und kommt ihrem Mini Cooper gefährlich nahe. Ein schwarzes Auto sei „rücksichtslos“ herübergezogen, bestätigte noch am Montag die Polizei. Ein Zeuge und Ersthelfer, der gleich hinter der 19-Jährigen fuhr, sagte das ebenso aus.
Aliyah versucht, dem Auto nach rechts auszuweichen. „Dann ging auch alles irgendwie ziemlich schnell“, sagt sie. Beim Ausweichversuch verliert sie die Kontrolle. Das Auto bricht aus, dreht sich und Aliyah kracht mit ihrem Mini Cooper beinahe frontal in die Leitplanken. Entgegen der Fahrrichtung kommt das Auto auf dem linken Fahrstreifen zum Stehen. „Das war wirklich ein riesengroßes Glück, dass ich dabei kein Auto in mich reingefahren ist. Dass die alle rechtzeitig gebremst haben, ist ein großes Wunder“, sagt Aliyah. Das schwarze Auto, weitere Zeugen sagen, dass es möglicherweise ein BMW war, setzt seine Fahrt fort. „Vielleicht hat er auch gar nicht mitbekommen, was passiert ist“, sagt Aliyahs Mutter Sabina.
Als Aliyah in die Leitplanke prallt, gibt es einen lauten Knall, sagt der Zeuge und Ersthelfer. Der Airbag löst aus und sorgt bei der 19-Jährigen für Prellungen. Die blutige Lippe und die schmerzende Nase, die Aliyah davonträgt, könnte eine Folge des umherfliegenden Rückspiegels sein, der möglicherweise in ihrem Gesicht landete. Wohl in diesem Moment sendet ihr Smartphone eine Benachrichtigung an ihre Mutter, ihren Notfallkontakt. Sabina F. sitzt gerade beim Zahnarzt. „Eigentlich lege ich mir nie Termine in die Arbeitszeit, aber ausgerechnet an diesem Tag schon“, sagt sie. Doch die Notfallbenachrichtigung hört sie nicht.
„Das wünsche ich dem schlimmsten Feind nicht“
Aliyah steigt aus ihrem Auto, taumelt über die Autobahn und bricht dann zusammen. So schildern es die Ersthelfer später. Andere Autos sollen noch an ihr vorbeigefahren sein. „Ich erinnere mich an den Moment, als ich raus aus meinem Auto bin, ich die ganzen Autos da stehen gesehen habe und dann auf dem Boden war und nur noch geweint und geschrien habe.“ Darüber zu sprechen, fällt ihr nicht leicht. Ein Ersthelfer bringt sie hinter die Leitplanke und Helferinnen versuchen, Aliyah zu beruhigen, wickeln sie in eine Decke ein und geben ihr zum Trinken. Außerdem holen sie ihr Handy aus dem Auto und die 19-Jährige kann ihre Mutter anrufen.
„Sie war am Schreien, am Weinen. Schrecklich“, sagt Sabina F. „Dieses Gefühl wünsche ich dem schlimmsten Feind nicht.“ Auf die Frage, ob sie verletzt sei, antwortet Aliyah nur, dass sie an der Lippe blutet. Sabina F. fährt sofort vom Zahnarzt zur Autobahn. Doch durch den Unfall hat sich ein langer Stau schon an der Auffahrt in Henrichenburg gebildet und Sabina F. kommt nicht durch zu ihrer Tochter. „Ich bin ausgestiegen und ein paar Meter gelaufen. Dann bin ich wieder zurück zum Auto. Ich war total durcheinander.“ Aliyah Vater, Sabinas Ex-Mann, der in Hagen arbeitete und ebenso alarmiert wurde, läuft von der anderen Seite drei Kilometer über den Standstreifen zu seiner Tochter. Doch er findet nur noch das Wrack ihres Autos.

Aliyah ist schon mit dem Rettungswagen auf dem Weg ins Krankenhaus. „Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass es ein Traum ist, was da alles gerade passiert“, sagt sie: „Da habe ich auch kein Zeitgefühl mehr.“ Ihre Finger kribbeln und sie sieht noch immer das drehende Lenkrad vor sich. Noch aus dem Krankenwagen rufen die Einsatzkräfte Sabina F. an, beruhigen sie und erklären, dass Aliyah – auch wenn sie nicht schwer verletzt ist – nach Lünen gebracht wird. An den Weg dorthin erinnert sich die Mutter kaum noch, wohl aber daran, wie lang sich die Zeit währenddessen zog.
Im Moment, als die beiden sich das erste Mal wieder sehen, liegt die 19-Jährige noch im Krankenbett und trägt eine Halskrause. „Schlimm, einfach schlimm“, sagt Sabina F. Eine Nacht bleibt Aliyah im Krankenhaus, dann geht es für sie wieder nach Hause. Doch mit der Entlassung aus dem Krankenhaus sind die Probleme noch nicht vorbei. Viele davon haben auch damit zu tun, dass der zweite Unfallbeteiligte flüchtete. Denn so könnte die Familie auf vielen Kosten sitzen bleiben.
Wichtige Suche nach Zeugen
Allein für die Abschleppkosten von der A2 musste die Familie 500 Euro zahlen. Für jeden weiteren Tag, den das Auto auf dem Abschlepphof steht, kommen 25 Euro hinzu. Deshalb kümmern sich Sabina und Aliyah F. gleich am nächsten Tag darum. Inzwischen steht der Mini Cooper, den Aliyah zum 18. Geburtstag bekam, mit Totalschaden auf dem Schrottplatz in Henrichenburg. „Das Auto nochmal zu sehen, war echt übel“, sagt sie. Weil durch den Unfall ein Kennzeichen fehlt, sei auch die Abmeldung nicht so einfach gewesen. „Da weiß man gar nicht, wo man sich als erstes drum kümmern muss“, sagt Sabina F. Für den Einsatz der Feuerwehr, die nach dem Unfall die Autobatterie abklemmte und die ausgetretenen Flüssigkeiten aufnahm, bekam sie schon einen Zahlungsbescheid der Stadt. Über 1000 Euro sind binnen vier Wochen fällig.

Weil der Wagen nicht Voll-, sondern nur Teilkasko versichert ist, droht die Familie auch hier auf viel Geld sitzenzubleiben. Würde der Unfall aufgeklärt und der zweite Unfallbeteiligte gefunden, könnte das aber ganz anders aussehen. Genau darauf hoffen Mutter und Tochter nun. Allerdings muss es dazu wohl schnell gehen, denn je länger der Unfall her ist, desto weniger wird er möglichen Zeugen wohl in Erinnerung bleiben. Sie hoffen darauf, dass sich Menschen melden, die den Unfall am Montagmorgen (2.12.) gegen 9.45 Uhr auf der Autobahn 2 in Fahrtrichtung Dortmund in Höhe Castrop-Rauxel zwischen der Auffahrt Henrichenburg und der Auffahrt Dortmund-Mengede mitbekommen haben und sich bei der zuständigen Polizei melden. Mutter Sabina F. appelliert besonders an Lkw-Fahrer, die möglicherweise eine Dashcam im Fahrzeug haben können und damit den Unfall – und das Kennzeichen des schwarzen Autos – aufgezeichnet haben. „Einer der Ersthelfer hat am Telefon gesagt, dass auch ein Lkw-Fahrer angehalten hat. Vielleicht hat der was gesehen“, sagt sie.
Außerdem hofft die Familie, dass sich noch mehr Ersthelfer melden. „Sie waren alle super nett und es ist leider heutzutage auch nicht mehr selbstverständlich, weil die im Endeffekt ihr Leben riskieren und auf der Autobahn aussteigen, um mir zu helfen.“ Aliyahs Mutter Sabina sagt: „Denen würde ich auf jeden Fall gerne einen Dank aussprechen.“
Haben Sie etwas gesehen?
- Der Unfall passierte gegen 09:45 Uhr auf der A2 in Richtung Hannover. Zwischen der Anschlussstelle Henrichenburg und dem Kreuz Dortmund-Nordwest.
- Bei dem flüchtigen Auto soll es sich um einen schwarzen PKW handeln.
- Die Polizei fragt: Wer hat zum Unfallzeitpunkt Beobachtungen gemacht und kann Angaben zum flüchtigen Fahrzeug machen? Hinweise nimmt die Autobahnpolizeiwache Kamen unter 0231 1324521 entgegen.