Der 11. April ist nicht zufällig gewählt, sagt Udo Kath, Sprecher des Arbeitskreises Lüner Stolpersteine. Es ist der 80. Jahrestag der Befreiung Lünens aus der nationalsozialistischen Herrschaft durch das US-amerikanische Militär. An diesem Datum im Jahr 2025 wurden an der Borker Straße 6 drei Stolpersteine eingesetzt, unter den Augen von rund 30 interessierten Gästen. Und zwar in der zweiten Auflage, denn im Januar 2025 wurden sie herausgerissen und mitgenommen. Erst im Oktober 2024 waren sie zum ersten Mal verlegt worden.
Ein symbolträchtiger Tag also, um an das Leben der drei jüdischen Lüner Josef Isidor und Henriette Stiefel sowie Anna Schutz zu erinnern. An der Borker Straße 6 wohnten sie in einem „Ghettohaus“, bevor die Nazis sie deportierten. Die Eheleute Stiefel (damals 60 und 61 Jahre alt) wurden 1941 nach Zamość gebracht, wo sie wenig später ermordet wurden. Ein Jahr später brachten die Nationalsozialisten die Lünerin Anna Schutz (57) nach Theresienstadt, wo sie ebenfalls noch im selben Jahr ermordet wurde.

Bedächtig füllen zwei Mitarbeiter der Wirtschaftsbetriebe Lünen frischen Zement in die kleine Mulde, in die sie dann die drei Stolpersteine einsetzen. Die Messingplatten mit den eingravierten Namen der drei deportierten Lüner wurden von einer darauf spezialisierten Werkstatt in Berlin gefertigt, erklärt Udo Kath.
Schüler sprechen zum „Erinnern“
Zu der Zeremonie sind auch einige Schülerinnen und Schüler der Ludwig-Uhland-Realschule gekommen. Sie tragen zunächst das jüdische Gedicht „Erinnern wir uns“ vor: „Beim Aufgang der Sonne – und bei ihrem Untergang – erinnern wir uns an ihn. [...] So lange wir leben – wird er auch leben – denn er ist ein Teil von uns – wenn wir uns an ihn erinnern.“ Später tragen die Schüler ein weiteres Gedicht darüber vor, dass Erinnerungskultur wichtig ist, um sich auch sinnvoll in der Gegenwart zu verorten und orientiert in die Zukunft zu schreiten. Anschließend legen die Jugendlichen Blumen und Kerzen nieder.

Der Ehrengast des Tages ist Alexandra Khariakova. Sie ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde „haKochaw“ für den Kreis Unna. Sie dankt allen Anwesenden für ihr Kommen und allen daran Beteiligten für die erneute Verlegung der drei Stolpersteine. Khariakova weist die Zuhörenden in ihrer Rede darauf hin, dass auch heute noch Juden in Deutschland nicht frei von Angst leben können und Anfeindungen ausgesetzt sind: „Das politische Klima wird kälter.“ Später trägt Khariakova ein jüdisches Gebet vor, zunächst auf Hebräisch, dann auf Deutsch, das den von den Nationalsozialisten in Deutschland getöteten Juden gedenkt.

Auch die stellvertretende Bürgermeisterin Martina Förster-Teutenberg hält eine Rede, in der sie daran erinnert, dass 1945 4000 Häuser in Lünen standen, von denen nach Angriffen durch Jagdbomber der Alliierten etwa 60 Prozent zerstört wurden. Noch wenige Wochen vor Kriegsende, als dieses eigentlich schon feststand, starben noch 50 Lünerinnen und Lüner beim letzten Bombenangriff.

„Sollte jeden etwas angehen“
Udo Kath dankt außerdem der Stadt Lünen und der Landschaftsgärtnerei Stadtgrün für die Neugestaltung des Beetes, in dem die neuen Stolpersteine nun eingebettet sind. Das Geld für die Stolpersteine kommt, wie schon bei den gestohlenen, von privaten Spendern. Eine von ihnen, eine Lünerin, die der Verlegung beiwohnt, möchte nicht öffentlich in Erscheinung treten, sagt aber: „Das war uns schon immer ein Anliegen“, einfach, weil Erinnerungskultur jeden etwas angehen sollte.
Auch zwei neue Gedenktafeln
Nach der Wiedereinsetzung der drei Stolpersteine enthüllen Udo Kath, Alexandra Khariakova und Martina Förster-Teutenberg zwei neue Gedenktafeln. Sie stehen genau dort, wo damals noch zwei eben jener „Ghettohäuser“ standen, dort an der Borker Straße 6 sowie, wenige hundert Meter weiter, an der Altstadtstraße 1, im Schatten der St.-Marien-Kirche.

Historische Arbeit
Die Tafeln zeigen, wie die Häuser damals aussahen und erzählen in aller Kürze die Geschichte ihrer Bewohner. Udo Kath beschreibt, was wir heute noch wissen: Die Nazis funktionierten diese normalen Wohnhäuser in „Ghettohäuser“ um, woraufhin darin viele jüdische Lüner beengt hausen mussten. Sie konnten jederzeit von der Gestapo schikaniert und bestohlen werden. Die Haustüren mussten mit Judensternen markiert werden.
Die Eheleute Stiefel hatten seit 1921 an der Borker Straße 6 gewohnt. Josef Isidor Stiefel war Besitzer eines Gewerbegebiets. Seine Schwägerin Anna Schutz wohnte zwischenzeitlich mit ihnen zusammen. Die Familie war in Lünen aktiv in der Synagogengemeinde integriert, so Kath. Nach der zwanghaften Enteignung und Ghettoisierung der Häuser durch die Nazis folgten für die jüdischen Bewohner „Umsiedlungsvorschläge“: Die Nazis zwangen sie, ihr Hab und Gut vor ihrer Deportation „vorauszuschicken“, nach Theresienstadt und Zamość. Die Sachen kamen nie an. In den 1950ern wurden beide Häuser abgerissen.

All die Informationen und Fotos, die es auf die Tafeln geschafft haben, sind das Ergebnis der meist ehrenamtlichen Arbeit von (Hobby-)Historikern wie Udo Kath vom Arbeitskreis Lüner Stolpersteine, die in Archive gehen, herumtelefonieren und sich jede Menge Arbeit machen, damit eine Erinnerungskultur in Lünen lebendig bleibt. Die beiden Tafeln wurden vom Lüner Förderverein Museum finanziert.
In einer seiner Reden am 11. April resümierte Udo Kath: „Wir selbst leben jetzt 80 Jahre lang in Frieden und Freiheit. Wir sollten alles tun, damit es so bleibt.“
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