Es ist noch nicht lange her, da hatte die Stadt Selm den sogenannten Wasserstreit eigentlich für beendet erklärt. Nach entsprechendem Ratsbeschluss im Juli 2021 sollte der Wasserkonzessionsvertrag mit den Selmer Stadtwerken geschlossen werden. Nach langem Gerangel mit der Gelsenwasser AG. Wie die Stadt nun aber nach einer Anfrage der Redaktion erklärte, ist das immer noch nicht in trockenen Tüchern. Heißt: Der Selmer Wasserstreit um die Frage, wer die Stadt mit Trinkwasser versorgen darf, dauert weiter an. Und das mittlerweile seit fast 14 Jahren.
Der Beginn der Auseinandersetzung liegt im Jahr 2009. Die Stadt hatte damals den Konzessionsvertrag mit Gelsenwasser gekündigt und um die Übertragung des Rohrleitungssystems gebeten - für 2,7 Millionen Euro. Das Unternehmen kam der Forderung nicht nach. Und begann stattdessen den Rechtsstreit. Mehrmals fanden sich die Stadt Selm und die Gelsenwasser AG danach vor Gericht wieder.
Knackpunkt war dabei das Vergabeverfahren. 2012 hatte der Rat beschlossen, die Trinkwasserversorgung - genauso wie auch schon die Gas- und die Stromnetze - in die Hände der Stadtwerke zu legen. Diese Art der Neuvergabe habe gegen das „kartellrechtliche Diskriminierungsverbot“ verstoßen, hieß es 2018 im Urteil. Darin stand auch, dass Gelsenwasser das Selmer Wassernetz nicht herausgeben muss.
Die Revision der Stadt Selm gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof abgelehnt. Es folgte ein neues Vergabeverfahren - dieses Mal eine europaweite Ausschreibung, wie vom Gericht gefordert. Auch gegen dieses Verfahren versuchte Gelsenwasser vorzugehen - die Kartellkammer des Landgerichts Dortmund gab in diesem Fall aber der Stadt Selm recht.
Im Juli 2021 hieß es dann in einer Pressemitteilung der Stadt Selm, dass der Rat über die Vergabe der Wasserkonzession entschieden habe - zugunsten der Stadtwerke. „Die Vergabeentscheidung für die Wasserkonzession ist das Ergebnis eines diskriminierungsfreien und transparenten Wettbewerbsverfahrens. Die Stadt Selm wurde dabei von Becker Büttner Held, einer auf Energie- und Infrastrukturrecht spezialisierten Sozietät mit Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und energie- sowie wasserwirtschaftlichen Beratern, beraten und unterstützt“, hieß es damals.
Laufendes Verfahren
Es schien also so, als wäre der Wasserstreit zu Ende. Jetzt folgt das Aber: Wie nach der Anfrage der Redaktion bekannt wurde, gab es von einem unterlegenen Bieter in dem Vergabeprozess eine Rüge gegen die Auswahlentscheidung der Stadt. Welcher Bieter das war? Die Stadt sagt dazu nichts. Allgemein verrät Stadtsprecher Malte Woesmann nicht einmal, wie viele Bewerber für die Trinkwasserkonzession es nach der europaweiten Ausschreibung gegeben hat. „Weder zur Identität noch zur Anzahl der Bewerber kann die Stadt Selm im laufenden Wasserkonzessionsverfahren nach den Grundsätzen des geheimen Bieterwettbewerbs eine Auskunft geben“, erklärt er.
Die Gelsenwasser AG bestätigt auf Anfrage der Redaktion auch nicht, der rügende Bieter zu sein. „Das Vergabeverfahren zur Trinkwasserkonzession in Selm ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Daher haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir uns zu einem laufenden Verfahren nicht äußern“, erklärt Heidrun Becker, Sprecherin des Versorge-Unternehmens.
Rüge der Vergabe
Fest steht jedenfalls: Durch die Rüge verzögert sich der Vertragsabschluss. „Der Wasserkonzessionsvertrag mit der Stadtwerke Selm GmbH wird erst abgeschlossen, wenn sich an der Entscheidung aufgrund des Rügeverfahrens nichts ändert und eine gegebenenfalls sich anschließende gerichtliche Auseinandersetzung mit dem rügenden Bieter dem Vertragsschluss mit der Stadtwerke Selm GmbH nicht entgegensteht“, erklärt Stadtsprecher Malte Woesmann.
Stadt bleibt bei Entscheidung
Bis die Entscheidung über die Rüge gefallen ist, kommt das Selmer Wasser weiter aus den Gelsenwasser-Netzen.
Daseinsvorsorge aus einer Hand: So hatte die Stadt Selm immer begründet, warum sie die Trinkwasserkonzession neu verhandeln wollte. Seit 2015 hatten die Stadtwerke in diesem Sinne schon das Stromnetz übernommen, 2017 das Gasnetz. „Dem Wasserkonzessionsverfahren der Stadt Selm liegt ein für moderne Wasserkonzessionsverfahren typischer sehr umfangreicher Auswahlkriterienkatalog mit über 80 Kriterien zu Grunde, mit denen insbesondere die Ziele der Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit und Kosteneffizienz, Verbraucherfreundlichkeit, Ressourcenschonung und Umweltverträglichkeit sowie ein kommunalfreundlicher Wasserkonzessionsvertrag zu Gunsten der Stadt Selm und ihrer Bürgerinnen und Bürger verfolgt werden“, erklärt der Stadtsprecher auch jetzt noch mal.
„Da die Stadtwerke Selm GmbH nach Auffassung der Stadt Selm das nach den Auswahlkriterien beste Angebot abgegeben hat, geht die Stadt Selm davon aus, dass die genannten Ziele künftig im Rahmen der Wasserversorgungstätigkeit der Stadtwerke Selm GmbH bestmöglich umgesetzt werden, was den Verbrauchern in Selm zugutekommt“, sagt er weiter. An der Entscheidung der Stadt Selm, den Wasserkonzessionsvertrag mit den Stadtwerke abzuschließen, habe sich auch nichts geändert. Bevor der Vertrag geschlossen werden kann, muss jetzt aber erst über die Rüge entschieden werden.
Wasserstreit beendet? Rat entscheidet über Trinkwasser-Konzession