Psychotherapeut zu Mobbing-Vorwürfen im Jugendamt Schwerte „Fälle zeigen klassisches Muster“

Psychotherapeut zum Thema Mobbing: „Es gibt typische Merkmale“
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Im Jugendamt Schwerte soll es in einem Zeitraum von mehreren Jahren zu gehäuften Fällen von „Mobbing“ oder „Bossing“ (Mobbing durch Vorgesetzte) gegenüber mehreren Mitarbeitern gekommen sein. Darüber haben wir berichtet. Wie viele Personen insgesamt betroffen sind, ist unklar – unsere Redaktion weiß von sieben Betroffenen. Die Rechtsabteilung der Stadtverwaltung hat dazu inzwischen ein Verfahren eingeleitet.

Doch was genau ist „Mobbing“ oder „Bossing“ – und wie unterscheidet man berechtigte Kritik, die Vorgesetzte am Arbeitsplatz gegenüber Mitarbeitenden äußern dürfen und müssen, von Mobbing?

Wir haben mit Psychotherapeut Dr. Christian Lüdke darüber gesprochen. Der 65-Jährige ist approbierter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Verhaltenstherapeut & Klinischer Hypnotherapeut. Er erklärt im Interview, welche Merkmale für Mobbing bezeichnend sind, wie Betroffene reagieren können und warum externe Hilfe im Zweifelsfall die bessere Lösung sein kann.

Eine Person steht an einem Baum und blickt auf das Jugendamt
Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Schwerte sagen, sie seien über Jahre gemobbt worden. Doch was ist der Unterschied zwischen berechtigter Kritik und Mobbing? © Martina Niehaus (A)

Welche Muster deuten auf „Mobbing“ oder „Bossing“ hin?

„Bei dem Begriff ,Bossing‘ handelt es sich um Mobbing durch Vorgesetzte. Die geschilderten Fälle zeigen dieses klassische Muster. Ein typisches Merkmal sind Strategien zur sozialen Isolation. Das heißt, dass Mitarbeitende ganz gezielt ausgegrenzt werden. Sie werden bewusst von wichtigen Informationen ausgeschlossen.

Es gibt immer auch eine Abwertung, persönliche Herabwürdigung oder Demütigung in Gesprächen. Mitarbeitende werden häufig vor anderen bloßgestellt. Ihre Selbstwahrnehmung wird damit ins Wanken gebracht.

Der Aufbau und Missbrauch von Vertrauen ist ein weiteres Merkmal. Das heißt, dass der oder die Vorgesetzte persönliche Informationen weitergibt. Da wird eine gezielte Verunsicherung durch ein widersprüchliches Verhalten erzeugt, durch einen sprunghaften Wechsel von Nähe und Distanz. Häufig führen zudem Lästereien dazu, dass das Arbeitsklima vergiftet wird.“

Was ist der Unterschied zwischen berechtigter Kritik und Mobbing?

„Man darf kritisieren, man darf Verbesserungsvorschläge machen, man kann Hilfe anbieten. Aber niemand hat das Recht, andere Menschen abzuwerten und zu demütigen.“

Was macht das mit einem Menschen?

„Das sorgt für emotionalen Stress. Und der führt am Ende immer zu psychischen Belastungen. Angst und Depression sind die bei Mobbing und Bossing am häufigsten diagnostizierten psychischen Belastungsreaktionen.

Dazu kommen Selbstzweifel. Man entwickelt ein Vermeidungsverhalten, traut sich nichts mehr zu, fühlt sich hilflos – vor allem, wenn man das Gefühl hat, dass einem nicht geglaubt wird.

Zu den seelischen Belastungsreaktionen können langfristig psychosomatische Erkrankungen dazukommen: Migräne oder Magen-Darm-Erkrankungen zum Beispiel.“

Wie kann man sich persönlich dagegen stärken?

„Das Zauberwort heißt Prävention: wirklich frühzeitig das eigene menschliche Frühwarnsystem zu schärfen und sich sofort zu wehren. Nein sagen, Stopp sagen. Wissenschaftler nennen das Resilienz, also eine mentale Robustheit.

Aber gerade das ist problematisch, wenn man an sich zweifelt. Generell finde ich wichtig, dass man zu der Erkenntnis kommt: Das Problem liegt nicht bei mir, sondern ich bin Symptomträger. Ich reagiere auf diese belastende Arbeitssituation.

Man muss also versuchen, Gefühle und Gedanken einerseits wahrzunehmen, sich aber andererseits auch davon distanzieren zu können, um einen klaren Blick zu bekommen: Ich fühle mich schlecht, weil eine andere Person mich beispielsweise permanent abwertet.

Wichtig ist es, mit Menschen sprechen, die man gut kennt, zu denen man Vertrauen hat. Da muss man wirklich einfach mal trauen und sagen: ‚Hör mal, pass mal auf, was bei mir los ist.‘ Neben Gesprächen mit Vertrauenspersonen hilft es parallel, eine Art Mobbing-Tagebuch zu führen.

Der dritte Schritt wäre, mit einem Psychotherapeuten zu sprechen. Oder einen Coach aufzusuchen. Supervision kann ebenfalls helfen. Das ist nichts anderes als eine Berufsrollenreflexion. Diese Dinge können helfen, das persönliche Sicherheitsgefühl und Selbstvertrauen aufzubauen und dann gestärkt mit der Situation umzugehen.“

Warum ist Austausch unter Betroffenen wichtig?

„Es gibt diese alte Redewendung: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und psychologisch gesprochen gibt es auch so eine Weisheit: Worüber ich reden kann, darüber bin ich schon zur Hälfte hinweg. Wenn ich etwas in Worte fassen kann, dann kann ich gut reflektieren.

Sobald ich mich mit anderen austausche, fühle ich mich stärker. Ich bin nicht mehr in dieser Isolation, zweifle nicht an mir und meiner Wahrnehmung. Ich kenne Fälle, bei denen gerade erst durch diesen Austausch dann plötzlich die eigentlichen Muster erkannt wurden.

Auch emotionale Reaktionen können dann zugelassen werden. Trauer und Wut zeigen zu können, ist unglaublich erleichternd und entspannend und ein wichtiger Teil im Verarbeitungsprozess. So wird am Ende aus Hilflosigkeit wieder das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Stärke und Zuversicht.“

Was müsste ein Arbeitgeber tun, um Mobbing zu unterbinden?

„Wenn man klare Hierarchien hat, in denen Macht nicht kontrolliert wird, dann begünstigt dies das Entstehen solcher Missstände. Arbeitgeber können einiges tun. Ein gutes Instrument ist Supervision, wie bereits oben angemerkt. Bei einer Berufsrollenreflexion erkennt man häufig Strukturen, die problematisch sind.

Auch der kollegiale Austausch ist gut: Arbeitgeber sollten die Führungskräfte schulen, immer wieder weiterbilden. Das verbessert die Unternehmenskultur, die eben dann im besten Fall auf Vertrauen und Offenheit basiert.

Auch hier heißt das Zauberwort: Transparenz herstellen. Das ist ganz wichtig. Arbeitgeber müssen klare Strukturen zur Prävention schaffen, aber auch zur Aufarbeitung. Wem kann ich das sagen? Wo kann ich mich hinwenden? Eine ganz transparente Beschwerdestelle ist im besten Fall natürlich extern und unabhängig.“

Warum ist eine externe Untersuchung manchmal sinnvoll?

„Extern würde ich gleichsetzen mit neutral – außerhalb des Systems. Eine solche Untersuchung schafft Glaubwürdigkeit und gibt Sicherheit. Das stärkt wiederum das Vertrauen. Gerade, wenn eine interne Aufarbeitung nicht möglich ist.

Es kann für Betroffene sehr entlastend sein, wenn von außen sehr kritisch hingeschaut wird. Man hat das Gefühl, ernst genommen zu werden. Am Ende geht es ja auch um Anerkennung von Leid. Und um die Sicherheit, dass Übergriffe zukünftig verhindert werden.“

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