Alles andere als gute Nachrichten hatte André Jethon, als er im Dezember den Haushaltsentwurf der Stadt Lünen für 2025 vorstellte. Der Kämmerer sprach von einer „nicht aufzuhaltenden Abwärtsspirale“, von einbrechenden Einnahmen und „explosionsartig aufwachsenden“ Ausgaben, insbesondere im Sozialbereich. Unterm Strich: ein „hoffnungslos unterfinanzierter Haushalt“. Einziger Lichtblick für die Lünerinnen und Lüner bei dieser düsteren Haushaltseinbringung: Zu der in absehbarer Zeit wohl unvermeidlichen Steuererhöhung würde es 2025 noch nicht kommen. Bürgerinnen und Bürger sowie die Verantwortlichen der örtlichen Unternehmen werden damals aufgeatmet haben. Rund sechs Wochen später könnte ihnen der Atem wieder stocken.
Die Rahmenbedingungen für die Aufstellung des neuen Haushalts haben sich unerwartet geändert - zum Nachteil der Stadt Lünen. Jethon weiß das seit dem 14. Januar: seit ihn ein Brief von Unnas Kreisdirektor Mike-Sebastian Janke erreicht hatte, mit dem Betreff „Hauhaltsplanung 2025/Haushaltssicherung“. Dieser Brief liegt der Redaktion vor. Der Öffentlichkeit mochte die Lüner Stadtspitze diese neue Entwicklung bislang nicht zumuten. Entsprechende Anfragen der Redaktion blieben zumindest drei Tage lang bis Donnerstag, 15.28 Uhr, unbeantwortet. Die Mitglieder des Stadtrates informierte Jethon immerhin am Montag (27.1.) in einem vertraulichen Schreiben „über die neueste Entwicklung“, die einen „Kraftakt für uns alle“ bedeute.
Der Stadt Lünen droht schon 2025 das, was Jethon erst 2026 erwartet hat: ein Haushaltssicherungskonzept. Das ist nicht nur ein sperriges Wort, sondern auch eine unangenehme Angelegenheit für eine Kommune und ihre Bürgerinnen und Bürger. Denn ein solches Haushaltssicherungskonzept greift in die kommunale Finanzhoheit ein und damit auch ein Stück weit in die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie. Dazu kann es auch gehören, Steuererhöhungen durchzusetzen.
Steuererhöhungen befürchtet
Diese Befürchtung hatte Jethon im Dezember selbst formuliert: „Dieser Haushaltsplanentwurf ist der letzte vor der Kommunalwahl 2025 und es ist vermutlich der letzte vor dem Abrutschen in die Haushaltssicherung. Jethon räumte ein, „intensiv erwogen“ zu haben, dem Stadtrat einen Doppelhaushalt vorzulegen - also einen für die Jahre 2025 und 2026, wie ihn auch der Kreis Unna verabschiedet hat. Der Kämmerer von Lünen entschied sich dann aber doch anders - wegen der zu befürchtenden Steuererhöhungen.
An dieser Stelle wird es etwas kompliziert: „Das dritte Weiterentwicklungsgesetz des Neuen Kommunalen Finanzmanagements erlaubt es, die vorhin dargestellten Verluste mit Genehmigung der Kommunalaufsicht jeweils in das dritte Folgejahr vorzutragen“, erklärte es Jethon selbst in seiner Rede zur Einbringung des Etatentwurfs. Das bedeutet: „Ab dem Haushaltsjahr 2026 würde dann eine Pflicht zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes bestehen.“ Und damit wohl auch die Pflicht, an der kommunalen Steuerschraube zu drehen. Jetzt steht fest: Das Haushaltssicherungskonzept kommt schon 2025. Denn die komplizierte Sache mit dem Vortrag der Verluste sieht das zuständige Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Digitalisierung anders als Jethon. Und auch anders als Janke es zunächst in Aussicht gestellt hatte.
Der Verlustvortrag sei demnach nur dann zu genehmigen, wenn die Fehlbeträge durch Eigenkapital gedeckt seien: etwas, das in Lünen nicht der Fall ist. Die vorgetragenen Fehlbeträge werden dort das vorhandene Eigenkapital „bereits ab dem Jahr 2025 übersteigen“, heißt es in dem Brief von Kreisdirektor Janke. Daher müsse seine Behörde als Kommunalaufsicht „die Stadt Lünen zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzepts verpflichten“. Entscheidungsspielraum gebe es da für ihn nicht, ergänzt Janke mit Bedauern. Er sei aber „zuversichtlich, dass es gelingen wird, ein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept aufzustellen“. Ob die Genehmigungsfähigkeit von Steuererhöhungen abhängig gemacht wird, wie es Jethon befürchtet, lässt der Kreisdirektor in seinem Brief offen.
Kürzen und streichen
Was ist ein Haushaltssicherungskonzept (HSK)? Die Bezirksregierung Arnsberg definiert es so: eine „Darstellung der Maßnahmen und Entscheidungen, durch welche der Haushaltsausgleich zum nächstmöglich zu bestimmenden Zeitpunkt wieder hergestellt werden kann“. Sie diene „dem Ziel, die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Gemeinde zu sichern“. Trotz der Zuversicht von Kreisdirektor Janke wird es sportlich sein, dieses Sanierungskonzept kurzfristig aufzustellen - nicht nur eine Belastung für Jethon und sein Team in der Kämmerei.
Jethon kündigt in seinen Brief an die Politik an, zur Ratssitzung am 6. März das jetzt eilig zu erstellende Konzept zur Abstimmung stellen zu wollen. Er räumt ein, dass es eine Zumutung sein werde für die Ratsmitglieder, so kurzfristig darüber zu befinden. Zumutungen wird das HSK auch inhaltlich haben.
Auf eine mögliche Steuererhöhung - Grundsteuer A und B sowie die Gewerbesteuer kommen in Betracht - geht der Kämmerer in seinem Schreiben zwar nicht ein. Fest steht aber, dass mit der Aufstellung des HSK eine fortlaufende Aufgaben- und Standardkritik einhergeht. Sämtliche Verwaltungsbereiche werden hinsichtlich eventueller Konsolidierungseffekte beleuchtet werden müssen. Lünen wird entscheiden müssen, welche Aufgaben mit weniger Personal wahrgenommen werden oder in Gänze wegfallen sollen.
Aussicht „niederschmetternd“
Schon bevor Lünen die Hiobsbotschaft der Kommunalaufsicht bekommen hatte, war die Stimmung schlecht im Rathaus. „Niederschmetternd und kaum in Worte zu fassen“, nannte Kämmerer Jethon die Tatsache, dass der städtische Haushalt in diesem laufenden Jahr ein Defizit von 58 Millionen Euro ausweise: ein Wert, der bis 2028 auf 88 Millionen steigen werde. Jetzt wird Jethon nach einer Steigerung für das Wort „niederschmetternd“ suchen müssen.
Update 16.15 Uhr
Fünf Minuten nach Veröffentlichung des Berichts hat die Stadt Lünen doch noch die Anfrage beantwortet. Zu möglichen Steuererhöhungen macht Stadtsprecher Daniel Claeßen keine Angaben. Er betont aber, dass auch Kämmerer Dr. André Jethon über die Auflage des HSK „völlig überrascht“ war, „zumal er die Vorgehensweise beim Haushalt 2025 im Herbst 2024 mit der Kommunalaufsicht des Kreises Unna einvernehmlich abgestimmt hatte“.
