Lünen will Ratssitzungen übertragen Beschluss nach viereinhalb Jahren hat aber einen Haken

Lünen will Ratssitzungen übertragen: Beschluss hat aber einen Haken
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Horst Engel saß Ende September 2024 oben auf der Zuschauertribüne im Ratssaal von Lünen, als die Entscheidung fiel, an die er kaum noch geglaubt hatte. Am 20. Januar 2020 hatte er seinen Bürgerantrag an die Stadtverwaltung geschickt. Die Stadt Lünen solle Rats- und Ausschusssitzungen künftig live im Internet übertragen. Das Interesse und die Beteiligung an lokalen Themen werde dadurch steigen, begründete der parteilose Bürger seine Anregung: eine Maßnahme, um „das demokratische Bewusstsein“ zu stärken. Viereinhalb Jahre und zahlreiche Mails sowie eine Petition an den Landtag später gibt es jetzt eine Entscheidung: ein verspäteter Teilerfolg für Engel. Wirklich darüber freuen kann er sich aber nicht. Denn die Sache hat einen Haken.

Das nächste Mal tagt der Stadtrat von Lünen am 12. Dezember: die erste Gelegenheit, um den mehrheitlichen Beschluss zum Livestreamen in die Tat umzusetzen. 1.600 Euro werde so eine Übertragung inklusive Speicherung im günstigsten Fall kosten, hatte die Stadtverwaltung mitgeteilt. Vermutlich noch etwas mehr. Denn Grundlage für die Kostenschätzung war eine dreistündige Sitzung. Nicht selten dauert es aber länger. Und abgerechnet werde pro angefangene Stunde.

Für die Sitzung am 12. Dezember – davon ist auszugehen – werden mehr als drei Stunden anzusetzen sein. Denn dann bringt Kämmerer Dr. André Jethon den Haushaltsentwurf 2025 ein: angesichts der bedrückenden Haushaltslage mit Rekordausgaben und Rekordschulden eine Angelegenheit, die nicht schnell über die Bühne gehen wird. Diese Debatte wird aber trotz des aktuellen Mehrheitsbeschlusses für das Streamen noch niemand am Smartphone, Tablet oder Computer verfolgen können, sondern nur oben auf der Zuschauertribüne. Und das hat auch mit der Haushaltsmisere zu tun.

Horst Engel setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung ein. Wichtig ist ihm, dass die Stadtverwaltung solche Anträge angemessen bearbeitet.  Über das Livestreaming aus dem Rat wurde jetzt entschieden.
Horst Engel setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung ein. Wichtig ist ihm, dass die Stadtverwaltung solche Anträge angemessen bearbeitet. Über das Livestreaming aus dem Rat wurde jetzt entschieden - nach viereinhalb Jahren. © Hans-Georg Gottfried Dittmann

Haushalt bremst Streaming aus

Ende August hatte Kämmerer Jethon eine Haushaltssperre erlassen. Seitdem sind „nur noch unbedingt notwendige Ausgaben“ zu tätigen. Nur die Fortsetzung bereits laufender Projekte sowie Ausgaben, für die die Stadt vor dem 29. August 2024 eine rechtliche Verpflichtung eingegangen war, sind erlaubt. Das Streamen von Ratssitzungen – die jährlichen Ausgaben liegen bei rund 8.000 Euro – gehört nicht dazu. Und am 12. Dezember – das ist noch nicht sicher, gilt aber in Politik und Verwaltung als sehr wahrscheinlich – wird die Haushaltssperre noch gelten. Das dürfte sich 2025 zwar ändern. Dann wird es aber aus anderen Gründen erst einmal keine Übertragung geben, wie Horst Engel und die elf anderen Zuhörer während der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses erfuhren.

Mit dem 1. Januar 2025 beginnt in Lünen wieder die haushaltslose Zeit. Die Ermächtigungen des Haushaltsplans 2024 werden mit Jahresende beendet sein, ohne dass der neue Haushalt 2025 schon verabschiedet und genehmigt wäre: eine Lücke, die die sogenannte vorläufige Haushaltsführung schließen muss. Sie ermöglicht zwar, dass die Stadt handlungsfähig bleibt und ihre laufenden Verpflichtungen – etwa Sozialleistungen, Personalausgaben und Mieten – erfüllen kann. Mehr ist aber erst einmal nicht drin. Auch nicht die Einführung des seit Jahren beantragten, aber jetzt erst beschlossenen und daher neuen Streaming-Angebots.

„Vielleicht ein bis zwei Ratssitzungen“ könnten vor der Kommunalwahl am 14. September 2025 im Netz übertragen werden, sagte SPD-Fraktionschef Rüdiger Billeb: eine Vermutung, die die Vertreter der Stadtverwaltung teilten. Nur bis zur Wahl zu beobachten, ob das Angebot gut ankomme, „bringt deshalb nichts“. FDP-Fraktionschef Karsten Niehues schlug vor, ein Jahr ab Inbetriebnahme des Streamings aus dem Ratssaal zu warten, damit der neue Stadtrat dann auf der Basis der Zugriffszahlen über die nächsten Schritte entscheiden könne. Also über eine mögliche Wiedereinstellung, Anpassung oder Ausweitung des Angebots auch auf alle Ausschusssitzungen, wie es Horst Engel Anfang 2020 beantragt hatte. Die Kosten dafür würden sich allerdings laut Verwaltung auf 115.000 Euro belaufen.

Streaming-Pause im Kreis Unna

Dass es Bedarf gibt, beim Live-Streaming an den Stellschrauben zu drehen, hat der Kreis Unna erfahren. Er hatte bereits im Juni 2023 das Livestreaming der Kreistagssitzungen eingeführt - und im März 2024 wieder eingestellt. Vorangegangen war die Kündigung des Vertrags mit dem Livestreaming-Anbieter. Die pro Sitzung etwa 2.500 Euro teure Übertragung habe den Ablauf der Sitzungen durcheinandergebracht, hieß es bei der Kreisverwaltung. Regelmäßig seien Ton- und Videoproblemen aufgetaucht. Hinzu kam laut Mitteilungen des Kreises Unna aber auch, dass die Zugriffszahlenhinter den Erwartungen zurückgeblieben seien. Ein endgültiges Aus für die Übertragung des Kreistags bedeute dies jedoch nicht. „Derzeit wird nach einer technisch umsetzbaren und wirtschaftlich vertretbaren Lösung gesucht“, heißt es.

CDU: „Kosten lieber sparen“

Die Lüner CDU zeigt sich skeptisch angesichts der bevorstehenden Live-Übertragung aus dem Rathaus Lünen. „Wir stehen dafür nicht zur Verfügung und wollen uns lieber diese Kosten sparen“, sagte Fraktionssprecher Christoph Tölle während der Haupt- und Finanzausschusssitzung. Die Zuschauertribüne sei selten gut besucht. Kunibert Kampmann (GFL) hielt dagegen, „dass es uns die 8.000 Euro Wert sein sollte“. Karsten Niehues (FDP) sah das genauso und prophezeite, dass die Übertragung aus dem Rat für „mehr Zielstrebigkeit in der Diskussion“ sorgen werde.

Eine längere Debatte über das Für und Wider des Streamens wie im März 2023 konnten Horst Engel und die anderen Gäste der Sitzung an diesem Abend aber nicht verfolgen. Ausgerechnet der Ältestenrat hatte das Thema vorberaten: das kommunale Gremium, das grundsätzlich nicht öffentlich tagt.