Leser-Reaktion zum Bericht: „Ich war empört über Karads Aussagen“

dzLeserbrief im Wortlaut

Dr. Ursula Görlich ist ehemalige Intensivmedizinerin und Psychiaterin. Die Äußerungen von Dr. Karad hält sie für „mindestens ignorant, sicher aber verantwortungslos“. Ihr Leserbrief im Wortlaut.

Lünen

, 09.07.2020, 16:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Ich bin sehr froh darüber, dass im heutigen Lokalteil der Ruhr-Nachrichten einen ausführlicher Artikel von Herrn Fröhling zum o.g. Leserbrief zu finden war, ein dringend notwendiger „Faktencheck“!

Als ehemalige Anästhesistin/Intensivmedizinerin und Kinder- und Jugendpsychiaterin habe ich über Jahrzehnte Einblick in sowohl körperliche als auch seelische Leiden von Menschen erhalten und war empört über die Aussagen von Herrn Dr. Karad in seinem Leserbrief zur Corona-Gefahr.

Seine Einzelerfahrungen in seiner Praxis zur Grundlage seiner Einschätzung der gegenwärtigen Pandemie zu machen, ist mindestens ignorant, sicher aber verantwortungslos. Als Arzt setzt er in medizinischen Belangen einen gewichtigen Maßstab für das Verhalten in der Bevölkerung.

Mit seiner sehr persönlichen Meinung, die er offenbar nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen herleitet, trägt Herr Karad dazu bei, eine Haltung in der Bevölkerung zu bestärken, die bisherigen Hygieneregeln nicht ernst nehmen zu müssen. Eine erstaunliche ärztliche Haltung! Insofern hätte ich mir eine Stellungnahme vom Lüner Ärzteverein gewünscht, um deutlich zu machen, welche Haltung die Lüner Ärzteschaft zu den Hygienemaßnahmen vertritt, die hoffentlich nicht durch Beschwichtigung eine „gute, alte Normalität“ sich herbeiwünscht, sondern durch Aufklärung Realität benennt und auf diese Weise Ängste verringern kann.

Im übrigen wünsche ich mir gar nicht die „gute, alte Normalität“ vorbehaltlos zurück, zeigen sich doch unter dem sog. Corona-Brennglas viele Bereiche unseres gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Handelns (Gesundheit, Bildung, Umwelt, Vermögensverteilung etc.) dringende Veränderungsnotwendigkeit.

Und natürlich gibt es auch andere, die gesamte Menschheit betreffende Gefahren, vielleicht viel größere Gefahren als die derzeitige Pandemie, wie Herr Lauer in seinem Leserbrief kritisch anmerkte – die atomare Bedrohung ist mehr denn je gegeben, die Klimakatastrophe gefährdet schon jetzt Völker in ihrer Existenz. Aber ist das ein Argument, die derzeit bestehende Gefahr durch die Corona-Pandemie kleinzureden? Wohl kaum, und über die Pandemie-Auswirkungen kann erst nach deren Beendigung seriös geurteilt werden.

Ein Ende der Pandemie ist jedoch noch nicht in Sicht, in vielen Ländern der Welt steigen die Infektionszahlen und Todesraten drastisch an, in anderen kommt es nach vorübergehendem Rückgang zu einer erneuten Zunahme der Infektionen. Ob man dieses Geschehen nun eine „zweite Welle“ nennt oder die 2. Spitze der ersten Welle ist m.E. für unser alltägliches Handeln nicht entscheidend. Wichtig bleiben aber weiterhin Vorsicht und Rücksichtnahme miteinander, was die meisten Menschen in Deutschland gut eingeübt haben und was u.a. dazu geführt hat, dass wir in Deutschland mit dem Pandemiegeschehen bisher glimpflich davon gekommen sind.