Tobias Kirschbaum (53) ist katholisch aufgewachsen. Als er nach Lünen kam, sind seine vier Kinder in St. Norbert getauft worden und zur Erstkommunion gegangen. Kirschbaum selbst war lange Jahre im Pfarrgemeinderat von St. Norbert. Auch den Fusionsprozess hat er intensiv begleitet. Die Gemeinde St. Norbert nennt er seine „spirituelle Heimat“. Was allerdings momentan in der Pfarrei St. Marien mit ihren vier Kirchen St. Ludger, St. Norbert, St. Gottfried und St. Marien geplant ist, erlebt er mit viel Schmerz und Trauer. Dass nach der Veröffentlichung des Immobilienkonzeptes ein Aufschrei in Lünen ausbleibt, irritiert Kirschbaum nicht: „Für die meisten Lüner spielt Kirche keine große Rolle mehr. Und viele ehemalige Engagierte sind bereits gegangen.“
Der Beschluss von Kirchenvorstand, Pfarreirat und Bistum Münster bedeutet eine Zäsur in Lünen. Eine, die an Vertrautem rüttelt. Die Kirchen St. Ludger und St. Norbert sollen in den nächsten Jahren verkauft werden, das Pfarrheim St. Norbert zu einem Treffpunkt und Gottesdienstraum ausgebaut und die sanierungsbedürftige St.-Gottfried-Kirche noch so lange genutzt werden, wie es geht. Konsequent, sagt Kirschbaum, wenn er die sinkenden Zahlen von Kirchgängern und Mitgliedern sieht. Rein ökonomisch sei die Entscheidung überfällig. Man hätte sie schon vor sechs, sieben Jahren treffen müssen. Doch unter dem Strich sei sie auch fatal. Die Gemeinde sei in die Überlegungen gar nicht einbezogen worden, „das Konzept wurde von den Gremien in internen Abstimmungen erarbeitet und nur noch mitgeteilt.“
Sanierung doppelt so teuer

Dass St. Marien, die älteste Wallfahrtskirche im Bistum Münster, nicht angetastet werden soll, erschließt sich Tobias Kirschbaum nicht, passe aber ins Bild, das nach außen getragen werden solle. Er hätte drei Kirchen geschlossen, aber nur dann, wenn an den Orten Mehrzweckgebäude blieben. Eine davon sei St. Marien. Die neugotische Basilika mit dem berühmten Gnadenbild der Maria hat einen Sanierungsbedarf von 3,4 Millionen Euro. Doppelt so viel wie St. Norbert. Doch die stadtbildprägende Kirche, deren Turm zu einem der 100 höchsten in Deutschland zählt, ist laut Bistum gesetzt. Verkauft werden soll nur das benachbarte Pfarrheim.
Während das Immobilienkonzept der Gemeinde präsentiert wurde, ist der Begriff „Museumskirche“ gefallen. Für Kirschbaum ist dies der Kernbegriff des Konzepts. Mit dem Erhalt von St. Marien wolle man ein altes Bild von Kirche aufrechterhalten. Dabei gebe es mit der Kirche Herz Jesu einen ähnlichen Bau jenseits der Lippe, allerdings im Bistum Paderborn. Für Kirschbaum spricht aus moderner liturgischer und theologischer Sicht kaum etwas für den Erhalt von St. Marien. Alles sei dort nach vorne ausgerichtet, anders als in St. Norbert. Würde St. Marien abgerissen, wäre der Aufschrei aber wohl groß.
Unterwegs sein
Als „spirituell herausragenden Ort“ bezeichnet er die ebenfalls denkmalgeschützte St.-Norbert-Kirche. Das Gebäude hat die Form eines Zeltes. „Unterwegs als Volk Gottes in der Welt sein und nicht eingemauert in festen Mauern“, das bringe die Architektur zum Ausdruck. Die Fenster prägen den Raum, in dem alles auf das Wesentliche reduziert ist. Tobias Kirschbaum bereitet hier zusammen mit den anderen Mitgliedern des Arbeitskreises den alternativen Gottesdienst einmal im Monta vor. Bis zu 50 Gläubige kommen dann an jedem ersten Sonntag im Monat zusammen.
Das Gotteshaus hat allerdings ein Problem: Der Mitte der 60er Jahre errichtete Betonbau rostet, das Dach ist mit Asbest belastet. Die Renovierungskosten liegen bei 1,5 Millionen Euro. Zu viel, findet das Bistum und stellt den Bau auf die Streichliste. „Es fehlt der Blick nach vorn“, findet Kirschbaum. „Einen Kirchraum wie St. Norbert zu erhalten, wäre ein deutlich sichtbares Zeichen, ein Bekenntnis für eine zeitgemäße Kirche.“

Wie auch in St. Ludger. Ein sehr gelungener Umbau, die Integration des Gemeindesaals in die Kirche, in den jüngst noch 750.000 Euro investiert worden waren, wird aufgegeben. Damals sei das Signal gewesen: „Die Kirche zieht sich nicht aus Alstedde zurück“, jetzt also doch. Mit dem Argument, man habe kein Personal, sei das Seelsorgeteam in den letzten Jahren immer weniger in St. Ludger und St. Norbert präsent gewesen. Viele Engagierten hätten frustriert aufgegeben.
Eine Kirche im klassischen Sinne brauchten viele Menschen für ihren Glauben nicht mehr, erlebt Tobias Kirschbaum. Das Thema mobile Kirche, hin zu den Menschen, mit klaren, auch sozialpolitischen Schwerpunktsetzungen an einzelnen Orten, das sei aber nicht im Blick. Bis 2027 sollen die Schließungen vollzogen sein. Kirschbaum hofft auf ein gemeinsames Konzept. Er sieht auch eine Chance auf Neues, wenn Lünen und Werne zu einem Pastoralen Raum zusammengehen. Und der engagierte Katholik hofft, dass aus dem Ausbau des Norbert-Treffpunkts etwas Gutes und Spirituelles wird, das in die Zukunft weist.
Reaktionen auf Kirchenschließungen in Lünen: Von „schallende Ohrfeige“ bis „Hoffnungszeichen“
Verkauf von zwei Kirchen in Lünen: Kirchenvorstand Fischer hofft auf soziale Nachnutzung
Weniger Kirchgänger in Lünen: Pastoraler Raum konzentriert sich auf drei Schwerpunktkirchen