Mehr als 10.000 Tote durch Keime in Krankenhäusern - Patienten bringen sie selbst mit

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Mehr als 10.000 Tote durch Keime in Krankenhäusern - Patienten bringen sie selbst mit

dzKeime in Krankenhäusern

Deutschland hat ein Problem: Jährlich erkranken knapp 500.000 Menschen an Infektionen im Krankenhaus. Schuld daran sind oftmals Keime. Wo kommen diese her und was macht sie so gefährlich?

Dortmund

, 01.12.2019, 08:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Keime sorgen nicht nur für rund eine halbe Million Infektionen in deutschen Krankenhäusern, sondern auch, laut Robert-Koch-Institut, für 10.000 bis 15.000 Tote im Jahr.

Im Gespräch erklärte uns Labormediziner Dr. Ansgar Müller-Chorus vom St.-Johannes-Hospital in Dortmund bereits im März 2019, wo die große Gefahr bei Keimen liegt, wie Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dasteht und warum Antibiotika keine dauerhafte Lösung sind.

Haben Krankenhäuser in Deutschland ein Problem mit Keimen?

Ja, die Krankenhäuser haben ein Problem mit Keimen. Wobei das Problem die Patienten sind, nicht die Krankenhäuser.

Die Keime in den Griff zu bekommen und die Infektionsraten möglichst gering zu halten, das ist schon Aufgabe der Krankenhäuser und diese haben durchaus Nachholbedarf.

Was macht die Keime denn so gefährlich?

Die überwiegende Mehrzahl der Keime ist harmlos, aber es gibt wirklich krankmachende Keime. Das Spektrum reicht von leichten Infektionen bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Es gibt nicht den einen Keim, denn nicht jeder Keim ist immer gefährlich. Ein Keim kann bei dem einen Patienten ganz schwere Infektionen verursachen und beim nächsten Patienten gar keine Erkrankungen hervorrufen.

Keime werden im Inistitut für Labormedizin am St.-Johannes-Hospital erforscht.

Keime werden im Inistitut für Labormedizin am St.-Johannes-Hospital erforscht. © David Döring

Woher kommen die Keime in den Krankenhäusern?

Man weiß mittlerweile, dass bei mehr als zwei Drittel der Infektionen die Patienten die Keime mitbringen. Das liegt daran, dass Patienten von Kopf bis Fuß mit diesen Keimen besiedelt sind.

Diese Keime machen die Patienten nicht krank, aber durch die Maßnahmen, die wir im Krankenhaus durchführen, können diese Keime in Gebiete des Körpers eindringen, wo sie normalerweise nicht zu finden sind.

Dies führt dann zu Infektionen bei den Patienten. Circa ein Drittel der Infektionen wird eventuell durch nicht optimale Maßnahmen im Krankenhaus erworben.

Was machen denn andere europäische Länder besser oder anders als wir?

Man muss dazu sagen, dass viele europäische Länder es schlechter machen als wir. Da kann man sich einige südeuropäische Länder ansehen, zum Beispiel Spanien, Portugal, Italien und Griechenland. Diese haben sehr viel größere Probleme mit Infektionen als wir in Deutschland.

Nichtsdestotrotz gibt es Länder, wie zum Beispiel die skandinavischen Länder oder auch die Niederlande, die es wirklich besser machen als wir. In den Niederlanden wurde die Infektionsproblematik in der Vergangenheit sehr viel ernster genommen.

Bei uns ist es ein strukturelles und gesellschaftliches Problem. Infektionskrankheiten werden als nicht besonders wichtig erachtet.

Woran liegt das?

Das können Sie daran erkennen, dass an vielen deutschen Universitäten die Lehrstühle und Institute für Hygiene geschlossen wurden und noch geschlossen werden, aber auch mikrobiologische Institute werden verkleinert oder geschlossen.

Aber das wären genau die Stellen, die eigentlich die Ärzte und auch die Forschung in diesem Bereich vorantreiben würden. Deutschland ist gerade für so ein relativ großes Land da sehr schlecht aufgestellt.

Im Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin am St. Johannes-Hospital werden Blutproben auch auf Keime untersucht.

Im Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin am St. Johannes-Hospital werden Blutproben auch auf Keime untersucht. © David Döring

Nicht alle Antibiotika wirken effektiv gegen Bakterien. Woran liegt das?

Die Bakterien haben einen großen Vorteil. Sie sind schon sehr viel länger auf dieser Welt und haben sich bisher gegen alle Angriffe erfolgreich zur Wehr gesetzt.

Jedes Antibiotikum, das mal entwickelt wurde, ist eigentlich hochwirksam, aber mittlerweile dauert es nicht mehr als fünf Jahre, bis die ersten Bakterienstämme Resistenzen gegen neu entwickelte Antibiotika entwickeln.

„Alle Antibiotika werden jedes Jahr weniger wirksam gegen Keime.“
Dr. Ansgar Müller-Chorus

Das ist der Grund, warum diese Waffe, die sicher mal spitz war, auf einmal stumpf ist. Irgendwann nach 15 Jahren ist jedes Antibiotikum nicht mehr wirksam und die Tendenz nimmt von Jahr zu Jahr zu. Alle Antibiotika werden jedes Jahr weniger wirksam gegen Keime.

Wie wichtig ist die Herstellung von Antibiotika-Alternativen?

Die Alternative ist, erst einmal keine Antibiotika zu geben. Ein großer Teil der Antibiotika wird tatsächlich sinnlos gegeben. Zum Beispiel bei Virusinfektionen, wo sie gar nicht wirken können.

Die zweite Möglichkeit ist die Dauer der Therapie. Wir haben früher viel zu lange antibiotisch therapiert und wissen, dass wir jetzt die Dauer deutlich verkürzen können und trotzdem gute Heilungschancen haben. Die dritte Möglichkeit ist, dass wir uns sehr viel mehr in der Klinik damit beschäftigen müssen, in welchen Dosen wir Antibiotika geben.

Da wurde in der Vergangenheit tendenziell eher zu niedrig dosiert. Wenn man mit Antibiotika behandelt, sollte man eigentlich eine sicher ausreichend hohe Dosis verwenden, diese aber möglichst kurz.

Zur Person

Dr. Ansgar Müller-Chorus

Dr. Ansgar Müller-Chorus

Dr. Ansgar Müller-Chorus © David Döring

Dr. Ansgar Müller-Chorus ist Leiter des Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin am St.-Johannes-Hospital in Dortmund. Er ist einer von gerade einmal rund 1000 Fachärzten im Bereich der Mikrobiologie in Deutschland.

Zur Person

DR. ANSGAR MÜLLER-CHORUS
Dr. Ansgar Müller-Chorus

Dr. Ansgar Müller-Chorus © David Döring

Dr. Ansgar Müller-Chorus ist Leiter des Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin am St.-Johannes-Hospital in Dortmund. Er ist einer von gerade einmal rund 1000 Fachärzten im Bereich der Mikrobiologie in Deutschland.
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