Schikane durch Jugendämter in Werne, Selm und Lünen? Bonbonhaus empfindet „echtes Problem“

Schikane durch Jugendämter im Kreis? Bonbonhaus: „Echtes Problem“
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„Wir könnten schon eine Trilogie schreiben. Und das wäre unter der Kategorie Horror – oder Fantasie“, sagt Antonia Jura. Sie ist die stellvertretende pädagogische Leitung im Bonbonhaus in Werne. Einem Hof an der Varnhöveler Straße, der tiergestützte Therapie für unter anderem neurodivergente Kinder anbietet – darunter für Kinder mit ADHS oder Autismus-Spektrums-Störung. Und wenn sich an der Situation, in der sich der Hof aktuell befindet, nicht in den nächsten Wochen etwas ändert, könnte es das Aus des Hofes bedeuten.

Denn das Haus und seine Mitarbeiter fühlen sich schikaniert. „Wir haben ein echtes Problem mit den Jugendämtern hier im Kreis Unna“, schildert Jura die derzeitige Lage. Denn insbesondere das Jugendamt Bergkamen habe bis dahin laufende Therapien von Kindern beendet. Und das Jugendamt Werne halte das Therapiehaus hin, erklären Jura, ihre Kollegin Meike Senngotta und deren Chefin Adina Wolloschek.

Antonia Jura, Adina Wolloscheck und Meike Senngotta (v.l.n.r.) vom Bonbonhaus in Werne
Antonia Jura, Adina Wolloscheck und Meike Senngotta (v.l.n.r.) vom Bonbonhaus in Werne © Eva-Maria Spiller

Bis Ende vergangenen Jahres habe die Arbeit zwischen dem Bonbonhaus und den Jugendämtern aufgrund sogenannter Einzelfallverträge stattgefunden. Ein Sachbearbeiter im jeweiligen Jugendamt entscheide, ob die Therapie angemessen sei und entsprechend bewilligt würde, so erklären es die drei Frauen. Doch seit vergangenem Sommer sei alles anders. Den Ursprung dessen führen sie zurück auf eine Beschwerde einer Mutter aus Selm. Ihr damals 13 Jahre alter Sohn sei im Rahmen seines Autismus in Therapie auf dem Hof in Werne gewesen.

Junge soll Mutter attackiert haben

Der Sohn habe Suizidgedanken geäußert, die Mitarbeiterinnen des Bonbonhauses wollten dem Problem auf den Grund gehen – dann sei die Stimmung gekippt. Im vergangenen Jahr, als die Therapie des Jungen verlängert werden sollte, habe sich die Mutter beim Jugendamt in Selm über einen Vorfall vor damals 1,5 Jahren beschwert. Damals habe Adina Wolloscheck den Jugendlichen festhalten müssen, weil er mit einem Messer auf seine Mutter habe losgehen wollen, schildern die drei Frauen. Das habe die Mutter allerdings als Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Jugendamt ausgelegt, heißt es. „Und das Jugendamt Selm hat wahnsinnig unprofessionell unserer Meinung nach reagiert, weil es uns direkt bei allen anderen Jugendämtern an den Pranger gestellt hat“, erklärt Jura.

Tiere auf dem Hof des Bonbonhauses in Werne
Neben Pferden, Schafen, Ziegen, Hasen, Meerschweinchen und Federvieh hält das Bonbonhaus auch eine Reihe von Alpakas für die Therapie mit den Kindern. © Eva-Maria Spiller

„Sie haben gesagt: ‚Die Leitung des Bonbonhauses ist handgreiflich geworden‘“, sagt Jura. Daraufhin sei eine sogenannte 8a-Meldung erstellt worden, eine Meldung über Kindeswohlgefährdung. Direkt alle Jugendämter zu informieren, obwohl nicht einmal mit der betreffenden Einrichtung gesprochen worden sei, „geht gar nicht“, findet Jura. Doch trotz Stellungnahme, Dokumentation und vorgebrachter Beweise zu der betreffenden Situation sei das Bonbonhaus abgeblockt worden.

Mitarbeitende des Jugendamtes Lünen hätten Adina Wolloschek sogar mehrfach einen Besuch zu Hause in Lünen abgestattet, weil sie und ihr Partner Pflegekinder haben. Alles aufgrund der 8a-Meldung. „Und die dürfen davon eigentlich ja gar nichts wissen, solange das Verfahren in Selm nicht abgeschlossen wurde“, so Jura. Und das sei laut Wolloschek bis heute nicht geschehen.

Bonbonhaus wendet sich an Bürgermeister

Nun, seit Ende vergangenen Jahres, bestünden die Jugendämter im Kreis auf sogenannte Leistungsvereinbarungen als Grundlage für die Bewilligung von Therapien für Kinder. So hatte es das Jugendamt in Bergkamen dem Bonbonhaus mitgeteilt. Ende Februar dann habe Bergkamen die laufenden Therapien abgebrochen. „Obwohl sie ja wussten, dass wir in diesem Prozess sind“, erläutert Jura.

Von der Stadt Werne sei nie eine Aufforderung nach einer solchen Leistungsvereinbarung gekommen. Vielmehr habe sich das Bonbonhaus an Jugendamtsleiter Maik Rolefs gewandt, mit dem Wunsch, eine solche Vereinbarung zu treffen. Doch alle Kontaktaufnahmen seien unbeantwortet geblieben. Bis sich das Bonbonhaus dann an Bürgermeister Lothar Christ gewandt habe, wodurch ein Treffen zustande gekommen sei. Das sei Mitte Januar gewesen.

Pferde auf dem Hof des Bonbonhauses in Werne
Die Therapiepferde des Bonbonhauses in Werne: Weitere Pferde sind in Ausbildung und werden vom Bonbonhaus erwartet. © Eva-Maria Spiller

Daraufhin habe man Ende Januar der Stadt ein Konzept geschickt, auf das es wochenlang keine Antwort gegeben habe. Erst Ende Februar habe sich die Stadt gemeldet und erklärt, dass ihr in dem übermittelten Konzept etwas fehle – ohne weitere Erklärung, was genau. „Daraufhin haben wir gehört, dass die uns hinhalten. Bis wir pleitegehen.“ Schriftlich haben wir die Stadt Werne gebeten, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Jugendamtsleiter Maik Rolefs antwortet darauf nur kurz: „Ich kenne das Papier des Bonbonhauses und werde zu den Fragen/Vorwürfen keine Stellung nehmen.“

Auch die Städte Selm und Lünen wurden um eine Stellungnahme gebeten. Doch auch hier gibt es kaum Informationen. Malte Woesmann, Pressesprecher der Stadt Selm, schreibt: „Aus Datenschutzgründen nimmt die Stadt Selm zu einem etwaigen Verfahren keine Stellung.“ Die Frage, ob es zutreffend ist, dass die Stadt Selm alle übrigen Jugendämter im Kreis Unna über dieses Verfahren informiert hat, obwohl dies laut dem Bonbonhaus nicht zulässig sei, wird von der Verwaltung verneint.

Eine ähnliche, kurze Antwort auch aus Lünen. Stadtsprecher Daniel Claeßen teilt auf Anfrage mit: „Ich bitte um Verständnis, dass wir uns zu laufenden Verfahren grundsätzlich nicht äußern – auch dann, wenn die Stadtverwaltung Lünen nur indirekt betroffen ist. Was wir aber sagen können: Die von dem Sachverhalt betroffenen Jugendämter stehen in konstantem Austausch und sind sich bei der Beurteilung der Situation einig.“

Gespräch mit Jugendamt terminiert

Von der Stadt Bergkamen heißt es auf Anfrage: „Generell gebe ich keine Auskunft über Inhalte von Vertragsverhältnissen, Einzelfälle und vergleichbare Angelegenheiten“, teilt Christine Busch, Erste Beigeordnete, per Mail mit. Grundsätzlich basiere die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Anbietern derartiger Leistungen auf sogenannten Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen (LEQ).

„Das war auch diesem Anbieter von Anfang an klar. Mit dem ‚Bonbonhaus‘ ist das Jugendamt der Stadt Bergkamen seit langem im Gespräch - von einer kurzen Fristsetzung kann nicht die Rede sein. Im Vertrauen darauf, dass diese LEQ-Vereinbarung baldmöglichst geschlossen wird, der Anbieter also alle erforderlichen Nachweise erbringt, wurde einvernehmlich die Zusammenarbeit begonnen.“

Und weiter: „Leider hat der Anbieter die erforderlichen Nachweise bisher nicht erbracht, insofern musste die vertragslose Zeit und damit die Zusammenarbeit beendet werden. Dies ist der Auslöser für die nachfolgenden Beschwerden vom Bonbonhaus.“ Ein Gespräch zwischen Jugendamt und dem Bonbonhaus sei „schon längst terminiert“.