Geldscheine neben einer Hand in einem schwarzen Lederhandschuh, daneben Karinn Holloch, Anwältin in Düsseldorf und Sprecherin der Regionalgruppe Nordrhein-Westfalen von Transparency Deutschland

Karin Holloch ist Sprecherin der Regionalgruppe Nordrhein-Westfalen von Transparency Deutschland. Sie sagt: „Wir haben in Deutschland Strafgesetze, aber keinen Verfolgungsdruck.“ © Fotos: dpa, privat / Montage Sauerland

Expertin zu Korruptionszahlen in NRW: „Sorry, aber das ist total lächerlich“

dzKorruptions-Serie

Es gibt in Deutschland Gesetze gegen Korruption. Aber verfolgt werden solche Straftaten kaum. Das hat viele Gründe, sagt eine Frau, die sich mit Bestechung in jeder Form bestens auskennt.

NRW

, 02.06.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Es ist ein düsteres Bild, das Karin Holloch in Sachen Korruption von Deutschland zeichnet. Die Juristin arbeitet seit neun Jahren mit dem Schwerpunkt Compliance als Rechtsanwältin, seit Mai 2021 mit einer eigenen Kanzlei in Düsseldorf. Sie ist ehrenamtliche Sprecherin der Regionalgruppe Nordrhein-Westfalen von Transparency Deutschland.

„Die meisten Korruptionsfälle finden nicht vor Gericht statt. Die Statistiken und Lagebilder können nur das erfassen, was auch ausdrücklich als Korruption deklariert wird und wo es auch zu einem Urteil gekommen ist“, sagt Karin Holloch und unterfüttert das mit Zahlen. So verweist sie auf das NRW-Lagebild Korruption des Landeskriminalamts, das für 2020 einen Korruptions-Schaden von 9,8 Millionen Euro nennt, und auf das Bundeslagebild, das für 2020 den Schaden auf 81,2 Millionen Euro beziffert.

„Völlig abstruse Zahlen“

Für Karin Holloch sind das völlig abstruse Zahlen: „Das sind doch nur ein paar Milliönchen. Sorry, aber das ist total lächerlich. Ich arbeite seit neun Jahren als Compliance-Anwältin. Wenn ich allein mit meinen Ermittlungen einen höheren Schaden feststelle als das, was da im NRW-Lagebild steht, dann sagt das schon alles.“

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2012 bezifferte der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider von der Johannes-Kepler-Universität im österreichischen Linz den Schaden durch Korruptionsdelikte für Deutschland auf 250 Milliarden Euro im Jahr. Aktuellere Daten gibt es nicht. Aber diese Zahl allein zeige, sagt Karin Holloch, wie stark offizielle Zahlen und Statistik auseinanderklafften.

„Gegen eine Armada hochqualifizierter Rechtsanwälte“

„Es ist in Deutschland nicht einfach, Korruptionsstraftatbestände zu ermitteln und zu belegen. Das ist ein wahnsinnig komplexes, aufwendiges Verfahren. Dabei muss man sehen, dass in solchen Verfahren die Staatsanwälte oft einer ganzen Armada von hochqualifizierten Rechtsanwälten gegenübersitzen.“

Das sei ein wesentlicher Grund, weshalb viele Korruptionsdelikte oft unter anderen Straftatbeständen angeklagt würden: „Betrug, Steuerhinterziehung und Untreue – das alles sind leichter nachzuweisende Delikte als ein Korruptionsstraftatbestand.“

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Ein besonderer Fall sei die Bestechung im Ausland. Vor 25 Jahren haben man so etwas noch als Betriebsausgaben steuerlich absetzen können. Seither gebe es zwar ein gesetzliches Verbot, aber das sei praktisch ohne Wirkung, sagt Karin Holloch.

„Kein einziges Strafverfahren“

Sie verweist auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP vom 25. Juni 2021. Danach gab es in den sechs Jahren zwischen 2015 und 2020 insgesamt 33 Ermittlungsverfahren wegen solcher Delikte. Zu einem Strafverfahren kam es in keinem einzigen Fall, zu einer Verurteilung erst recht nicht.

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Karin Holloch kommentiert das so: „Die Zahl der Fälle, die dann tatsächlich zur Anzeige kommen, geht gegen null. Ist es glaubhaft, dass es nicht mehr Fälle gab? Ich denke nicht. Das Problem liegt nicht darin, dass die Staatsanwaltschaften hier nicht ermitteln wollen, sondern in der Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden.“

„Wir haben in Deutschland keinen Verfolgungsdruck“

Für die Juristin steht fest: „Wir haben in Deutschland Strafgesetze, aber keinen Verfolgungsdruck. Wenn man das weiß, liest man die Statistiken zur Korruption ganz anders. Wir haben ein Problem mit der fehlenden Sichtbarkeit von Korruptionsdelikten.“

Als Beispiel verweist sie auf die Steuerfahnder, wenn diese auf Scheinrechnungen stoßen. „Da sind die Steuerfahnder mit ihren Steuer-Nachforderungen schneller als die Staatsanwaltschaften. Solche Dinge melden die Finanzbehörden zwar der Staatsanwaltschaft, aber wie es dann weitergeht, liegt nicht in deren Hand. Vielen Staatsanwaltschaften fehlen einfach die Kapazitäten.“

„Eigentlich ist die Sache doch ganz einfach: Man zahlt einmal Steuer und bekommt sie dann zweimal erstattet. Meine Oma hätte Ihnen erklären können, dass das nicht rechtens sein kann.“
Karin Holloch zu Cum-Ex-Geschäften

Korruption gibt es ihrer Einschätzung nach in ganz vielen Bereichen, in Bauämtern, beim TÜV, in Unternehmen, an vielen Stellen. Da erinnert sie an die „absolute Unverfrorenheit renommierter Politiker, wie diese ohne eine wirkliche volkswirtschaftliche Gegenleistung beim Masken-Skandal innerhalb weniger Wochen mehrere Millionen gescheffelt haben. Wenn so etwas möglich ist, wenn der Profit so einfach zu generieren ist, haben wir ein echtes Problem.“

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Wie schwierig es ist, Korruptionsdelikte zu ahnden, könne man beispielhaft an der Vielzahl der Cum-Ex-Verfahren ablesen: „Eigentlich ist die Sache doch ganz einfach: Man zahlt einmal Steuer und bekommt sie dann zweimal erstattet. Meine Oma hätte Ihnen erklären können, dass das nicht rechtens sein kann.“ Trotzdem werde mit vielen Anwälten immer wieder geklagt.

„Gute Ansätze im Koalitionsvertrag“

Wichtig ist aus ihrer Sicht, dass auf der Gesetzesebene gehandelt werde, sagt Karin Holloch. Der Koalitionsvertrag mache da einen guten Anfang. Dort sei zu lesen: „Wir werden das Lobbyregistergesetz nachschärfen, Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene einbeziehen und den Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen grundrechtsschonend und differenziert erweitern. Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen.“

Alles Schritte, die Karin Holloch begrüßt. Zugleich wünscht sie sich, dass man das „Umsetzungsproblem“ etwa bei der Geldwäsche angeht: „Es werden nicht mehr viele Verdachtsfälle angezeigt, und die, die angezeigt werden, werden nicht wirklich abgearbeitet.“ Das müsse sich ändern.

Der fehlende Schutz für Hinweisgeber

Karin Holloch bedauert, dass es nach wie vor kein Hinweisgeberschutzgesetz gibt: „Das liegt daran, dass die CDU im vergangenen Jahr einem fertigen Entwurf kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr zustimmen wollte. Das ist höchst bedauerlich, zumal eine entsprechende EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern eigentlich bis zum 18. Dezember 2021 hätte in Kraft treten müssen. Dass Deutschland es in zwei Jahren nicht geschafft hat, das umzusetzen, ist einfach nur peinlich.“

Abseits dieser „großen“ Korruptionsdelikte empfiehlt Karin Holloch dringend, auch die kleineren Delikte im Blick zu behalten: „Was ist, wenn ein Kiosk- oder Tankstellenbesitzer versucht, etwa einem Polizisten immer mal wieder einen Schokoriegel, ein Brötchen oder einen Kaffee zuzustecken?“ So etwas klinge zunächst ja harmlos, habe aber den Geruch von „anfüttern“ und „austesten“, ob jemand grundsätzlich für solche Bestechungen empfänglich ist.

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