Seit rund einem Jahr ist die Notunterkunft in Selm Bork in Betrieb, anfangs für Familien aus der Ukraine geplant, wurde das Konzept nach wenigen Monaten geändert; nun leben dort Männer, die vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, aber auch aus anderen Ländern stammen. In Normalbelegung werden hier bis zu 750 Flüchtlinge untergebracht. Die Gesamtkosten seit April 2022 inklusive Aufbau betragen rund 14,85 Millionen Euro, heißt es von der Bezirksregierung. Die Bezirksregierung ist die hiesige Vertretung des Landes NRW, das die Einrichtung in Bork betreibt.
Derzeit duldet die Stadt Selm die Notunterkunft noch bis Ende dieses Jahres. Selms Bürgermeister Thomas Orlowski hatte aber in einem Interview angekündigt, dass das Land NRW eine Verlängerung der Notunterkunft in Bork bis Juni 2024 anstrebe. Die Stadt werde dem aber nur unter bestimmten Voraussetzungen zusammen, erklärte Orlowski im Rat. Unter anderem müsste die Bewohnerzahl reduziert, die Kommunikation verbessert und die Notunterkunft einer Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung gleichgestellt werden.
Das Thema Zeltstadt wird die Menschen in Bork also wohl noch weiter beschäftigen. Aber auch die Flüchtlinge. Wir haben deshalb bei der Bezirksregierung nachfragt, wie die Bedingungen im Inneren der Notunterkunft aktuell sind.
60 bis 80 Betten pro Zelt
Die Rechnung ist denkbar einfach – und trotzdem erstaunlich: Eine der weißen Leichtbauhallen der Selmer Notunterkunft für Geflüchtete hat Platz für zehn Parzellen und jede Parzelle ist wiederum mit drei oder vier Etagenbetten ausgestattet. Üblicherweise werden circa 60 Schlafplätze pro Zelt belegt, erklärt der Pressesprecher der Bezirksregierung Arnsberg, Christoph Söbbeler. Aber auch eine Belegung mit bis zu 80 Schlafplätzen sei möglich. Ein Schlafplatz beinhaltet „lediglich das Bett, Spinde oder Schließfächer werden nicht vorgehalten“.
„Aktuell werden in der Notunterkunft Selm insgesamt 13 Leichtbauhallen zur Unterbringung der Bewohner genutzt“, sagt Söbbeler. Sie alle sind mit Betten ausgestattet, aber nur 12 der 13 Zelte werden regelmäßig belegt. Insgesamt stehen 18 Zelte auf dem LAFP-Gelände. „Weitere Leichtbauhallen werden für die Kantine, Freizeitangebote, Infopoint Sozialdienst, Kleiderkammer, Sanibereich genutzt“, so der Sprecher der Bezirksregierung.
Auch die Borker Bürgerin Melanie Offergeld hatte beim zweiten Borker Bürgergespräch im Haus Dörlemann über die Bedingungen in der Notunterkunft für Flüchtlinge berichtet. Sie hatte zuvor mit dem Umfeldmanager von European Home Care gesprochen. Anschließend stellte Offergeld, die zuvor auch schon im Fernsehen bei Stern TV die Situation in Bork schilderte, die Eckpunkte einer Petition vor, die sie an den nordrhein-westfälischen Landtag richtet. Das Ziel der Petition sei es, die Situation für Flüchtlinge und Borkerinnen und Borker zu verbessern.
Essen aus der Kantinenküche
Auch zur Ausstattung der Notunterkunft machte die Bezirksregierung auf Nachfrage Angaben. Es gebe eine Großküche mit Kantinenausstattung. Dort werde für die Menschen in der Notunterkunft gekocht. „Es gibt feste Zeiten für Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Abendessen“, so der Pressesprecher. Dass sie Geflüchteten selbst kochen, sei in den Leichtbauhallen nicht vorgesehen. Das begründet Söbbeler mit „Brandschutz und Sicherheit“.
Anfang August war es in der Notunterkunft zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen, nachdem Geflüchteten verboten worden war, in einem der Zelte einen elektronischen Kocher zu nutzen. Dagegen protestierten laut Angaben der Polizei 50 bis 70 Geflüchtete lautstark. „Zudem sollen aus der Gruppe heraus auch Steine geworfen worden sein“, hieß es damals. Drei Bewohner der Notunterkunft wurden erst in Gewahrsam genommen und
später in einer anderen Unterkunft untergebracht.

Neben den Zelten, in denen die Geflüchteten untergebracht sind, gib es außerdem noch 20 Sanitärcontainer, aufgeteilt in Dusch- und Toilettencontainer. Die Toilettencontainer sind mit Urinalen, Toiletten und Waschbecken ausgestattet, die Duschcontainer mit Duschen und Waschbecken.
Hygiene wird kontrolliert
Um für die Gesundheit der Geflüchteten zu sorgen, gebe es ein Hygienekonzept, das regelmäßig kontrolliert wird. „Die Kontrollen finden unangekündigt statt. Die Häufigkeit der Besuche variiert“, schreibt die Bezirksregierung. Der Hygieneplan sei durch den in der Notunterkunft Selm eingesetzten Betreuungsdienstleister – also European Home Care – erstellt worden. „Das ist im Kreistag genauso bestätigt worden von den Dezernenten“, sagte CDU-Poltiker Herbert Krusel schon beim Bürgergespräch.
Größere Krankheitsausbrüche habe es in der Notunterkunft bisher nicht gegeben, so der Sprecher der Bezirksregierung, wohl aber Einzelfälle von Krätze. Diese seien zunächst dem Gesundheitsamt gemeldet, und dann auf der Sanitätsstation behandelt worden.
Anreise mit dem ÖPNV
Wie viele Geflüchtete gerade in der Unterkunft untergebracht sind, ändere sich stetig. Deshalb gebe es eine „EDV-mäßige Erfassung sowohl bei einem ,Transfer In‘ als auch beim ,Transfer Out‘ in einem speziell dafür vorgesehenen Programm“, so Söbbeler. Melanie Offergeld habe erfahren, dass in jeden Bewohnerausweis ein QR-Code ist, der am Ein- und Ausgang gescannt wird. Anfang August wurden in der eigentlich für 750 Geflüchtete ausgelegten Unterkunft 80 Menschen mehr, also 830, untergebracht.
Zum ersten Mal in die Selmer Notunterkunft kommen die meisten Flüchtlinge mit dem ÖPNV oder per Bus-Transfer. „Eine Abholung am Bahnhof erfolgt nicht“, so Söbbeler. Zuvor schließen die Geflüchteten in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Bochum sowie in einer Erstaufnahmeeinrichtung die ersten Schritte des Asylantragsverfahrens ab.

Anders als Gerüchten zufolge sei die Mitarbeit von Ehrenamtlichen in der Borker Notunterkunft „möglich und wird sehr begrüßt“. Derzeit gebe es mehrere Angebote der ehrenamtlichen Helfer für die Bewohner der Unterkunft.
Den Wunsch der Redaktion, die Einrichtung ebenso zu besuchen, lehnte die Bezirksregierung ab: „Hintergrund ist, dass es sich bei Unterkünften für Geflüchtete um einen besonders geschützten Bereich handelt.“
Menschen aus Selm haben mehr Geld zur Verfügung: Einkommen steigen um mehrere Hundert Euro
Selmerin (78) kauft seit 14 Jahren bei der Selmer Tafel ein: „Die Scham geht weg“
Selmer Petition zur Flüchtlingssituation: So läuft das Verfahren ab