Ein sechsjähriges Mädchen ist im Januar nach Bangladesch abgeschoben worden. Der Kreis Unna hat den Arbeitskreis Asyl, der die Abschiebung für unzulässig hält, abgemahnt.

© privat

Abschiebung nach Bangladesch: Kreis mahnt ehrenamtliche Helfer ab

dzAbschiebung

Anisha (6) wurde mit ihrer Familie nachts nach Bangladesch abgeschoben. Ehrenamtliche Helfer des Arbeitskreises Asyl hatten den Kreis Unna kritisiert. Der Kreis reagiert – mit einer Abmahnung.

Schwerte

, 31.03.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Als Hans-Bernd Marks am Montag (7. März) in seinem E-Mail-Postfach eine Abmahnung findet, glaubt der 74-Jährige an einen schlechten Witz. „Ich habe das erst für einen Gag gehalten“, erzählt der Sprecher des Schwerter Arbeitskreises Asyl. Dann glaubt er an einen Trickbetrugsversuch von Kleinkriminellen.

Doch beim Lesen wird ihm klar, dass die „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“ des Kreises Unna, vertreten durch Landrat Mario Löhr, durchaus ernst gemeint ist. Der Kreis hat eine Anwältin beauftragt, die Hans-Bernd Marks als Vertreter des AK Asyl eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.100 Euro androht.

Androhung von Geldstrafe und Anwaltskosten

Dabei geht es um die Abschiebung einer Schwerter Familie nach Bangladesch, die bereits im Januar erfolgt ist. Streitpunkt sind zwei Formulierungen, die der Arbeitskreis gemeinsam mit dem Grundrechtekomitee & Abschiebereporting NRW mit Sitz in Köln auf deren Homepage in einer Pressemitteilung veröffentlicht hatte.

Die Helfer hatten dem Kreis darin vorgeworfen, in die Mietwohnung der Familie eingedrungen zu sein – das sei „ein rechtswidriges Vorgehen, das gegen den Artikel 13 Grundgesetz zur Unverletzlichkeit der Wohnung“ verstößt. Die zweite Passage bezog sich darauf, dass sich das Kind auf der Fahrt zum Flughafen mehrmals hatte übergeben müssen. „Doch die Bitte der Eltern, die Fahrt zu unterbrechen, wurde ignoriert.“

Diese Äußerungen dürfe man nicht länger verbreiten, heißt es in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt. Zudem verpflichte sich der Arbeitskreis, anteilig Anwaltskosten in Höhe von 1088,60 Euro zu zahlen.

Kurz nach den Gesprächen kamen die Abmahnungen

Der Schwerter ist fassungslos – noch wenige Tage zuvor, am Mittwoch (2.3.), habe es ein Gespräch gegeben, so Hans-Bernd Marks. Den Helfern des Arbeitskreises war es vor allem um die Art der Abschiebung gegangen. An dem Gespräch hat Marianne Versin-Wenzler teilgenommen, die ebenfalls dem AK Asyl angehört.

Politiker aus Schwerte und dem Kreis seien dabei gewesen, es sei aber „eher inoffiziell“ gesprochen worden. „Ich habe noch einmal die Sicht der abgeschobenen Familie darstellen können“, erklärt Marianne Versin-Wenzler. Man habe vereinbart, „sich in Zukunft über anstehende Abschiebungen stärker mit dem AK Asyl auszutauschen“.

Marianne Versin-Wenzler vom Arbeitskreis Asyl hält weiter Kontakt zu der Familie. Sie sagt: "Sie sind alle verzweifelt."

Marianne Versin-Wenzler vom Arbeitskreis Asyl hält weiter Kontakt zu der Familie. Sie sagt: „Sie sind alle verzweifelt.“ © privat

Fünf Tage später kommt die Abmahnung per E-Mail – am 9. März dann auch per Post. Das Grundrechtekomitee ändert die beiden Passagen geringfügig, doch Sprecher Sebastian Rose ist empört. „Wir verstehen das als Einschüchterungsversuch. Forderungen haben wir zurückgewiesen.“

„Wir bleiben dabei: Das Vorgehen war nicht zulässig“

Der Kreis hätte Kontakt aufnehmen können, wenn es um die Änderung einzelner Textstellen geht. Stattdessen habe es direkt diese Strafandrohung gegeben. Die beiden Passagen änderten nichts an der Bewertung der Abschiebung durch das Komitee. „Wir bleiben dabei, dass dieses Vorgehen so nicht zulässig war. Das ist unsere Meinung.“

Jetzt lesen

Auf Anfrage unserer Redaktion antwortet Pressesprecher Max Rolke für den Kreis Unna, es habe ein Gespräch gegeben. „Arbeitsprozesse haben sich überschnitten.“ In der Pressemitteilung sei es zu „unwahren Tatsachenbehauptungen“ gekommen.

Kreisverwaltung fühlt sich in ihrem Ruf verletzt

„Als sich das Mädchen erbrach, befand sich der Transport auf der Autobahn kurz vor Bielefeld inmitten einer Baustelle“, erklärt der Pressesprecher. Man habe der Familie erklärt, dass man dort nicht einfach anhalten könne. Wenige Minuten später hätte es die Gelegenheit zum Umziehen und Waschen gegeben.

Jetzt lesen

Außerdem stößt sich der Kreis an der Formulierung, dass Beamte in die Wohnung eingedrungen seien. „Mit der Veröffentlichung dieser unwahren Tatsachenbehauptungen wird der Ruf der Kreisverwaltung und damit ihre Rechte verletzt“, teilt Max Rolke mit. „Die Behauptung allein, dass der Kreis Unna nicht auf Grundlage von aktuell geltenden Gesetzen handelt, ist nicht hinnehmbar.“

Anwältin: „An Dreistigkeit nicht zu überbieten“

Die Anwältin der Familie sieht das problematisch. „Kritik am Handeln des Kreises ist doch keine Rufverletzung. Der Kreis ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts und hat kein Persönlichkeitsrecht. Da kann niemand in seinem Ruf verletzt werden.“ Wer in seinem Ruf verletzt werde, sei der Schwerter Hans-Bernd Marks, der in diesem Fall der Lüge bezichtigt werde. Das sei „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“.

Hans-Bernd Marks und Mechthild Uffmann vom Arbeitskreis Asyl Schwerte stehen vor der ehemaligen Mietwohnung der Familie.

Hans-Bernd Marks und Mechthild Uffmann vom Arbeitskreis Asyl Schwerte stehen vor der ehemaligen Mietwohnung der Familie. © Martina Niehaus (A)

Ganz abgesehen davon müsse der Kreis beweisen, dass die beiden Passagen nicht wahr seien. „Die Aussagen der Familie stehen hier den Aussagen des Kreises gegenüber“, erklärt die Anwältin. Die Familie hatte unter anderem erzählt, von den Beamten, die gegen Mitternacht vor dem Bett standen, geweckt worden zu sein – durch den Schein einer Taschenlampe.

Kreis Unna: „Maßnahme war rechtmäßig“

Bei der ersten Anfrage unserer Redaktion hatte der Kreis keine Details zu der Abschiebung genannt – aus „Datenschutzgründen“. Jetzt äußert sich Max Rolke doch auf die Frage, ob die Beamten ordnungsgemäß angeklingelt hätten. Denn das muss man auch mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss, den es in diesem Fall gab, tun.

„Es ist mehrfach geklingelt worden und der Durchsuchungsbeschluss ist wie vom Gericht verfügt, mitgeführt und vorgezeigt worden. Was das bedeutet, ist der Familie erklärt worden“, schreibt der Pressesprecher. „Nach allem war die Maßnahme äußerst sorgfältig vorbereitet und rechtmäßig.“

Jetzt lesen

„Das ist schlicht und ergreifend die Unwahrheit“, entgegnet die Anwältin der Familie. Der Dolmetscher, der in der Nacht dabei war, habe bei Facebook die gleiche Aussage gemacht wie später die Familie: Dass man direkt in die Wohnung gegangen sei und alle schlafend am Bett geweckt habe.

Die Abmahnung ist vom Tisch – die Fassungslosigkeit bleibt

Inzwischen hat auch die Kreistagsfraktion der Grünen eine Anfrage an Landrat Mario Löhr gestellt – für den Kreis-Ausschuss am 5. April. Der Fraktionsvorsitzende Herbert Goldmann fragt: „Teilt der Landrat diese Vorgehensweise seiner Verwaltung und ‚bestraft‘ somit zivilgesellschaftliches Engagement in Form von Flüchtlingsberatung und -betreuung?“

Ähnlich lautet die Frage, die unsere Redaktion an Mario Löhr gestellt hat. Eine Antwort vom Landrat persönlich ist nicht gekommen. Doch zeitgleich hat der Kreis Unna die Abmahnung wieder zurückgezogen. Hans-Bernd Marks hat an diesem Montag (28.3.) die E-Mail erhalten, dass man von weiteren rechtlichen Schritten absehe.

Trotzdem spricht der Schwerter von einem Einschüchterungsversuch. „Wir können kaum fassen, dass eine Behörde so mit uns umgeht“, sagt er. „Wertschätzung, von der man gern spricht, ist in diesem Moment nur ein hohler Begriff.“

Wie geht es Anisha und ihrer Familie?

Was alle Helferinnen und Helfer wütend macht: Das Schicksal der Familie gerät in den Hintergrund. Während der Kreis um seinen „guten Ruf“ fürchte, sagt die Anwältin, sei die körperliche und seelische Unversehrtheit eines Kindes doch weit wichtiger.

Anisha ist in Italien geboren und in Schwerte aufgewachsen. Letztes Jahr ist sie in der Grundschule Villigst eingeschult worden. In Bangladesch hat sie nach Angaben ihrer Mutter Panikattacken. Zur Schule gehen kann sie dort nicht.

Anisha ist in Italien geboren und in Schwerte aufgewachsen. Letztes Jahr ist sie in der Grundschule Villigst eingeschult worden. In Bangladesch hat sie nach Angaben ihrer Mutter Panikattacken. Zur Schule gehen kann sie dort nicht. © privat

Anisha und ihre Familie halten sich nach Angaben der Anwältin inzwischen in Bangladesch versteckt – nachdem mehrmals Unbekannte versucht hatten, in die Wohnung bei der Oma zu gelangen. Die Anwältin: „Man weiß nicht, ob das Beamte sind – oder einfach Kriminelle, die erfahren haben, dass die Familie aus Deutschland zurückgekommen ist. Und die dort Geld vermuten.“

Für Anisha würde das ohnehin keinen Unterschied machen, sagt Marianne Versin-Wenzler, die noch regelmäßigen Kontakt zu der Mutter des Kindes hat. „Die Kleine hat seit der Abschiebungsnacht panische Angst vor Polizisten.“