© Alexander Heine
Die Abrechnungsaffäre wird ein Fall für die Obere Kommunalaufsicht bei der Bezirksregierung. Derweil sickern weitere Details zum Verhalten einzelner Kreistagsmitglieder durch.
Es hat den Anschein, als sei so gut wie alles möglich. Fraktionssitzungen nach Belieben, um Politik für die eigene Tasche zu machen: Ein Eindruck, der sich durch die Enthüllung der Abrechnungsaffäre im Kreistag geradezu aufdrängt. Zumal die Hauptfiguren schweigen. Aussitzen statt aufklären.
Weder Timon Lütschen noch Marion Küpper unternehmen bislang den Versuch, plausibel zu machen, was zweifelhaft erscheint: Die meisten Sitzungsstunden, mit am wenigsten eigene Anträge – dafür hohe Summen bei Verdienstausfällen, die die beiden Co-Vorsitzenden der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen als Selbstständige geltend machen.
Das beharrliche Schweigen der beiden schadet letztlich allen Mitgliedern des Kreistags – und auch der Kommunalpolitik insgesamt. Mandatsträger aller Couleurs sehen sich einem Generalverdacht ausgesetzt. Das ist in den Städten und Gemeinden wie auch auf Kreisebene immer wieder zu hören.
Vielleicht auch deshalb schaltet sich jetzt Landrat Mario Löhr (SPD) in die Abrechnungsaffäre ein. Er macht sie zum Fall für die Obere Kommunalaufsicht. Die Bezirksregierung Arnsberg soll die Abrechnungspraxis bei Verdienstausfällen prüfen. Es geht dabei in mehrfacher Hinsicht um die Frage, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Nicht zuletzt, weil nach Recherchen dieser Redaktion ein Bereicherungsverdacht im Raum steht.
Löhr will sich zu Einzelfällen nicht äußern, verweist auf die Unschuldsvermutung. Ohnehin sei die Bezirksregierung gefordert, das Abrechnungsverhalten aller Mitglieder des Kreistags zu prüfen. Und ausdrücklich auch die Vorgänge innerhalb der Kreisverwaltung. Deren Mitarbeiter prüfen Ansprüche von Kreistagsmitgliedern und zahlen sie aus. „Wir gehen davon aus, dass alles seine Richtigkeit hat“, betont Löhr im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wir schalten die Obere Kommunalaufsicht für eine externe Prüfung ein, um jedem Zweifel entgegenzutreten.“
Rückwirkend habe die Kreisverwaltung ohnehin keine Handlungsoptionen. Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt es eine gültige Fassung der Geschäftsordnung des Kreistags: „Die Kreistagsmitglieder haben vorgelegt, was von ihnen verlangt wurde“, so Löhr. Und das ist eben ein einfacher Zweizeiler eines Steuerberaters statt eines qualifizierten Nachweises, wie vom Rechnungsprüfungsamt nun empfohlen und von der SPD-Kreistagsfraktion beantragt.
Mitarbeiter von Landrat Mario Löhr (SPD) haben Ansprüche von Kreistagsmitgliedern auch schon abgelehnt – darunter eine Kernarbeitszeit von „24/7“. © Alexander Heine
Ohnehin stellt sich vielmehr die Frage, wie ausufernden Fraktionssitzungen mit augenscheinlich möglichst großer Schnittmenge zu Kernarbeitszeiten Einhalt geboten werden kann. In einer Kommentierung der Kreisordnung des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es schließlich, dass Mandatsträger „aus dem ehrenamtlichen Charakter [ihrer] Funktion heraus verpflichtet“ sind, die Vorbereitung auf Sitzungen möglichst in die Freizeit zu legen.
Zur Frage der Sanktionsmöglichkeiten geben allerdings weder Gesetz noch Kommentierung Antworten. Der Kreis Unna habe sich zur Klärung dieser Frage deshalb an den Landkreistag gewandt, so Löhr, der zugleich betont, dass seine Mitarbeiter auch in der Vergangenheit schon genau und durchaus auch kritisch geprüft hätten. „Es wurde an unterschiedlichsten Stellen darauf hingewiesen, dass Kreistagsmitglieder ihre Angaben überprüfen müssen. Wenn sie nicht plausibel waren, wurden Verdienstausfälle auch abgelehnt.“
Löhr bestätigt auf Nachfrage dieser Redaktion Informationen aus informierten Kreisen, wonach es auch schon den Versuch gegeben haben soll, eine Kernarbeitszeit von 24 Stunden an sieben Tagen die Woche anzumelden. „Ja, so einen Fall gab es“, sagt Löhr. „Das haben wir genauso abgelehnt wie andere Zeiten, die für uns nicht nachvollziehbar waren.“
Derweil ist Politik bemüht, die Rahmenbedingungen für die Abrechnung von Verdienstausfällen nachzuschärfen. Am Montag hat der Kreisausschuss einen Antrag der SPD-Fraktion befürwortet, wonach künftig ein qualifizierter Nachweis für die Abrechnung erbracht werden soll – übrigens einstimmig, auch Timon Lütschen (Bündnis 90/Die Grünen) war dafür. An diesem Dienstag entscheidet der Kreistag in letzter Instanz über den Antrag.