Heinz-Jürgen Wulhorst ist mit seinem Mastbullen vor der Fleischerei Demarczyk an der Germaniastraße vorgefahren.

© Marcel Drawe

Viehtransport zum Schlachter: Die letzte Reise des Bullen DE0540802512

dzFleischer Demarczyk und Bauer Wulhorst

Fleischermeister Jürgen Demarczyk aus Kamen-Methler braucht keine Viehsammelstelle. Der einzelne Mastbulle kommt am Schlachttag nach Bedarf – geliefert von Bauer Heinz-Jürgen Wulhorst.

Kamen

, 16.08.2021, 18:06 Uhr / Lesedauer: 3 min

An einem Freitagmorgen im August spannt Landwirt Heinz-Jürgen Wulhorst einen Viehanhänger an seinen grünen Trecker der Marke Deutz. Dann geht der 51-Jährige in den Stall seines Bauernhofs an der Mühlenstraße in Methler, um einen seiner namenlosen Mastbullen herauszuholen.

Für das knapp über zwei Jahre alte Rind beginnt um kurz nach 8 Uhr seine erste und letzte Reise. Geboren am 27. Juni 2019 auf Wulhorsts Bauernhof, hat der stattliche Wiederkäuer den Stall und die Wiesen des heimatlichen Bauernhofs nie verlassen.

Wulhorst fährt los, hinter ihm der offene Viehanhänger, aus dem der gehörnte Bullenkopf etwas hervorragt. Einen Kilometer fährt der Bauer die Mühlenstraße hinunter, dann nach noch einen Kilometer rechts auf die Westicker Straße, dann nach links auf die Germaniastraße. Knapp 2,7 Kilometer hat der Vieh-Einzeltransport zurückgelegt, als Wulhorst am Ziel ankommt.

Jürgen Demarczyk, 55, erwartet seinen Lieferanten schon. Der Fleischermeister und Inhaber der gleichnamigen Fleischerei steht zusammen mit einer Frau in weißem Kittel am Hoftor. Die Frau ist eine Tierärztin, die im Auftrag des Veterinäramts des Kreises Unna die sogenannte Lebenduntersuchung des Schlachttiers durchführt. Wulhorst übergibt der Veterinärin den Rinderpass des Mastbullen. Der Lebensweg von Rindern lässt sich anhand des Stammdatenblatts nachvollziehen. Darin stehen Ohrmarkennummer, Geburtsdatum, Geschlecht, Rasse, Markennummer der Mutter und Daten des Geburtsbetriebs und aller Besitzer. Der Mastbulle hat die Nummer DE 0540802512. Die Papiere sind einwandfrei.

Ein Klaps mit der Hand

Nun sind Wulhorts Rangierkünste gefragt. Rückwärts manövriert der Landwirt den Viehtransport in den Hinterhof, sodass die Klappe des Anhängers in Richtung der Schlachthaus-Tür zeigt. Die Klappe wird geöffnet, und Wulhorst und Demarczyk versuchen nun den Bullen mit verschiedenen Methoden dazu zu bewegen, den Anhänger zu verlassen. Demarczyck zieht am Halfterstrick, während Wulhorst dem Bullen gut zuredet, mit der Zunge schnalzt oder ihm einen Klaps mit der Hand gibt. Die Hinterläufe des Bullen suchen beim schwierigen Rückwärtsgang aus dem Anhänger Halt, bis sie Hofasphalt unter den Füßen haben. Das Tier wird schließlich in den Schlachtraum geführt. Die Veterinärin nimmt es in Augenschein und hat nichts zu beanstanden.

Gutes Zureden, ein Klaps auf den Hintern, Schnalzen mit der Zunge und Ziehen am Halfterstrick: Der unversehrte Mastbulle beim Ausladen vor dem Schlachtraum.

Gutes Zureden, ein Klaps auf den Hintern, Schnalzen mit der Zunge und Ziehen am Halfterstrick: Der unversehrte Mastbulle beim Ausladen vor dem Schlachtraum. © Marcel Drawe

Die Beteiligten sind sichtlich zufrieden mit dem Ablauf der Anlieferung. Das Nutztier hat sich in sein Schicksal gefügt, ohne zu toben, was der Fleischqualität förderlich ist, und steht jetzt hinter einem Gitter im Schlachthaus, als wäre dies sein Stall. Das Schlachthaus ist ein quadratischer Raum mit einer hohen Decke, an der ein elektrischer Kettenzug hängt. An der Wand befinden sich Stangen mit Fleischerhaken.

Betäuben und Entbluten

Eine gute halbe Stunde Ruhezeit gibt Demarczyk dem Bullen. Zeit, um das Bolzenschussgerät vorzubereiten und Werkzeuge wie die Knochensäge zurecht zu legen. Demarczyk ist der einzige Fleischer in Kamen, der am eigenen Stammsitz und Laden-Standort (zwölf Mitarbeiter, darunter drei Fleischer und ein Fleischer-Azubi) selbst Rinder und Schweine schlachtet. Im näheren Umkreis im Kreis Unna sind fast alle kleinen Handwerksbetriebe dieser Art ausgestorben. Die meisten Fleischereifachgeschäfte lassen Tiere in Schlachthöfen wie in Unna oder Hamm betäuben und entbluten, um die Tierhälften dann selbst weiterzuverarbeiten. Die Fleischerei Mecke aus Werne, die in einen Tierquälerei-Skandal um eine betriebseigene Viehsammelstelle verwickelt ist, schlachtete bislang ebenfalls selbst. Der Chef, gegen den jetzt ein Berufsverbot verhängt worden ist, hat seine Mitarbeiter in der Viehsammelstelle für Quälereien durch Schläge und Elektroschocks verantwortlich gemacht. Davon habe er nichts mitbekommen.

Fleischermeister Jürgen Demarczyk ist bei der Anlieferung dabei und hat den Bullen in den Schlachtraum geführt. Nach einer Ruhezeit wird er das Nutztier schlachten.

Fleischermeister Jürgen Demarczyk ist bei der Anlieferung dabei und hat den Bullen in den Schlachtraum geführt. Nach einer Ruhezeit wird er das Nutztier schlachten. © Marcel Drawe

Jürgen Demarczyk in Methler braucht keine Viehsammelstelle. Der Chef bekommt ein Schlachttier am Schlachttag von Bauern in der Umgebung geliefert, ist bei der Anlieferung zumeist persönlich dabei und schlachtet eigenhändig. So wie schon sein Vater, so wie sein Großvater, und so wie sein Urgroßvater, der die Fleischerei im Jahr 1906 gründete. Er hat den Bullen mit der Nummer DE 05 408 02 512 vor einigen Wochen selbst auf Wulhorsts Bauernhof ausgesucht. Er entscheidet selbst, in welchem individuellen Zustand das einzelne Tier zu ihm kommt. Er sorgt persönlich dafür, dass das Tier möglichst schonend, rasch und schmerzfrei, betäubt wird. „Ich bin auf niemand anders angewiesen“, sagt Demarczyk.

Bolzenschussgerät im Einsatz

Jetzt ist die Ruhezeit für den Bullen herum. Demarczyk und sein Geselle Carsten Lethaus, 55, betreten das Schlachthaus. Die beiden Fleischer gehen ans Werk. Knapp eine Stunde lang brauchen die beiden Metzger, um das Tier nach allen Regeln ihrer Handwerkskunst zu schlachten, bis zwei Rinderhälften am Kettenzug baumeln. Eine Stunde – das ist eine Zeit, über die Schlachter in Großbetrieben wie Tönnies nur lachen können, wo Hunderte Tiere am Tag wie am Fließband getötet und verarbeitet werden.

Der in zwei Hälften zerlegte Mastbulle rund zwei Stunden nach der Schlachtung. Das Fleisch muss jetzt im Kühlraum bei zwei Grad reifen.

Der in zwei Hälften zerlegte Mastbulle rund zwei Stunden nach der Schlachtung. Das Fleisch muss später im Kühlraum bei zwei Grad reifen. © Marcel Drawe

Kurz nach der Schlachtung kommt die Veterinärin noch einmal vorbei und überzeugt sich bei der sogenannten Fleischbeschau davon, dass keine Krankheitszeichen oder Schädlingsbefall vorliegen. Namentlich will die Tierärztin nicht in der Zeitung erscheinen. Das Veterinäramt steht wegen mutmaßlich laxer Kontrollen bei Mecke sowie zuvor bei Prott in Selm in der Kritik. Bei Prott hatten Tierschützer heimlich illegale Schächtungen auf Video dokumentiert, bei Mecke deckten sie mit Videokameras die Misshandlung von Tieren auf. Fleischermeister Jürgen Demarczyk sagt, dass er jedes Mal kontrolliert wird und die Kontrolleure streng seien. Offenbar schauen die Kreisveterinäre bei den Kleinen genau hin, während sie bei Großen auch mal wegsehen.

Drei Tage nach der Schlachtung hängt das Fleisch von Mastbulle DE0540802512 geviertelt im Kühlhaus und reift bei zwei Grad Celsius. In Form von Bratenstücken oder Rouladen landet es frühestens am nächsten Wochenende in der Verkaufstheke der Fleischerei Demarczyk.

Claudia Demarczyk an der Theke der Fleischerei: Frühestens eine Woche nach der Schlachtung kommt das erste Fleisch in Form von Rouladen oder Bratenstücken in den Verkauf.

Claudia Demarczyk an der Theke der Fleischerei: Frühestens eine Woche nach der Schlachtung kommt das erste Fleisch in Form von Rouladen oder Bratenstücken in den Verkauf. © Marcel Drawe