Instagram, TikTok oder Facebook – die sozialen Medien sind Fluch und Segen zugleich. Diese Erkenntnis ist nichts Neues, offenbart sich jedoch einmal mehr beim Thema mentale Gesundheit.
So sollen etwa die Hälfte der rund 100 meistgesehenen TikTok-Videos zu ADHS, also der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, fehlerhafte Informationen enthalten. Das geht aus einer Studie hervor, die kürzlich im Fachmagazin „Plos One“ veröffentlicht wurde.
Junge Menschen mit selbst diagnostiziertem ADHS – 421 wurden befragt – überschätzen die Verbreitung der Störung zudem erheblich: Sie gingen davon aus, dass 37,49 Prozent der gesamten Bevölkerung betroffen sind. Die tatsächliche Häufigkeit liegt bei etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen und bei zwei bis drei Prozent der Erwachsenen.

Das Thema Social Media ist aus dem Praxisalltag von Diplom-Psychologin Julia Schaumann, die in Kamen als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin tätig ist, nicht wegzudenken. Cybermobbing sei nur eines von vielen Beispielen. Zudem erlebe sie auch in ihrer Praxis ab und an, was in der Studie Anklang findet: „Es kommt vor, dass ein Jugendlicher zu mir kommt und sagt: ‚Ich habe da etwas gelesen oder gesehen. Wäre es nicht möglich, dass ich diese oder jene Erkrankung habe?“, erzählt die Psychotherapeutin.
Ernst nimmt Julia Schaumann die Fragen ihrer jungen Patienten immer. Schließlich suchten die Jugendlichen ihre Praxis auf, weil sie ein bestimmtes Anliegen oder vielleicht ein Problem hätten.
Doch: „Über Tests, die man im Internet findet, ist eine professionelle Diagnostik nicht möglich.“ Nicht umsonst gebe es wissenschaftliche Standards, um psychische Erkrankungen festzustellen. Auf Social Media teilten viele User persönliche Erfahrungen und Meinungen. Eine professionelle Diagnostik hingegen sei Wissenschaft – „Wissenschaft ist keine Meinung.“
Die Diagnostik unterliege einem präzisen Klassifikationssystem und bestehe aus mehreren Säulen: ein Anamnese-Gespräch mit dem Patienten, Gespräche mit den Eltern, eventuell auch mit Großeltern oder Lehrern. Spezifische Fragebögen seien ebenso Teil des Verfahrens. Und nicht zuletzt der persönliche Eindruck, den die Expertin gewinnt.
„Die Zusammenführung von all dem liefert dann die Diagnose.“ Julia Schaumann bringt ein treffendes Beispiel: „Ich kann mir nicht anlesen, ob ich eine Blinddarmentzündung habe oder eine -reizung. Dafür brauche ich einen Arzt.“ Ebenso sei es bei psychischen Erkrankungen.

Recherche im Internet ersetzt keine Diagnose
Sollte man sich dennoch im Internet informieren wollen, sei es sehr wichtig, seriöse Anlaufstellen zu wählen – Stichwort Medienkompetenz. An dieser Stelle empfiehlt Julia Schaumann Universitäten und Dachverbände psychologischer Organisationen. Auch hier gelte: „Das ersetzt keine Diagnostik.“
Dass Menschen ihre persönlichen Geschichten in den sozialen Medien teilen, wertet die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin grundsätzlich nicht negativ. Wer ein Video aufnehme, fände darin vielleicht eine Ausdrucksmöglichkeit, um Erfahrungen zu verarbeiten. Außerdem sei denkbar, dass TikTok und Co. ihren Beitrag zum Abbau von Vorurteilen leisteten. Schließlich sei der Umgang mit dem Thema mentale Gesundheit in den vergangenen Jahren zum Glück offener geworden.
Doch sollten jene, die im Netz die Öffentlichkeit suchten, im Hinterkopf behalten, dass das Internet niemals vergesse. „Dadurch könnte es zu erneuten Kränkungen kommen“, erklärt Julia Schaumann.
Zu einem gesunden Umgang mit Medien trügen, so erklärt die Expertin, auch Eltern bei. Wer Sorge habe, dass Mama oder Papa schimpften, wenn man auf einer bestimmten Website unterwegs war, wende sich mit Fragen eventuell nicht an die Erwachsenen. Empfehlungen zur geeigneten Medienzeit je Altersklasse finden Eltern beispielsweise auf der Website des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit.