Der Begriff „oraler Provokationstest“ weckt eher unangenehme Assoziationen. Vor allem, wenn er aus dem Mund eines Mediziners wie Dr. Kai Wiemer kommt, Chefarzt für Gastroenterologie am Krankenhaus in Kamen. Diese medizinische Fachrichtung befasst sich mit Erkrankungen des Magendarmtraktes. Und für Patienten, die Probleme mit diesem Körperbereich haben, hat Wiemer eine erfreuliche Nachricht.
Seit Anfang des Jahres bietet er ein neues Verfahren an, das eine große Verbesserung darstellt für Menschen mit einem Reizmagen oder -darm. Dieses Leiden wird oft durch eine Lebensmittelunverträglichkeit, also eine Art allergische Reaktion, verursacht, ohne dass sich bisher der Auslöser exakt feststellen ließ.
Die Betroffenen müssen deshalb strenge Diät halten und auf bestimmte Stoffe wie Weizen, Soja, Eiweiße, Milch und Erdnüsse vollständig verzichten, weil sie eines oder mehrere davon nicht vertragen.
Genauer ließ sich das bisher nicht sagen: Bei der klassischen Untersuchung wurden dem Patienten Proben aus dem Darm entnommen und später untersucht. Wenn sich dadurch keine andere Ursache für die Probleme finden lässt, bleibt nach dem Ausschlussprinzip nur noch die Lebensmittelunverträglichkeit – und das Verbot aller potenziell auslösender Stoffe.
Bilder in tausendfacher Vergrößerung
Das neue Verfahren lässt eine wesentlich exaktere Diagnose zu. Man könnte es, etwas flapsig, als Live-Übertragung aus dem Zwölffingerdarm beschreiben. Dort platziert Wiemer einen Laserscanner, der Bilder der Schleimhaut in tausendfacher Vergrößerung liefert. So erkennt der Arzt die unmittelbare Reaktion auf verschiedene Lebensmittel, die dem Körper zugeführt werden.

Auf diese Weise kann der Gastroenterologe herausfinden, welcher Stoff genau den Magendarmtrakt reizt. Der Patient muss also künftig nicht mehr auf die ganze Palette der Lebensmittel verzichten, sondern nur auf die, die er tatsächlich nicht verträgt. „Die ersten Patienten, die wir behandelt haben, sind begeistert“, sagt Wiemer. Für sie bedeute die neue Methode „ein riesiges Plus an Lebensqualität“.
Da verliert der „orale Provokationstest“ ein wenig von seinem Schrecken. Zumal der Patient für die Live-Übertragung aus dem Darm nicht wirklich etwas schlucken muss. Er befindet sich während der Untersuchung in Narkose, die Stoffe gelangen über den Arbeitskanal des Endoskops in den Körper.
Eine Nacht im Krankenhaus
Die Untersuchung ist nicht ambulant möglich. Eine Nacht sollte der Patient mindestens im Krankenhaus verbringen, denn manch eine Unverträglichkeitsreaktion zeigt sich erst mit einigen Stunden Verzögerung. Zudem gibt es am nächsten Tag eine ausgiebige Ernährungsberatung. Bei der erfährt der Patient, was er künftig essen darf und wovon er lieber die Finger lässt.
Wiemer sieht ein großes Potenzial für die neue Methode. Schließlich gebe es in Deutschland Millionen von Patienten, die unter Reizdarm oder -magen leiden. Und bei der großen Mehrheit komme die Unverträglichkeit von Lebensmitteln als Ursache infrage. Viele Zusammenhänge, die dabei eine Rolle spielen, seien bisher noch gar nicht richtig erforscht.

Deshalb interessieren sich nicht nur medizinische Praktiker für diese Technik, sondern auch Wissenschaftler. „Wir arbeiten mit der Ruhr-Universität Bochum zusammen“, sagt Wiemer. Das hilft auch bei der Finanzierung. Das Gerät, das die Live-Bilder aus dem Darm ermöglicht, sieht zwar eher unspektakulär aus, ist aber nicht ganz günstig. Wiemer spricht von einem hohen sechsstelligen Betrag: Für ein relativ kleines Krankenhaus wie das in Kamen sei das schon eine ordentliche Investition.
Allerdings eine, die sich lohnt, meint Wiemer: „Es gibt in Deutschland maximal 20 Zentren, die dieses Verfahren einsetzen.“
Ein Video zu dem Thema findet sich unter hellwegeranzeiger.de/kamen
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24.4.2025.