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Aus dem Koma zurück ins Leben: Die unglaubliche Geschichte des Peter M.
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Nach einer Kettenreaktion lebensgefährlicher Organausfälle kämpft sich Peter Mauer zurück ins Leben. Der 61-jährige Heeren-Werver erzählt eine unglaubliche Leidensgeschichte, die Mut machen soll.
Der Darmdurchbruch war nur der Anfang dieser beispiellosen Leidensgeschichte. Dann Magenbluten, Blutvergiftung, Bauchfellentzündung, Lungenembolie und wirklich ein Schlag – ein Schlaganfall. Zwei Reanimationen, zwei Wochen Koma, ein Luftröhrenschnitt und weitere sechs Operationen.
Peter Mauers Geschichte, mit pathologischen Befunden nicht minder lang als das Inhaltverzeichnis eines Medizin-Lehrbuchs, ist unglaublich, aber wahr. Jetzt, etwas mehr als ein Jahr später, feiert der passionierte Reptilien-Züchter mit seiner Frau Silvia und der Familie Weihnachten, als würde sein Leben noch einmal beginnen. „Es ist, als hätte ich noch einmal Geburtstag.“

Peter Mauer hat eine lange Leidenszeit überstanden. Ihm ist es wichtig, sich bei seinem Lebensretter, Dr. Andreas-Heinz Ludwig, zu bedanken. © Marcel Drawe
Mit lahmen Lungenflügeln um jedes Sauerstoff-Molekül gerungen
Peter Mauers Geschichte passt in eine Zeit, in der Corona aufs Gemüt drückt und viele den Glauben verlieren. Der Heerener, 63 Jahre alt, hat ihn nicht verloren, obwohl er dem Tod atemlos ins Gesicht blickte, buchstäblich, als er keine Luft mehr bekam und mit lahmen Lungenflügeln um jedes Sauerstoff-Molekül rang. „Der Gedanke war da, dass ich mir alle Schläuche herausreiße. Doch der Überlebenswille war größer, die Betreuung aufopferungsvoll“, sagt er über seine zwei Monate lange Zeit im Kamener Hellmig-Krankenhaus – und seine Trachealkanüle, durch die er zusätzlich Luft bekommt, gibt dabei ein Pfeifen ab.
Jeder besondere Patient ist anders besonders
Mauer ist dankbar, am Leben zu sein. Mit seiner Geschichte will er anderen Mut machen und auch seinen Lebensrettern danken. Das ist ihm wichtig. Deswegen trifft er sich mit Dr. Andreas-Heinz Ludwig (59), der das Drama vor einem Jahr im Kamener Hellmig-Krankenhaus erlebte.
Für den Chefarzt, seit 2014 Leiter der Kamener Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, und sein Team war Mauer eine Herausforderung. „Ja“, sagt er nachdenklich, „eigentlich ist jeder Patient etwas Besonderes. Aber jeder besondere Fall ist anders besonders.“ Er blickt auf seinen genesenen Patienten. „Er ist durch ein tiefes Tal mit steinigem Weg gegangen. Jetzt freue ich mich, ihn hier so zu sehen.“

Silvia und Peter Mauer, Hund Chelsea. Mauer sperrte den Schmusehund noch geistesgegenwärtig weg, bevor die Rettungskräfte kamen. © Stefan Milk
Das Resultat einer ungesunden Lebensweise
Mauer ist ehemaliger Kfz-Mechaniker und tüftelt auch heute hobbymäßig noch an manchem Motor, wie an dem von seinem Mercedes E, Baujahr 2007. Doch damals bei der Arbeit hat er, wie er sagt, seinen Rücken ruiniert: „Von unten nach oben.“ Dass er sich auch nicht gerade gesund ernährt hat, ist ihm bewusst. Und dass falsche Ernährung und ungesunde Lebensweise, obwohl er als trockener Alkoholiker seit 26 Jahren nicht getrunken hat, eine Kettenreaktion organischer Ausfälle verursachen könnte, damit hat er im Leben nicht gerechnet.

Peter Mauer mit seiner daumendicken Krankenakte vor dem Hellmig-Krankenhaus. Er ist froh, dass die Leidensgeschichte nun abgeschlossen ist. © Marcel Drawe
Morgens um Vier: Der Schmerz kommt urplötzlich
Der Schmerz kam urplötzlich, morgens um vier, als er im Bett lag. „Ich fragte mich, was ist da los?“ Er unterdrückte den Schmerz noch, als seine Frau Silvia (61) zur Arbeit ging. „Plötzlich ging nichts mehr. Ich habe meiner Frau eine WhatsApp geschickt, den Notruf 110 gewählt und die Tür aufgemacht. Dann weiß ich nichts mehr.“
Mit Rücksicht auf die Rettungskräfte muss er noch seinen langohrigen Hund Chelsea, ein achtjähriger Cavalier-King-Charles-Spaniel, weggesperrt haben – daran kann er sich schon nicht mehr erinnern. Er war zusammengebrochen, zwischen seinen 85 mit zahllosen Geckos belebten Terrarien, die Wohn- und Arbeitszimmer gleichmäßig erhellen.

Peter Mauer hat 85 Terrarien in seiner Wohnung. Die Terrarienzucht ist sein großes Hobby. „Alle Terrarien sind besetzt mit Geckos. Spinnen und Schlangen darf ich nicht“, sagt er lachend. © Stefan Milk
Als die Nachtschwester um 22 Uhr anrief
Silvia Mauer eilt von der Arbeit nach Hause und trifft auf die Rettungskräfte, die gerade ihren Mann versorgen. Ein Zeitpunkt, in der ein wochenlanges Hoffen und Bangen um das Leben ihres Mannes, mit dem sie seit 42 Jahren verheiratet ist, beginnt. „Es war die Hölle pur“, sagt sie rückblickend. „Das tut jetzt noch weh“.
Sie ist dankbar, dass jetzt alles gut ausgegangen ist und hat Tränen in den Augen, wie ihr Mann auch, als sie über die schwierige Zeit erzählt. „Ich werde den Anruf der Nachtschwester nicht vergessen. Um 22 Uhr klingelte das Telefon, als Peter aus dem Koma aufgewacht war. Sie sagte: Sie können jetzt mit ihm reden.“

Peter Mauer zeigt einen seiner Geckos. Die sind eigentlich nachtaktiv. © Stefan Milk
Selbst Erste Hilfe geleistet, wenn es notwendig war
Mauer wird erst nach und nach bewusst, was er alles durchgemacht hat. Und auch, dass die Rettung durch das geistesgegenwärtige Wählen von 110 und die Öffnung der Tür schnell erfolgen konnte.
Das ist seinen Kenntnissen als DRK-Helfer im Ortsvereins Heeren-Werve zu verdanken. Zehn Jahre war er dort Mitglied und hat selbst Erste Hilfe geleistet, wenn es notwendig war. „Ja, ich weiß, wie man einen Notruf richtig absetzt“, sagt er schmunzelnd.
Im Krankenhaus erlebte er dann, wie strenge Corona-Regeln zu mehr und mehr Einschränkungen führten. „Trotz verschärfter Bedingungen, haben wir es ihm ermöglicht, Besuch zu empfangen, so gut wie es geht“, berichtet Dr. Ludwig. Etwas, das auch immer bei anderen Schwerstkranken praktiziert werde, falls möglich. „Das ist richtig und wichtig. Denn die Familie trägt in solchen Fällen sehr zur Genesung bei.“ Dass es Mauer überleben würde, da war sich selbst der erfahrene Arzt nicht sicher. „Es gibt solche Situationen, da weiß man nicht, wie das ausgeht.“
Das Auto-Schrauben als beste Therapie
Jetzt ist alles gut ausgegangen. Dass noch nicht alles perfekt ist, das sieht man an der Trachealkanüle, die Mauer weiter tragen muss, um mehr Luft zu bekommen. Ludwig ermutigt ihn, weiter an seinem Auto zu schrauben. „Das ist die perfekte Therapie und besser als jede Reha“, sagt er. Er gehe dabei in die Analyse, überlege sich eine Lösung und führe die Arbeit handwerklich aus. „Dazu ein gutes soziales Umfeld und gute Ernährung, all das lässt uns alt werden.“
Alt werden, eine Empfehlung, der Mauer jetzt gerne nachkommen will. Jetzt, wo er noch einmal Geburtstag feiert.
Jahrgang 1968, aufgewachsen in mehreren Heimaten in der Spannbreite zwischen Nettelkamp (290 Einwohner) und Berlin (3,5 Mio. Einwohner). Mit 15 Jahren erste Texte für den Lokalsport, noch vor dem Führerschein-Alter ab 1985 als freier Mitarbeiter radelnd unterwegs für Holzwickede, Fröndenberg und Unna. Ab 1990 Volontariat, dann Redakteur der Mantelredaktion und nebenbei Studium der Journalistik in Dortmund. Seit 2001 in Kamen. Immer im Such- und Erzählmodus für spannende Geschichten.
