Die atomare Bedrohung wächst mit jedem neuen Krisenherd. Und Atomkraft erlebt eine Renaissance. „Da habe ich Angst vor“, sagt Jürgen Schlegel, der seit Jahrzehnten die Tschernobyl-Hilfe des Awo-Stadtverbandes Kamen betreut.
Der 80-jährige Kamener kann das Datum nicht vergessen, als im Kernkraftwerk Tschernobyl im Norden der heutigen Ukraine ein Reaktor explodierte, wobei mehrere Trillionen Becquerel Radioaktivität in die Erdatmosphäre freigesetzt wurden. Das war am 26. April 1986. An diesem Freitag jährt sich der Tag zum 38. Mal. Schlegel lädt an dem Tag zum Gedenken ein. Beginn der öffentlichen Veranstaltung ist um 17 Uhr im Foyer des Kamener Rathauses unter den Vorzeichen neuer Konflikte. „Die 70er, 80er und 90er-Jahre waren eine ruhige Zeit. Das ist nun vorbei.“

Senioren treibt die Sorge um die jüngeren Generationen um
Der Senior blickt mit der Lebenserfahrung von acht Jahrzehnten auf den Angriffs-Krieg Russlands auf die Ukraine, wo das Kernkraftwerk Saporischschja im Kreuzfeuer steht. Und auf andere Krisenherde, in die Atommächte und Möchtegern-Atommächte involviert werden könnten. „Ja, ich habe wirklich Sorge. Und das müsste ich in meinem Alter ja gar nicht mehr.“ Er sorgt sich auch nicht um sich, sondern um die jüngeren Generationen, auch wenn er an seine Tochter, seinen Schwiegersohn und seinen Enkel denkt.
Schlegel hat gesehen, was radioaktive Strahlung auslösen kann. Über die Tschernobyl-Hilfe organisierte er Freizeiten und Urlaube für junge Mütter mit ihren Kindern, die an den Spätfolgen der Radioaktivität litten. „Das geht unter die Haut. Man sieht ihnen die Krankheit von außen nicht an. Aber das sind nur von außen gesunde Kinder“, sagt er. Viele Organe seien für immer geschädigt oder gänzlich zerstört.
Auch in diesem Jahr Ferien für eine Familie organisiert
Die Nuklearkatastrophe von 1986 hat Schlegels Leben bis zum heutigen Tag geprägt. Das Vorstandsmitglied des Awo-Ortsvereins Kamen-Mitte engagiert sich seit vielen Jahren tatkräftig in der Tschernobyl-Hilfe, indem er Kinder aus Belarus und der Ukraine unterstützt, auch in diesem Sommer wieder. Er vermittelte einer jungen Mutter und ihrer zwölfjährigen Tochter einen 14-tägigen Urlaub im Juli in Cuxhaven.
Damit jedem deutlich wird, was einst in Tschernobyl passierte und wie viele Menschen litten und immer noch leiden, organisiert er seit 2011 die Gedenkveranstaltung unter dem Titel „Ein Licht gegen das Vergessen“. Die Katastrophe und ihre Folgen, so seine Meinung, dürfen nicht aus dem Blick geraten. „Man kann nicht genug warnen vor der Gefahr.“